Corona-Intensivstation

"Wir geben alles für die Patienten, aber diese Situation setzt auch uns zu"

Sterbebegleitung in Schutzausrüstung, Angst vor Ansteckung, emotionale Momente: Aus dem Alltag zweier Covid-Intensivpflegerinnen.

07.02.2021 UPDATE: 08.02.2021 09:33 Uhr 5 Minuten, 53 Sekunden
An vorderster Front: Die Intensivpflegerinnen Carina Schweitzer, stellvertretende Stationsleiterin, und Kristin Kleindieck (v.l.) kümmern sich in der Uniklinik um Corona-Patienten. Foto: Rothe

Von Anica Edinger

Heidelberg. In Heidelberg haben sich seit Beginn der Corona-Pandemie 3679 Menschen mit dem Virus infiziert. 3679: Das ist eine Zahl – und es ist doch viel mehr als das. Denn dahinter verbergen sich echte Geschichten von echten Menschen. Geschichten von Krankheit und Genesung, von Leben und Sterben.

Carina Schweitzer (31) und Kristin Kleindieck (29) sind damit täglich konfrontiert. Denn beide sind Krankenpflegerinnen auf der Covid-19-Intensivstation an der Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg. Sie waren dabei, als der erste Corona-Patient im Frühjahr 2020 in die Klinik kam, als die Pandemie Fahrt aufnahm, als sie abflachte und wieder aufflammte. Wie nimmt man die Krise wahr, wenn man an vorderster Front gegen sie ankämpft? Ein Gespräch über die Angst vor Ansteckung, über veränderte Arbeitsbedingungen, über das Leben – und den einsamen Tod.

Frau Schweitzer, Frau Kleindieck: Sie arbeiten seit dem ersten Covid-19-Fall auf der Corona-Intensivstation, erlebten die erste und zweite Welle mit, sahen Patienten nach dem Koma wieder aufwachen – und sahen Menschen mit der Krankheit sterben. Wie geht es Ihnen?

Schweitzer: Letztlich befinden wir uns alle in einem emotionalen Ausnahmezustand. Wir sind mitten in der Krise, wir funktionieren, wir sind professionell, wir geben alles für unsere Patienten. Aber jedem von uns setzt die Situation, die nun schon so lange andauert, auch sehr zu.

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Kleindieck: Das Thema Covid-19, die Pandemie, das beeinflusst unser ganzes Leben, jeden Tag: Wir arbeiten damit, wir reden darüber, wir lesen darüber in den Medien. Es ist schwer, den Kopf freizubekommen, sich davon zu erholen im Alltag.

Wie ist derzeit die Lage auf der Corona-Intensivstation der Uniklinik?

Schweitzer: Die Belegungszahlen spiegeln sich gut in der abfallenden Sieben-Tage-Inzidenz. Wir sind aktuell nicht voll belegt, die Aufnahmefrequenz von Notfällen nimmt auch etwas ab.

Kleindieck: Vor Weihnachten haben wir die zweite Welle besonders stark gespürt. Das war bislang die schwerste Zeit für uns alle, auch mit der Aussicht auf die Feiertage und mit der Ungewissheit, wie die Bevölkerung sich verhalten wird. Die Lockdown-Maßnahmen waren die einzig richtige Reaktion, um dem Geschehen Einhalt zu bieten. Wir sind froh, dass wir eine Regierung haben, die so bedacht vorgegangen ist. Ohne diese Reaktion wären wir überrollt worden.

Hintergrund

> Die Covid-19-Intensivstation in der Medizinischen Klinik im Neuenheimer Feld – in der Abteilung für Gastroenterologie und Infektionskrankheiten – gibt es seit März 2020.

> 17 Ärzte und 65 Pflegekräfte arbeiten auf der Covid-19-Intensivstation in der

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> Die Covid-19-Intensivstation in der Medizinischen Klinik im Neuenheimer Feld – in der Abteilung für Gastroenterologie und Infektionskrankheiten – gibt es seit März 2020.

> 17 Ärzte und 65 Pflegekräfte arbeiten auf der Covid-19-Intensivstation in der Medizinischen Klinik unter strengsten Schutz- und Isolierungsmaßnahmen.

> 220 Covid-19-Patientinnen und Patienten wurden seither dort behandelt.

> Der Altersdurchschnitt der Patienten lag bei 66 Jahren.

> Covid-19-Patienten werden am Uniklinikum außerdem in der Thoraxklinik, der Chirurgischen Klinik und der Orthopädie intensivmedizinisch behandelt.

> "Corona-Taxis" versorgen zusätzlich Menschen, die die Krankheit zu Hause auskurieren. ani

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Was sind in Ihrer Wahrnehmung die Unterschiede zwischen erster und zweiter Welle?

Schweitzer: In der ersten Welle herrschte meiner Auffassung nach noch viel mehr dieser kollektive Zusammenhalt, diese Einstellung: Wir halten jetzt ein paar Wochen zusammen, stehen das gemeinsam durch.

Kleindieck: Das Gesamtgefühl war ein anderes, das stimmt. Es gab aber auch viel mehr Unsicherheit, durch die Bilder aus Bergamo in Italien herrschte eine Art Bedrohungsgefühl. Mittlerweile sind wir in der Behandlung und der Forschung schon viel weiter.

Schweitzer: Auch die Patientenzusammensetzung hat sich geändert: In der ersten Welle hatten wir sehr viele ältere Patienten, jetzt gibt es eigentlich kein Altersmuster.

Das heißt, auch junge Menschen erkranken so schwer, dass sie auf die Intensivstation müssen?

Schweitzer: Ja! Wir haben Anfang 30-Jährige, Mitte 30-Jährige, 40-Jährige ... Viele davon haben schwere Lungenschäden und sind um einiges schwerer erkrankt als in der ersten Welle.

Kleindieck: Wir sehen aber auch, dass es hauptsächlich Männer trifft und Menschen mit Vorerkrankungen.

Wie sieht denn ein typischer Tag bei Ihnen auf der Intensivstation aus?

Schweitzer: Wir starten mit der Übergabe der Patienten. In der Regel liegen zwei Patienten in einem Zimmer und werden von einer Pflegekraft betreut. Das ist sehr aufwendig. Man braucht große fachliche Expertise und enorme Konzentration, denn vieles, was wir tun müssen, sind sogenannte High-Risk-Maßnahmen – also Prozeduren, die für die Patienten überlebensnotwendig sind und gleichzeitig besonders viele Aerosole generieren.
Das beginnt beim Intubieren, wonach die Patienten auf den Bauch gedreht werden müssen. Dafür brauchen wir bis zu sechs Personen. Wir müssen laufend kreislaufunterstützende Medikation verabreichen, die regelmäßig ausgetauscht werden muss.
Da viele Patienten im künstlichen Koma sind, müssen wir ständig auf den Bewusstseinsstatus achten. Da die Lungen bei Covid-19 häufig so schwer geschädigt sind – wir sehen da oft katastrophale Lungenbilder –, ist die Beatmung der Patienten sehr schwierig.
Wir arbeiten mit unterschiedlichen Methoden, etwa der sogenannten ECMO, da braucht es eine Eins-zu-eins-Betreuung. Zudem muss wegen der Isolation ständig ein Springer im Einsatz sein, der dem Pflegepersonal in den Zimmern zuarbeitet. Anders wäre ein reibungsloser Ablauf nicht stemmbar.

Wie werden Sie im direkten Kontakt mit den Corona-Patienten geschützt? Sind Sie bereits geimpft?

Kleindieck: Ich bin geimpft, auch schon zum zweiten Mal. Dennoch trage ich Schutzkleidung – außer, wenn ich für eine kurze Pause aus dem Zimmer gehe, da tragen wir aber weiterhin FFP2-Masken. Zur Schutzkleidung zählen etwa Handschuhe, FFP3-Masken, Gesichtsschild und ein wasserdichter Kittel. Man sieht von uns eigentlich nur noch die Augen. Unter der Schutzkleidung wird es schnell warm, das macht die Arbeit auch körperlich sehr anstrengend. Wir mussten uns alle daran gewöhnen und auch einiges dazu lernen – etwa lauter und deutlicher sprechen.

Schweitzer: Ich bin superstolz auf meine Abteilung, wie sie das alles geschafft hat im letzten Jahr! Wie sie Prozesse und Standards umgestellt und auf Corona-Patienten angepasst, wie sie umgedacht hat und dabei immer kreativ geblieben ist für Innovationen: Das war in dieser Krisensituation eine Meisterleistung!

Hatten Sie im letzten Jahr je Angst, zur Arbeit zu gehen?

Schweitzer: Kein Tag ist wie der andere in der Intensivmedizin, das sind wir gewöhnt, das macht die Arbeit spannend. In Bezug auf Corona war das alles noch eine Spur extremer. Und ja, diese Angst vor der Ansteckung kann man nicht abschalten, wenn man einmal gesehen hat, was diese Erkrankung anrichten, wie sie ausgehen kann.

Kleindieck: Jeder in der Abteilung ist auf jeden Fall erleichtert und dankbar, dass wir in der ersten Prioritätengruppe für die Impfung eingestuft wurden.

Schweitzer: Man liest ja in letzter Zeit häufiger, dass die Menschen in der Pflege nicht so impfbereit seien – das trifft bei uns überhaupt nicht zu.

Kleindieck: Dazu muss auch gesagt werden: Die Aufklärung am Uniklinikum zum Impfen ist sehr gut, man kann sich superausführlich informieren, etwa direkt bei der Virologie.

Was ist für Sie als Intensivkrankenpflegerinnen denn besonders belastend an der Situation?

Schweitzer: Die Isolation der Patienten, dass diese Menschen zum Teil ganz allein die Welt verlassen, ohne ihren Angehörigen Tschüss sagen zu können, das geht jedem von uns sehr nah. Wir versuchen deshalb, so gut es geht, die Angehörigen zu ersetzen, den Patienten das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind.

Kleindieck: Wir sind als Intensivpflegerinnen gut geschult in Sterbebegleitung. Doch diese hohe Frequenz an Patienten, diese Schicksale, die seit einem Jahr omnipräsent sind, das macht es schon schwerer. Aber wir haben zum Glück ein wirklich tolles Team und wir haben bereits viel möglich gemacht, damit unsere Patienten doch ein wenig Kontakt zu ihren Angehörigen haben können.

Wie denn zum Beispiel?

Schweitzer: Wir haben spezielle Telefone organisiert und wir haben ein iPad auf Station, über das man skypen kann. Das ist wichtig, da die Patienten bei uns zum Teil sehr lange bleiben müssen.

Sind das dann die besonders schönen Momente – wenn Patienten nach vielen Wochen ihre Angehörigen wiedersehen?

Kleindieck: Das kann tatsächlich superemotional sein. Einmal durfte ich in einem solchen Moment dabei sein: Ein Mann und seine Frau waren beide an Corona erkrankt, doch nur er lag bei uns auf der Intensivstation. Nach sechs Wochen und nachdem die beiden negativ getestet worden waren, haben sie sich wiedersehen dürfen, zwar nur in Schutzkleidung und nur für kurze Zeit – sie sind sich dennoch in die Arme gefallen und haben geweint. Da musste ich dann ein bisschen mitweinen.

Wie ist das, wenn die Patienten aus dem Koma wieder aufwachen – sind das auch solche emotionalen Momente?

Schweitzer: Dieses Aufwachen ist ein längerer Prozess, der auch von den Pflegenden viel abverlangt. Wir müssen die Patienten dahingehend abholen, dass sie keine Angst haben. Denn wenn sie langsam aufwachen nach wochenlangem Schlaf, wissen sie oft nicht, was mit ihnen passiert ist und können die Situation nicht einschätzen. Wir müssen sie dann zurück in die Realität überführen. Danach müssen sie alles wieder neu lernen: sprechen, sich bewegen, Zähne putzen, atmen. Auch in dieser Zeit sind wir für sie da.

Wünschen Sie sich für all diese Leistungen, für ihren täglichen Kampf, manchmal mehr Anerkennung?

Schweitzer: Klar ist: Der Politik muss endlich bewusst werden, wie wichtig unsere Berufsgruppe ist. So nett der Applaus im Frühjahr 2020 auch war, aber es muss jetzt ein echtes Umdenken einsetzen, das unserer Berufsgruppe gerecht wird.

Kleindieck: Ich wünsche mir für die Zukunft vor allem, dass diese Kreativität und der Innovationsraum, der uns im Zuge der Krise gewährt wurde, auch künftig bleibt. Das war wahnsinnig inspirierend. Ich bin jedenfalls total froh, hier zu sein und mitzuwirken, die Pandemie zu bekämpfen. Das Erlebnis mit den Patienten, die vielen schönen Momente, unser tolles Team geben einem so viel Auftrieb, dass man trotz des Stresses immer positiv bleiben kann.

Was würden Sie sogenannten Querdenken und Coronaleugnern gerne einmal sagen?

Schweitzer: Wenn ich an diese Menschen denke, bin ich einfach nur wütend. Ich lade alle recht herzlich zu uns auf die Station ein, damit sie sich die Patienten einmal ansehen können. Das sind die einzigen Worte, die ich für Coronaleugner und Querdenker übrig habe. Ansonsten sollte man ihnen meiner Ansicht nach keine Plattform geben.

Kleindieck: Wenn man Menschen auf der Straße sieht, die so tun, als gäbe es diese Erkrankung nicht: Das ist blanker Hohn – auch für alle Pflegekräfte, die täglich auf den Intensivstationen schuften.

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