Fällung akut umsturzgefährdeter Bäume in Handschuhsheim
Weitere "Waldpflegearbeiten" will die Stadt Heidelberg erst im Spätjahr durchführen.

Heidelberg. (RNZ/rl) Aus Gründen der Sicherheit von Waldbesuchenden fällt die Stadt Heidelberg am morgigen Mittwoch im Handschuhsheimer Mühltal insgesamt 29 akut umsturzgefährdete Bäume. Das teilte die Stadt mit.
Hintergrund
Die wichtigsten Fakten zu den Forstarbeiten im Mühltal
Kranke Bäume: Leider sind die Bäume entlang der sehr beliebten Wanderwege bei weitem nicht alle gesund. Die dortigen Esskastanien sind überwiegend sogenannte durchgewachsene
Die wichtigsten Fakten zu den Forstarbeiten im Mühltal
Kranke Bäume: Leider sind die Bäume entlang der sehr beliebten Wanderwege bei weitem nicht alle gesund. Die dortigen Esskastanien sind überwiegend sogenannte durchgewachsene Stockausschläge, die an sich schon wenig stabil sind. Zudem sind sie nun durch Krankheiten und Schädlinge (Esskastanien-Gallwespe und Esskastanien-Rindenkrebs) befallen.
Biotop-Pflege: Mit den geplanten Maßnahmen sollen insbesondere die Biotope und Wiesen im Mühltal aufgewertet werden. Sie benötigen mehr Sonneneinstrahlung. Deshalb sollen einige Fichten entnommen werden. In den Biotopen leben Amphibien (Grasfrosch, Bergmolch und Feuersalmander) und Reptilien, zum Beispiel die Ringelnatter.
Mikroklima: Die Forstpflegearbeiten werden das Mikroklima nicht nachteilig verändern. Die Böden werden nicht austrocknen. Im Gegenteil: Durch die Entnahme von Bäumen reißt der kühlende Luftstrom aus dem Wald nicht ab, sondern dieser wird eher begünstigt. Die Bodenwassersättigung des Mühltals hängt zudem hauptsächlich von der Menge der Niederschläge und der Abflussmenge des Baches ab. Die Maßnahme soll die Flächen auch nicht verjüngen: Es sind gar keine Neupflanzungen geplant, auch nicht die Pflanzung schnell wachsender Baumarten.
Barrierefreiheit Talweg Sommerseite: Die neue Asphaltdecke auf dem Talweg Sommerseite steht in keinem Zusammenhang mit den Baumfällungen auf der anderen Talseite. Sie dient ausschließlich der besseren Begehbarkeit und Barrierefreiheit für mobilitätseingeschränkte Waldbesuchende (Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator) sowie für Familien mit Kinderwagen. Die Stadt ist hiermit einem Wunsch aus der Bürgerschaft nachgekommen. Die neue Asphaltdecke hat eine alte, in Auflösung befindliche Asphaltdecke ersetzt. Sie ist exakt genauso breit wie die alte Asphaltdecke. Für den forstwirtschaftlichen Verkehr ist der Weg unbedeutend.
Da die Waldfläche als Kinderspielfläche und Erholungsraum genutzt wird, sind nicht nur Bäume unmittelbar am Wegesrand potenziell gefährlich. Die meisten der kritischen Bäume stehen zwischen Talweg Winterseite und dem Bachlauf entlang des kleinen Fußwegs.
Vor dem Hintergrund massiver Beschwerden aus der Bürgerschaft finden die weiteren geplanten Forstarbeiten im Mühltal erst im Spätjahr 2021 statt. Dabei geht es um Verkehrssicherungsmaßnahmen, Biotop- und Waldpflegearbeiten. Ziel ist es, das Mühltal und seine Biotope aus Naturschutzsicht aufzuwerten.
Um mehr Verständnis für die Lage vor Ort zu schaffen, wollen die Experten des Landschafts- und Forstamtes die Maßnahmen im Vorfeld mit allen relevanten Gruppen diskutieren und das Vorgehen erläutern.
Die Stadt wird zu einer Begehung einladen – dies ist aber erst dann möglich, sobald die Corona-Lage es zulässt.
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Update: Dienstag, 2. Februar 2021, 18 Uhr
Appell für mehr Sachlichkeit in Diskussion um Baumfällungen
Vorstände des Stadtteilvereins Handschuhseim wollen Emotion aus Debatte nehmen - Erst Argumente kennen
Von Sarah Hinney
Heidelberg. Auch wenn die große Maßnahme vorerst auf Eis liegt – die Diskussionen um die Forstarbeiten im Mühltal gehen weiter und die Kritiker der Baumfällungen sind dabei nicht immer zimperlich in ihrer Wortwahl. Mit großem Interesse hat auch der Vorstand des Stadtteilvereins Handschuhsheim sowohl die Berichterstattung als auch die Leserbriefe in der RNZ über die geplanten Arbeiten verfolgt. Das teilt der Verein jetzt in einer Stellungnahme mit.
Die geplanten Forstarbeiten oberhalb Handschuhsheims hatten in den vergangenen Wochen für Diskussionen gesorgt. Hunderte Bäume sind dort mit roten Strichen markiert – ein Zeichen dafür, dass sie gefällt werden sollen. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger hatten zunächst auf Social-Media-Plattformen Kritik geäußert, später auch mehrere Leserbriefe an die RNZ gesandt. Vergangene Woche hat die Stadt darauf reagiert, ein Großteil der Arbeiten ist nun verschoben worden. Die Stadt wird jetzt erst mal nur jene Bäume fällen, die den Besucherinnen und Besuchern des Waldes gefährlich werden können – rund 30 Stück, größtenteils Esskastanien, die geschädigt seien. Die weiteren Forstarbeiten sollen dann erst im Spätjahr 2021 durchgeführt werden. Um mehr Verständnis für die Lage vor Ort zu schaffen, wollen die Experten des Landschafts- und Forstamtes die geplanten Maßnahmen im Vorfeld mit allen relevanten Gruppen diskutieren.
Die Vorsitzenden des Stadtteilsvereins, Gerhard Genthner und Jürgen Grieser, begrüßen die Entscheidung der Stadt, die Maßnahmen zu verschieben und das Vorgehen erläutern. Gleichzeitig wünsche sich die Vorstände aber weniger "Emotion" in der Diskussion.
"Bis zu einer gesicherten Informationslage sollte niemand ernsthaft davon ausgehen, dass sich das Landschafts- und Forstamt der Stadt Heidelberg den Kahlschlag des Mühltals auf seine Fahnen geschrieben hat", heißt es in der Stellungnahme. Bis dahin möge man – bei aller Berechtigung von Kritik und Auseinandersetzung – mit Begriffen wie "Wüste", "Verbrechen gegenüber Natur und Tieren", "dem Leben den Garaus machen", "Grün werde plattgemacht" und ähnlichem, bewusster umgehen, so der Stadtteilverein weiter. Und abschließend: "Bei der Diskussion um Bewahrung und Pflege des heimischen Waldes und des Klimaschutzes sollten wir uns die guten Absichten nicht von vorneherein absprechen, ohne die Argumente des anderen zu kennen."
Update: Montag, 18. Januar 2021
Viele Bäume im Mühltal bleiben stehen - vorerst
In den nächsten Tagen soll es nur sicherheitsrelevante Fällungen geben. Erst Verständnis für weitere Maßnahmen schaffen.
Von Sarah Hinney
Heidelberg. Die geplanten Forstarbeiten im Mühltal oberhalb Handschuhsheims haben hohe Wellen geschlagen. Hunderte Bäume sind dort mit roten Diagonalstrichen zur Fällung markiert – auf Sommer- wie Winterseite, aber auch in Richtung Drehscheibe und Handschuhsheimer Hütte. Für zahlreiche Bürgerinnen und Bürger ist das unverständlich.

Jetzt hat die Stadt reagiert und einen Teil der Arbeiten vorerst verschoben. Allerdings werden in den nächsten Tagen dennoch erste Bäume fallen. "Die Sicherheit der Waldbesuchenden hat höchste Priorität. Deshalb wird die Stadt im Mühltal in den kommenden Tagen diejenigen Bäume fällen, die den Besucherinnen und Besuchern des Waldes gefährlich werden können", heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Da die gesamte Waldfläche von Waldbesuchenden, insbesondere von spielenden Kindern, als Erholungsraum genutzt werde, seien nicht nur Bäume unmittelbar am Wegesrand potenziell gefährlich, so die Stadt weiter. Die meisten kritischen Bäume stünden zwischen Talweg Winterseite und dem Bachlauf entlang des kleinen Fußwegs. Tillmann Friederich, Abteilungsleiter Forst, erklärt auf RNZ-Nachfrage, dass es sich bei dieser aktuellen Maßnahme um rund 30 Bäume handle, größtenteils Esskastanien, die geschädigt seien.
Die weiteren Forstarbeiten sollen dann erst im Spätjahr 2021 durchgeführt werden. Laut Stadt geht es dabei auch um die Aufwertung des Mühltals und seiner Biotope aus Naturschutzsicht. Das bestätigt auch Friederich. Beispielsweise sollen einige Fichten entlang der Teiche und Wiesen entnommen werden, um dort mehr Lichteinfall zu ermöglichen. Um mehr Verständnis für die Lage vor Ort zu schaffen, wollen die Experten des Landschafts- und Forstamtes die Maßnahmen aber im Vorfeld mit allen relevanten Gruppen diskutieren und das Vorgehen erläutern. Die Stadt will zu einer Begehung einladen – dies sei aber erst möglich, sobald die Corona-Lage es zulasse.
Und was hat es mit den markierten Bäumen im oberen Bereich des Mühltals, beispielsweise in Richtung Drehscheibe, auf sich? Friederich erklärt, dass diese – ebenfalls verschobenen Fällungen – der "ganz normalen Durchforstung dienen" und nicht ungewöhnlich seien. "Wir haben jede Menge solcher Flächen im Wald", sagt Friederich und beruhigt: "Es sieht viel aus, aber es ist gar nicht so viel." Er betont aber, dass es im unteren Bereich des Mühltals ausschließlich um Biotoppflege und Verkehrssicherheit gehe und nicht um Forstwirtschaft. In diesem Zusammenhang weisen er und die Stadt auch die Vermutung von Waldbesuchern zurück, dass der untere Bereich der Sommerseite für Forstfahrzeuge frisch asphaltiert worden sei. Die neue Asphaltdecke ersetze lediglich eine alte. Sie sei genauso breit wie vorher und für forstwirtschaftlichen Verkehr unbedeutend. Dass der Weg breiter wirke, liege daran, dass der alte an den Seiten ausgefahren war, sagt Friederich.
Update: Mittwoch, 13. Januar 2021
Harsche Kritik an Baumfällungen im Mühltal
Laut Stadt dienen die Arbeiten der Sicherheit und dem Naturschutz. Heimatforscher Ludwig Haßlinger platzt der Kragen.
Von Sarah Hinney
Heidelberg. Das Mühltal ist wohl einer der idyllischsten Orte im Heidelberger Stadtwald. Lauschige Waldwege, saftige Wiesen und der Mühlbach, der sich seinen Weg gen Tal bahnt und mehrere Biotope speist, in denen Kröten und Molche eine Heimat finden. Auch der Feuersalamander fühlt sich hier wohl. Nicht nur zu Coronazeiten ist das Tal ein beliebtes Ausflugsziel.

Markierungen an zahlreichen Bäumen weisen jedoch darauf hin, dass die Idylle in Kürze von umfangreichen Forstarbeiten gestört werden könnte – dagegen regt sich jetzt vor allem in sozialen Netzwerken Widerstand. Aber auch dem Autor und Heimatforscher Ludwig Haßlinger platzt beim Thema Mühltal schier der Kragen.
Haßlinger ist 86 Jahre alt und kennt den Wald seit Kindertagen wie seine Westentasche. Der Handschuhsheimer ist täglich im Mühltal unterwegs, auch betreut er die Biotope dort seit vielen Jahren. 500 bis 600 Bäume, so schätzt er, sind im Moment zur Fällung markiert. Für Haßlinger ist das völlig unverständlich. "Die Waldwirtschaft hat sich verändert im Vergleich zu früher. Man legt jetzt parkähnliche Wälder an. Das ist für die Forstwirtschaft gut, aber das ganze Mühltal und die Quellen trocknen dadurch aus, diese Böden können kein Wasser mehr speichern", kritisiert der Heimatforscher.
Bei der Stadt sieht man das anders. Die geplanten Forstarbeiten dienten in erster Linie dem Schutz der Besucherinnen und Besucher des Waldes, teilt ein Sprecher auf RNZ-Anfrage mit. Dort stehende Esskastanien seien überwiegend "durchgewachsene Stockausschläge", die an sich schon wenig stabil seien und nun auch noch durch Krankheiten und Schädlinge, wie die Esskastanien-Gallwespe und den Esskastanien-Rindenkrebs, befallen seien. Die Sicherheit der Waldbesucher habe für die Stadt höchste Priorität.
Waldkenner Haßlinger widerspricht: Allein der Schädlingsbefall sei kein Grund zur Fällung. "Das ist vorauseilender Gehorsam. Bis so ein Baum wegen Schädlingen stirbt, dauert es zehn Jahre – und vielleicht erholt er sich auch wieder."
Laut Stadt sollen – abgesehen von den befallenen Esskastanien – auch "einige Fichten" entnommen werden. Dies diene der naturschutzfachlichen Aufwertung des Mühltals und seiner Biotope – es gehe bei der Maßnahme also auch um den Naturschutz. Eine nachteilige Veränderung des Mikroklimas im Mühltal und ein Austrocknen der Böden sei dadurch nicht zu erwarten: Die Bodenwassersättigung des Mühltals hänge primär von der Menge der Niederschläge und der Abflussmenge des Baches ab.
Auch das sieht Haßlinger anders. Seiner Meinung nach sind die Bäume enorm wichtig für das Klima. "Die Umlandgemeinden geben tausende Euro aus, um aufzuforsten, und unsere Heidelberger Forstwirtschaft schadet dem Wald mehr, als sie ihm nutzt."
Mit Argwohn beobachtete er auch bereits die breite Asphaltierung des Mühltalwegs "Sommerseite" in Richtung Strangwasenhütte. Im Nachbarschaftsnetzwerk "Nebenan.de" wurden von Bürgerinnen und Bürgern gar Vermutungen geäußert, der Waldweg sei nur deshalb asphaltiert worden, damit die großen Forstfahrzeuge Platz zum Abtransport der Bäume hätten. Die Stadt weist das zurück: Die Sanierungsarbeiten auf rund 600 Meter Länge stünden in keinem Zusammenhang mit den Forstmaßnahmen zur Sicherheit der Waldbesucher auf der anderen Talseite. Vielmehr sei der Weg saniert worden, um mobilitätseingeschränkten Waldbesucherinnen und -besuchern – also Rollstuhlfahrern, Menschen mit Rollatoren – sowie Familien mit Kinderwagen die Naherholung zu ermöglichen beziehungsweise barrierefreier zu gestalten. Haßlinger kontert: "Und warum hat man den Weg dann einen Meter verbreitert? Damit mehrere Rollstuhlfahrer nebeneinander fahren können?"
Der 86-Jährige wünscht sich, dass externe Fachleute die Situation im Mühltal begutachten. "Wir geben viel Geld für Klimawäldchen aus und ich finde das gut, aber es kann nicht sein, dass an anderer Stelle hunderte Bäume rausgeschlagen werden. Wir müssen wieder aufforsten", fordert er. Laut Stadt sind indes im Rahmen der Forstarbeiten keine Neupflanzungen geplant.
Update: Dienstag, 29. Dezember 2020