Christos "unvollkommenste Verpackung"?
1969 hüllte der Künstler das Amerika-Haus ein. Das Resultat glich einem "Notverband" und zog den Zorn vieler Menschen auf sich.

Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, der sich derzeit am westlichen Ende der Champs-Élysées in Paris bietet: Ein steinerner Koloss, eingepackt in ein perfekt auf die Konturen abgestimmtes Gewand. 250 Menschen – 90 von ihnen professionelle Kletterer – verhüllten den Arc de Triomphe, das 50 Meter hohe Nationaldenkmal Frankreichs, Mitte September mit riesigen Stoffbahnen von der Fläche dreier Fußballfelder. Sie erfüllten dem Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude damit posthum ihren Lebenstraum.
Weit weniger professionell ging es 1969 in Heidelberg zu. Damals hatte der Heidelberger Kunstverein die Ausstellung "Plastik der Gegenwart" geplant. Als Reaktion darauf organisierten der Grafiker Klaus Staeck und der Historiker Jochen Goetze das alternative Kunstfestival "intermedia ’69". Den Auftakt und das Wahrzeichen des Festivals markierte die Verhüllung des Amerika-Hauses (heute: Deutsch-Amerikanisches Institut) in der Sofienstraße – laut Künstler Staeck "die wahnsinnigste Veranstaltung, die ich je mitorganisiert habe".
Staeck hatte für die Verhüllung den Künstler Christo gewinnen können. Ursprünglich wollten sie das Heidelberger Schloss verpacken. Doch diese Idee "löste bei den Verantwortlichen jähes Entsetzen aus", erinnert sich Staeck in einem Beitrag für das 1984 erschienene Merian-Heft "Heidelberg". Das staatliche Liegenschaftsamt habe damals die Sorge geäußert, dass eine Verhüllung der Ruine dem Wind zu viel Angriffsfläche bieten und Mauern eingedrückt werden könnten. Also nahmen sich Staeck und seine Mitstreiter vor, stattdessen das Amerika-Haus einzupacken. Das dafür erforderliche Material lieferte ihnen die BASF, die zu diesem Zeitpunkt gerade eine neue Gitterfolie entwickelt hatte.
"In heiterer Stimmung traf Christo einen Tag vor der Aktion endlich ein", schreibt Staeck. Die "Empaquetage", das Einpacken des Gebäudes, begann am 15. Mai, Christi Himmelfahrt, um 6 Uhr morgens. Unterstützung erhielten die Künstler von mehreren Schülern und Studenten aus Heidelberg, die sich größtenteils ungesichert auf dem Dach des Amerika-Hauses bewegten.
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"Zunächst wurden alle Folienrollen aufs leicht abschüssige Dach geschleppt", so Staeck. "Auf einer Breitseite nahmen alle vor ihren Rollen Aufstellung und begannen, sie langsam zu entrollen. Unter Christos Anleitung wurde noch auf dem Dach mühselig Bahn um Bahn mit Draht aneinandergeknüpft." Doch das sperrige Gebäude bereitete dem Verpackungskünstler und seinen Gehilfen einige Mühen. Nachdem die Hülle heruntergelassen worden war, verfing sie sich an elektrischen Drähten und musste wieder zurück auf das Dach gezogen werden. "Bei einigen kam Zweifel an Christos technischen Planungen auf", erinnert sich Staeck. Erst am späten Nachmittag war das Werk weitgehend vollendet.
Das verpackte Amerika-Haus zog schnell den Zorn etlicher Menschen auf sich, die sich vor dem Gebäude versammelten, um über Sinn und Unsinn der Aktion zu diskutieren. "Die Polizei hatte vorsorglich die Straße abgesperrt. Volltrunkene rissen immer wieder an den noch frei herabhängenden Bahnen. Ein Teil unserer Mannschaft wurde abgestellt, um mit der immer aufgebrachten Menge zu diskutieren", so Staeck. Auf der Verpackungsfolie waren Sprüche wie "Publicity-Gag für die Amis" und "Amis raus aus Vietnam" zu lesen. Einige vermuteten gar die amerikanische CIA hinter dem Spektakel. Nur Christo selbst sei "völlig gelassen" geblieben – "als ginge ihn das Ganze gar nichts an", wie Staeck schreibt.
Drei Tage hielt die Verpackung. Von "deutscher Ordnung" war das Unternehmen laut Staeck nicht. Die Hülle habe mehr einem "Notverband" geglichen. Und sie kam die Künstler teuer zu stehen: Während der Arbeiten gingen Schieferplatten im Wert von über 10.000 Mark zu Bruch. Für den Schaden mussten die Veranstalter aufkommen. Christo sprach später nur noch ungern über sein Heidelberger Kunstwerk. Wahrscheinlich sei es seine "unvollkommenste Verpackung" gewesen, meint Staeck. "Sie passte aber wie keine andere in die Zeit und schuf so eine Faszination, die der Perfektion meist nur für Augenblicke gelingt."