"Eine Beleidigung von Angesicht zu Angesicht kostet mehr Überwindung"

Wie kommt es zum Shitstorm? Was muss sich ändern am digitalen Umgang miteinander? Ein Professor über Moral und Werte im Internet

30.01.2014 UPDATE: 30.01.2014 05:00 Uhr 2 Minuten, 43 Sekunden
'Eine Beleidigung von Angesicht zu Angesicht kostet mehr Überwindung'. Foto: dpa

Von Julie Dutkowski

Heidelberg. Der Jurist Tobias Keber (Foto: A. Krombholz) gehört zum dreiköpfigen Leitungsteam des Instituts für Digitale Ethik in Stuttgart. Das Institut will Standards für moralisches Handeln im Internet entwickeln.

Ist das Internet ein Raum ohne Regeln?

Das ist es natürlich nicht. In der Politik hören Sie ganz oft, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf. Das war es noch nie. Im Gegenteil gibt es ganz viele Normen. Diese kommen aber oft aus der analogen Welt und bilden das Digitale nicht so ab, wie sie es sollten. Da haben wir insbesondere im Urheberrecht Probleme. Das andere Problem ist, dass wir letztlich nicht mehr in territorialen Grenzen denken dürfen. Das ist das zentrale Problem des Internetrechts. Informationen halten sich nicht an Staatsgrenzen.

Beobachten Sie eine Zunahme von Beleidigungen im Netz?

Das Problem ist, dass das Netz Beleidigungen in großem Maß ermöglicht, was durch Anonymität begünstigt werden kann. Ein Phänomen taucht im Netz auf, das es so in der analogen Welt nicht gibt, nämlich den Shitstorm. Der einzelne Beitrag ist vielleicht nicht so schlimm, aber die Akkumulation aller Beiträge. Auf einmal geht es ganz schnell und keiner kann es mehr stoppen. Dann ist die Frage: Wer haftet dafür? Der Einzelne? Alle? Oder das Portal, auf dem der Shitstorm stattfindet?

Und was kann ich dagegen tun?

Ich habe schon mit Politikern gesprochen, die Opfer eines Shitstorms wurden. Da ist die Frage: Wie gehen Sie mit so etwas um? Das Interessante daran ist, dass das Recht Ihnen da kaum weiterhilft. Sie haben vielleicht einen Anspruch gegen einzelne, die die Steine werfen. Sollten diese anonym gepostet haben, kriegen sie die aber nicht. Das einzige, was Sie da tun können, ist ausharren und den Shitstorm vorüberziehen lassen. Sie müssen sich sagen, das ist eine Schlechtwetterfront im Cyberspace. Die muss ich eben hinnehmen.

Warum beteiligen sich Menschen an einem Shitstorm?

Da kommt die Digitale Ethik ins Spiel, die sich genau dies fragt. Warum werfen die die Steine? Eine Frage ist: Tun Sie das aus dem Schutz der Anonymität heraus?

Viele tun dies aber auch mit ihrem vollen Namen - plus Foto.

Richtig, auch andere Punkte spielen eine Rolle, wie die Distanz. Wenn Sie jemanden von Angesicht zu Angesicht beleidigen, kostet Sie das Überwindung. Sie können sehen, wie der andere reagiert. Dann überlegen Sie vielleicht zweimal, ob Sie ihn beleidigen. Im Netz kann man schneller schießen. Man sieht das Opfer ja nicht. Diese Distanzierung haben Sie auch im militärischen Bereich. Wenn Sie etwa Drohnen einsetzen, die Menschen töten, ist man noch weiter distanziert, als das früher in der Kriegsführung der Fall war. Wenn diese Drohnen dann auch noch selbst schießen, also niemand mehr am Joystick sitzt, ist das auch ein Fall für die Digitale Ethik.

Braucht es Vereinbarungen unter uns Usern. Wie sollen diese aussehen?

Es gab Ende der 90er Jahre die Declaration of Independence, eine Bewegung, die gesagt hat, im Cyberspace sollen die normalen Gesetze nicht gelten. Die User machen das so, wie sie das denken, und geben sich ein eigenes Gesetz. Wie soll das denn gehen? Schreiben wir da alle zusammen an einem großen Gesetzes-Wiki? Aber da müssten sich nicht nur die User einig sein, sondern auch die großen Unternehmen, die die Infrastruktur stellen, die Googles, die Amazons müssten mitmachen. Auch die großen Staaten. Alle an einen Tisch. Das versucht man schon bei den Vereinten Nationen, beim Multi Stakeholder Ansatz. Da müsste man gemeinsame Vereinbarungen finden.

Gelten im Netz andere Werte?

Man könnte ganz zynisch sagen: Die NSA hat es bestätigt - wir haben keine Privatheit mehr im Netz. Wir können in ganz großem Umfang abgehört werden, sowohl durch Staaten als auch durch Unternehmen. Die Privatheit ist tot, könnte man sagen. Aber dem treten wir ganz entschieden entgegen. Dass ein Wert mit Füßen getreten wird, bedeutet ja nicht, dass er nicht mehr existiert. Da könnte man auch sagen, wenn es viele Diebstähle im Kaufhaus gibt, schaffen wir die Strafnorm ab. Das ist ja Unsinn. Privatheit ist ein Wert, der auch im Netz gilt. Da ist natürlich auch der Gesetzgeber gefragt.

> Was muss sich ändern im digitalen Umgang miteinander?

Da würde ich sagen, Grundwerte wie Respekt, Vertrauen und Integrität gelten nicht nur in der analogen Welt. Sie sollten und müssen natürlich auch im Netz gelten.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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