"Heidelbergs Klimaziele sind nicht ambitioniert" (plus Video)
Die Bewegung "Fridays for Future" fordert besseren Klimaschutz - Mit netten Worten wollen sich die Jugendlichen nicht abspeisen lassen

Rund 2800 vor allem junge Menschen demonstrierten am 15. März bei "Fridays for Future" in Heidelberg. Foto: Philipp Rothe
Von Denis Schnur
Heidelberg. Seit Monaten gehen Schüler und Studenten auf der ganzen Welt auf die Straße und fordern mehr Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel. In Heidelberg demonstrierten im März rund 2800 Menschen unter dem Motto "Fridays for Future" (FFF), in Mannheim waren es am Freitag etwa 1300. Viele Teilnehmer sind Schüler, die dafür den Unterricht bestreiken. Wie lange sie das noch machen und warum sie Heidelberg nicht als Vorreiter im Klimaschutz sehen, erklären zwei der Heidelberger Organisatoren - Schülerin Anna Helfrich (17) und Student Lukas Weber (22) im Interview.
Die meisten Deutschen finden eure Bewegung richtig. Viele Politiker geben euch recht. Und in den letzten Wochen wird so viel über Klimapolitik diskutiert wie lange nicht. Habt ihr nicht euer Ziel erreicht und könnt freitags nun wieder beruhigt wieder zur Schule gehen?
Helfrich: Im Gegenteil! Wir messen Politiker an ihren Taten, nicht an ihren Worten. Dass sie sich jetzt als große Klimaschützer geben, finde ich ein bisschen lächerlich. Da muss noch ganz viel folgen, damit wir wieder eine Zukunft haben.
Was müsste denn passieren, damit ihr wieder jeden Freitag zur Schule geht?
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Weber: Die grundlegende Forderung ist, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, und die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Aber die Ziele, die Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten des Abkommens sich gesetzt haben, führen nach konservativen Schätzungen zu drei bis vier Grad bis Ende des Jahrhunderts. Solange die Ziele nicht geschärft und umgesetzt werden - die unambitionierten Ziele werden derzeit ja nicht mal umgesetzt -, streiken wir weiter.
Ihr habt also einen langen Atem?
Helfrich: Den müssen wir leider haben. Es ist aber nicht in unserem Interesse, daraus ein Langzeitprojekt zu machen. Wir wollen das so schnell beenden wie möglich.
Zwei Drittel der Deutschen stehen laut einer Umfrage hinter euch. Was wünscht ihr euch von denen?
Helfrich: Ich kann nur sagen: Kommt mit auf die Straße - auch die Erwachsenen. Es gibt ja auch "Parents for Future" ("Eltern für die Zukunft", Anm. d. Red.). Jeder kann uns unterstützen. Wir schaffen einen Bewusstseinswandel. Das merke ich bei den Jugendlichen und den Erwachsenen, dass viele bewusster leben und den Klimawandel wirklich als Bedrohung sehen.
Weber: Unsere Forderungen richten sich ja nicht an individuelle Verbraucher, sondern an die Politik. Deswegen ist der wichtigste Aufruf auch an Erwachsene: Solidarisiert euch, kommt mit auf die Demo und zeigt der Politik, dass ihr keine stille Mehrheit seid und dass man die nächsten Wahlen nur mit Klimaschutz gewinnen kann.
Ihr sprecht von Bewusstseinswandel. Euch wird aber von Kritikern vorgeworfen, ihr würdet für Klimaschutz demonstrieren, aber nicht danach leben.
Helfrich: Die meisten Jugendlichen, die da draußen stehen, könnten sich Besseres vorstellen, als bei Wind und Wetter zu demonstrieren. Das Argument, dass wir gegen unsere eigenen Forderungen leben, stimmt einfach nicht. Die Jugendlichen leben wirklich bewusst.
Während euch viele unterstützen, gibt es gerade im Internet laute Kritik. Wie erklärt ihr euch, dass es Menschen gibt, die auf euch so giftig reagieren?
Weber: Da gibt es ein ganzes Paket an Gründen. Wir fordern politische Veränderungen, die für jeden Einzelnen Konsequenzen hätten, das ist nicht bequem. Hinzu kommt, dass der Klimawandel nur international gelöst werden kann. Das geht nationalistischen Kräften gegen den Strich, weshalb sie das leugnen, statt es anzugehen. Und bei manchen kommt hinzu, dass das eine Bewegung ist, die von jungen Menschen - überwiegend jungen Frauen - getragen wird. Auf welcher Ebene die Kritik geäußert wird, sieht man ja daran, dass Greta aufgrund ihrer Asperger-Erkrankung angegriffen wird.
Welche Rolle spielt Greta Thunberg denn für euer Engagement?
Helfrich: Ich bewundere Greta für ihren Lebensstil, für die radikalen Forderungen, die sie an sich selbst stellt. Aber FFF ist so vielseitig. Deutschland- und weltweit haben wir viele Gesichter. Am 15. März waren mehr als 1,5 Millionen auf der ganzen Welt auf der Straße. Wir haben keine Leitperson.
Was war für euch der Auslöser, euch für Klimaschutz starkzumachen?
Helfrich: Ich hab den Klimawandel schon seit Jahren als Bedrohung für meine Zukunft gesehen. Aber ich wusste nicht, wo ich ansetzen sollte. Mit FFF habe ich eine Perspektive bekommen.
Weber: Persönlich war es bei mir eine Podiumsdiskussion. Da haben Wissenschaftler im Nebensatz fallenlassen, dass keiner von ihnen glaube, dass wir mit den derzeitigen Maßnahmen das Zwei-Grad-Ziel auch nur annähernd erreichen. Das fand ich erschreckend.

Anna Helfrich und Lukas Weber beim Gespräch mit der Rhein-Neckar-Zeitung. Foto: mün
Ein anderer Vorwurf, der euch immer wieder gemacht, ist: Ihr wollt nur die Schule schwänzen. Könntet ihr nicht auch nachmittags protestieren?
Helfrich: Niemand würde uns diese Aufmerksamkeit geben, wenn wir samstags demonstrieren würden. Wir schwänzen auch nicht, wir streiken. Und die meisten bekommen dafür unentschuldigte Fehltage - oder härtere Strafen. Dafür könnte man sich auch zuhause auf die Couch legen.
Bei eurer letzten Demo waren etwa 2800 Menschen in Heidelberg unterwegs. Das macht auch samstags Eindruck.
Weber: Das stimmt, aber das zerstört so ein bisschen die kausale Kette. Die Bewegung ist so groß geworden, weil sie so viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Und die kommt durch den zivilen Ungehorsam.
Das heißt, wenn jetzt zwei Wochen Osterferien sind, passiert erst mal nichts?
Helfrich: Doch, wir planen am 26. April eine Demonstration. Das ist der Freitag in der zweiten Osterferienwoche. Der Klimawandel macht ja auch keine Ferien.
Du sagst, die meisten bekommen viele Fehlstunden. Kannst du einschätzen, wie viele das bei dir werden?
Helfrich: Ja, viele!
Aber bei euch in der Waldorfschule gibt es keine Probleme?
Helfrich: Nee.
Weber: Sollte es auch an anderen Schulen nicht. Das Kultusministerium gibt jetzt einen Leitfaden "Demokratiebildung" raus. Darin steht ein Zitat von Frank-Walter Steinmeier: "Wir müssen uns für die Demokratie aufraffen" - mit einem Appell an die Mündigkeit. Und es gibt doch keinen schöneren Beweis der Mündigkeit, als sich aktiv politisch einzubringen für die eigene Zukunft.
Habt ihr hier schärfere Sanktionen durch Schulen mitbekommen?
Helfrich: Dass wirklich welche durchgesetzt wurden, nicht. Aber es wurde mit allem Möglichen gedroht. Das ist lächerlich. Die Politik sieht ja, was passieren muss, damit wir wieder in die Schule gehen. Statt über Schulpflicht könnte man ja über Nachhaltigkeit diskutieren.
In Heidelberg wird darüber diskutiert. Die Stadt sieht sich als Vorreiter beim Klimaschutz. Zu Recht?
Weber: Ich bin ehrlich gesagt überrascht, woher diese Einschätzung kommt. Heidelberg hat im Masterplan 100 Prozent Klimaschutz das Ziel formuliert, bis 2050 95 Prozent der CO2-Emissionen von 1990 einzusparen. Das passt schon nicht mit dem zusammen, was laut Weltklimarat nötig wäre, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Dafür müssen wir 2050 global auf Null sein - und wir als Industrienation noch früher.
Aber die Ziele sind ambitionierter als die, die sich die meisten Städte geben.
Helfrich: Heidelberg ist im Vergleich zu anderen Kommunen vielleicht einen Schritt weiter. Trotzdem ist das wirklich nicht ambitioniert.
Weber: Wichtiger ist auch die Frage, ob die Ziele umgesetzt werden. Und schaut man sich die Zahlen an - die aktuellsten sind von 2015 -, wird es noch trauriger. Da liegen wir acht Prozent unter den CO2-Emissionen von 1987. Das ist nicht viel. Das Institut für Energie- und Umweltfragen geht davon aus, dass Heidelberg 2050 bei zwischen 50 und 80 Prozent CO2-Reduktion liegt.
Wie lässt sich das ändern?
Weber: Die Stadt muss jetzt anfangen, klare für das langfristige Gesamtziel ausreichende Reduktionsziele für einzelne Sektoren - etwa Verkehr, Energie, Bauen - zu formulieren. Zu sagen: Bis 2025/2030 wollen wir in dem Bereich den konkreten Anteil CO2 einsparen. Dazu sollten sie dann Maßnahmen beschließen, von denen wissenschaftlich bescheinigt ist, dass man mit ihnen die Ziele erreichen kann.
Steht ihr in regelmäßigem Austausch mit der Stadt? Oberbürgermeister Eckart Würzner hat ja das Gespräch gesucht.
Helfrich: Bis jetzt nicht. Aber er könnte ja unsere Forderungen umsetzen. Er hat angeboten, uns zu unterstützen - und das kann er am besten mit Taten.
Weber: Aber wir hätten auch einen Vorschlag, wie man strukturell den Austausch mit der Verwaltung verbessern könnte.
Und zwar?
Weber: Wir fordern eine Ombudsperson für künftige Generationen. Sie soll bei Entscheidungen des Gemeinderates abschätzen, welche Folgen diese für nachfolgende Generationen hat. Kommt sie zu dem wissenschaftlich begründeten Schluss, dass es nicht vertretbare Nachteile gibt, soll sie Entscheidungen stoppen können.
Helfrich: Aber wie auf bundesweiter Ebene arbeiten wir auf kommunaler Ebene noch an Forderungen. Da kommt noch Einiges.