Heidelberg

Auch die Bewohner wollen eine "lebendige Altstadt"

Wie die Bürgerinitiative "Linda" ihren Stadtteil zwischen dem Corona-Lockdown und dem touristischen Trubel erlebt - Sorge um alteingesessene Geschäfte

18.08.2020 UPDATE: 19.08.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 36 Sekunden
Gespenstische Leere herrschte in der Heidelberger Hauptstraße während der Zeit des Lockdowns. Diese Aufnahme stammt vom 21. März 2020. Foto: Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Kaum ein Stadtteil hat sich während der Corona-Krise so stark verändert wie die Altstadt. Waren die Gassen und die Fußgängerzone Ende März noch wie leer gefegt, tummeln sich jetzt wieder viele Besucher in den Straßencafés. Die Gaststätten durften ihre Zonen der Außenbewirtschaftung ausweiten, die Geschäfte ihre Reklametafeln und andere Kundenstopper auf die Straßen stellen. Doch wie lebt es sich derzeit in der Altstadt, wie nehmen die Bewohner die Veränderungen war? Darüber berichteten Doris Hemler und Martin Kölle, die beiden Sprecher der Bürgerinitiative "Leben in der Altstadt" (Linda), im Gespräch mit der RNZ.

Der Streit um die Sperrzeiten und den nächtlichen Kneipenlärm sorgte im Juli wieder für Schlagzeilen. Hemler und Kölle verstehen, dass die klagenden Anwohner den Vergleichsvorschlag des Verwaltungsgerichtshofes abgelehnt haben und sich nicht mit der Stadt einer gerichtlichen Mediation unterziehen wollen. "Solch eine Mediation hätte nur Bestand, wenn sich auch der Gemeinderat dieser beugt", sagt Hemler. Und Kölle fügt hinzu: "Die Erfahrung zeigt doch, das Gericht fällt einen Beschluss, doch der Gemeinderat entscheidet anders." Dennoch würden sich beide wünschen, dass der Konflikt befriedet wird.

Die nächtliche Belästigung der Anwohner bewege sich wieder auf einem ähnlichen Niveau wie in der Vor-Corona-Zeit, so Hemler. "Eine Anwohnerin am Heumarkt sagte zu mir sogar, es sei schlimmer." Eine eingeschlagene Scheibe, Lachen von Urin und Erbrochenem, achtlos weggeworfene Pizzaschachteln – all das seien die nächtlichen Hinterlassenschaften. "Es ist ja verständlich, dass die Leute Nachholbedarf haben und feiern möchten", sagt Kölle. Und hofft doch auf mehr Rücksicht auf die Anwohner. Dass sich manche so hemmungslos ausleben, ist auch für Hemler nur schwer nachzuvollziehen.

Die Altstadt habe aber ganz andere Probleme als Lärm und Dreck, sagen die beiden "Linda"-Sprecher. Ein wichtiges Thema für Kölle ist das Wohnen. "Die Altstadt muss für junge Familien wieder attraktiv werden", fordert auch Hemler. Und das heißt für die beiden, dass man noch mehr gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum vorgehen müsse. Es könne doch nicht sein, dass viele Familien bezahlbare Wohnungen suchen, diese aber teuer an Touristen weitervermietet werden. Mehr Heidelberger, weniger Gäste: Das würde der Stadt guttun, sind die beiden überzeugt.

Auch interessant
Heidelberger Sperrzeiten-Streit: Haltung der klagenden Anwohner stößt auf Unverständnis
Heidelberg: Neues Lärmgutachten soll im Sperrzeiten-Streit helfen
Heidelberg: Außenbewirtschaftung gilt nur in diesem Jahr
Gastronomie: Die "erweiterte Außenbewirtschaftung" kommt in Heidelberg gut an

Ein weiterer Punkt, den die "Linda"-Sprecher kritisieren, ist die wirtschaftliche Ausbeutung der Altstadt. Bei einigen Wirten, die ihre Tische auf die Straße stellten, spiele die Ästhetik überhaupt keine Rolle. "Das ist oft relativ lieblos. Es gibt keine Blumenkübel oder Pflanztröge wie in Italien", so Hemler. Kölle ärgert sich, dass der Kornmarkt jeden Morgen mit parkenden Autos vollgestellt ist. Das Fotomotiv für jeden Kulturtouristen mit Kornmarktmadonna und Schloss werde so verschandelt.

Und daher wünscht sich Kölle vom Stadtmarketing, dass die Versprechen für einen nachhaltigeren Tourismus schneller umgesetzt werden. Das Tourismusleitbild von 1993, demzufolge der "raschen Konsumierbarkeit Heidelbergs" entgegengesteuert werden müsse, könne er immer noch unterschreiben, so Kölle: "Wir brauchen ein Konzept, wie man die Gäste länger als nur einen Tag hier hält."

Dann hätten auch die vielen alteingesessenen inhabergeführten Hotels wie der "Ritter" in der Hauptstraße oder auch die Gaststätte "Seppl" eine Chance, die Corona-Krise zu überleben. Beide sind immer noch geschlossen. Die Pläne von "Heidelberg Marketing", die Region noch viel stärker in die touristischen Angebote Heidelbergs einzubeziehen, begrüßt "Linda" daher ausdrücklich. Kölle ärgert sich aber auch über vertane Chancen: "Die Heidelberger wollten kein Romantik-Museum, dafür macht jetzt eines in Frankfurt auf."

Die Zeit des Lockdowns nahmen Hemler und Kölle mit gemischten Gefühlen auf. "Für die Geschäfte ist es eine Katastrophe", betont Hemler. Die Altstadt habe in den letzten Jahren viele inhabergeführte Läden verloren. Nun hätten genau solche Einzelhändler wieder besonders unter der Krise zu leiden. Einen kleinen positiven Nebeneffekt habe diese Zeit aber gehabt: Ohne all die Menschenmassen habe man mal wieder die Architektur und die Weite der Straße gespürt. Und das sei, für einen kurzen Moment, auch sehr wohltuend gewesen. "Letztendlich war es aber auch ein bisschen gespenstisch", gibt Hemler zu: "Wir wollen doch eine lebendige Altstadt.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.