Freiburg im Breisgau

Vauban ist Freiburgs grünster Teil

Der jüngste Stadtteil  zeigt wie eine nachhaltige urbane Zukunft aussehen kann

26.10.2020 UPDATE: 31.10.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 39 Sekunden
Das Quartier Vauban ist der neueste, teilweise autofreie Stadtteil im Süden der Stadt Freiburg im Breisgau mit rund 6000 Einwohnern. Fotos (2): Schoenen FWTM/Kartoffelhaus

Von Claudia Diemar

Pippi Langstrumpf tanzt auf den Zinnen einer Mauer. "Wir machen uns die Welt widdi-wie sie uns gefällt", steht auf der himmelblau getünchten Fassade an der Merzhauser Straße. Hier beginnt das Viertel Vauban und zwar sein noch ungebändigter Teil. Es duftet nach Pizza aus der Kantine der S.U.S.I., was für "Selbstorganisierte unabhängige Siedlungsinitiative" steht. Für wenige Euro gibt es hier für Vauban-Bewohner ein komplettes Mittagsessen. Gespeist wird in bunt zusammen gewürfeltem Sperrmüll-Mobiliar. Gleich daneben liegt das ehemalige Pförtnerhaus der französischen Streitkräfte.

Hintergrund

Anreise: Mit der Bahn in knapp 2 Stunden ab ca. 18 Euro pro Strecke, www.bahn.de Die Zugfahrt bedeutet eine Freisetzung von 0,69 kg Co2 (PKW auf gleicher Strecke = 24,1 kg Co2)

Mobil vor Ort: Eng getaktetes

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Anreise: Mit der Bahn in knapp 2 Stunden ab ca. 18 Euro pro Strecke, www.bahn.de Die Zugfahrt bedeutet eine Freisetzung von 0,69 kg Co2 (PKW auf gleicher Strecke = 24,1 kg Co2)

Mobil vor Ort: Eng getaktetes Straßenbahnnetz, www.vag-freiburg.de Fahrradausleihe über www.radstation-freiburg.de oder www.frelo-freiburg.de

Unterkunft: Green City Hotel Vauban im Stadtteil Vauban, modernes integratives und ökologisches Stadthotel, DZ ab 93 Euro, www.hotel-vauban.de

Best Western Premier Hotel Victoria, 4-Sterne-Haus in historischem Gebäude von 1875 zwischen Bahnhof und Zentrum, vielfach für seinen Umweltschutz ausgezeichnet, DZ ab 120 Euro, www.victoria.bestwestern.de

Essen & Trinken: Das "Süden" (www.restaurantsüden.de) ist der zentrale kulinarische Treffpunkt. Zwischen Innenstadt und Vauban empfiehlt sich das "Kartoffelhaus", www.daskartoffelhaus.de

Weitere Auskünfte unter www.visit.freiburg.de

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Sébastien le Prestre de Vauban war der Festungsarchitekt des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Ganz Frankreich hat der später geadelte Baumeister Vauban einst mit Dutzenden von Bollwerken überzogen. Auch in Freiburg ließ er Mauern und Bastionen fügen, nachdem die Stadt den Habsburgern entrissen und Teil der Grande Nation wurde. Viel später, nämlich nach dem 2. Weltkrieg, übernahm das französische Militär hier ein von der Wehrmacht errichtetes Kasernenareal, erweiterte und benannte es nach Vauban. Noch viel später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, zogen die Franzosen endgültig aus Freiburg ab. Direkt danach formierte sich hier eine Art Hüttendorf mit Bau- und Wohnwagen als alternative Lebensform.

Doch die Kommune beschließt, hier einen "richtigen" neuen Stadtteil entstehen zu lassen. Ein Teil der Kasernen wird abgerissen, andere werden vorbildlich energetisch saniert und dienen danach als Wohnraum für Studierende. Dann kommt der gebildete akademische Mittelstand, schließt sich in "Baugruppen" zusammen und fügt mit Holz und Stein sowie gut isolierten Fenstern und Solarmodulen seine Träume vom familiengerechten und nachhaltigen Leben. Von da an ist das Vauban nicht mehr wild, sondern en vogue.

Freiburg ist beliebt. Sonnenverwöhntes Klima, studentisch geprägt, in Sachen Nachhaltigkeit anderen Städten immer eine Nasenlänge voraus. Nicht nur die berühmten Freiburger "Bächle", also offenen Wasserkanälchen in der Altstadt, sind unbedingt erlebenswert, sondern vor allem der Münstermarkt. Täglich außer an Sonntagen sind die Stände rund um das ehrwürdige Münster aufgebaut. Biogemüse ist reichlich vertreten. Bioweine in Spitzenqualität werden mitten in der Stadt angebaut. Und das Vauban zeigt, wie eine nachhaltige urbane Zukunft aussehen könnte.

Begrünte Wohnhäuser, zum Teil im Passivhausstil.

"Vauban ist Freiburg hoch drei: Noch grüner, ökologischer, fahrradfreundlicher und esoterischer als Freiburg ohnehin ist", schrieb die Badische Zeitung 2002 zum zehnjährigen Bestehen des Viertels. Mittlerweile ist das Quartier eine Legende. Besuchergruppen aus aller Welt wollen mit eigenen Augen sehen, wie sich die "Green City" Freiburg im Vauban darstellt. Valérie Breteau, Mitarbeiterin der Innovation Academy e. V. und Freiburgerin mit französischen Wurzeln, zieht regelmäßig mit Delegationen durch das Viertel. Sie weiß, was die Besucher am meisten verwundert: Die Stille in den Straßen. Die selbst im studentischen Bereich ordentlich in Reih und Glied abgestellten Fahrräder. Die Tatsache, dass Spielzeug und Terrassenmobiliar nicht hinter Mauern und Zäunen weggesperrt wird und trotzdem nicht wegkommt. "Das Vauban erscheint vielen als ein Modell, wie wir zukünftig in Städten leben werden", fasst Valérie Breteau zusammen.

Autos dürfen bis heute nur zum Be- und Entladen in die Stichstraßen fahren. Ansonsten sind praktisch alle Fahrzeuge in zwei zentralen Parkhäusern versteckt. Für den Fall, dass diese einmal nicht mehr ausreichen sollten, gibt es ein Reservegrundstück für einen weiteren Bau. Der Platz dafür liegt neben der Endhaltestelle der Tram Nr. 3 und dient vorerst als "Wandelgarten" samt "Weidenpalast", einer Laube aus zu einer grünen Kuppel geformten Weidenbäumen. "Wer mitgärtnert, kann miternten", klärt ein Schild vor den Hochbeeten auf.

Eine riesige Erdäpfelvielfalt gibt es im Kartoffelhaus.

Nicht weit entfernt fließt der Dorfbach, auf einer Infotafel "Biotop §24 NatschG" genannt. Der Dorfbach im Schatten rauschender Baumkronen ist Idylle pur. Man möchte wieder Kind sein und hier spielen oder im Sommer in seinem klaren Wasser planschen dürfen. Gleich hinter dem von Stegen überwölbten Bach liegt der "Abenteuerhof" mit Tieren zum Anfassen und dem "Naturkindergarten Waldwiesel" sowie dem "Waldkindergarten Kleine Dachse". Doch auch für Erwachsene ist es der reinste Luxus, im Vauban ganze Straßenzüge ohne die übliche abgestellte Blecharmada zu sehen.

Am Paula-Modersohn-Platz stand bis 2011 die von der Stadt schließlich unter massivem Polizeieinsatz geschleifte Wagenburg. Auf dem umkämpften Grundstück erhebt sich heute das Green City Hotel, ein von Grünpflanzen überranktes Gebäude, dessen Innenausbauten aus heimischem Holz von Handwerkern aus der unmittelbaren Umgebung stammen. Dazu kommt ein inklusives Personalkonzept mit zehn behinderten Mitarbeitern. Das "Green City Vauban" ist also sozusagen eine rundum ökologisch und politisch korrekte Unterkunft. Nur ein paar Schritte sind es von hier zum zentralen Alfred-Döblin-Platz, dem "Freiluftsalon" des Vauban.

Einmal in der Woche wird hier ein Bauernmarkt abgehalten. Das ehemalige Offizierskasino am Platz nennt sich heute "Süden". Es fungiert als Café, Restaurant und Bar in einem. Täglich wird hier für kleines Geld je ein veganes, ein vegetarisches und ein "fleischliches" Mittagsgericht serviert. So sorgt man dafür, dass alle glücklich werden können. Selbst Reste der einst ausufernden Wagenburg mit uralten Last- oder Bauwagen existieren noch, in direkter Nachbarschaft zu den Studentenheimen.

Im Vauban gibt es bis heute keinen Metzger, dafür aber mehrere Second-Hand-Shops. Wichtigster Treffpunkt ist der Quartiersladen in der Art eines größeren Reformhauses. Doch das allein würde nicht zu Versorgung der rund 5 600 Bewohner ausreichen. Längst sind auch Supermarkt, Discounter und Drogeriemarkt vorhanden, allerdings nur an der Merzhauser Straße, die das Viertel begrenzt.

Ist das Vauban ein Reiseziel? Für die Delegationen aus aller Welt sowieso. Wenn sie allzu begeistert die Fassaden knipsen, holen manche Einwohner die Kamera hervor und schießen zurück. Wer das Vauban unauffällig besuchen, also gut getarnt erleben will, kommt am besten zur warmen Jahreszeit mit Kind und Kegel. Die Spielplätze in den "Grünspangen" stehen allen offen. Am Dorfbach lassen sich herrlich Staudämme bauen. Vielleicht darf man sogar ein wenig im Wandelgarten mitgärtnern. Ist ja fast alles möglich im Vauban.