Von Matthias Roth
Es gibt Dinge, die nimmt man sich sein Leben lang vor und realisiert sie doch nie. Seit über 20 Jahren fahren wir regelmäßig mehrfach im Jahr nach Münster in Nordrhein-Westfalen, der Heimat meiner Frau. Meist verbringen wir da nur ein "verlängertes Wochenende", häufig aufgrund von familiären Feierlichkeiten, und nie haben wir Zeit, einen Stopp einzulegen. Gefühlte 100 Mal sind wir etwa am Hinweisschild für das "Westfälische Versailles" bei Ascheberg an der A1 oder beim Wasserschloss Westerwinkel vorbei gefahren: Es war nie Gelegenheit, einfach mal auf die Bremse zu treten.
Bis jetzt. Die Umstände hatten sich so ergeben, und die Schwiegereltern freuten sich, als wir spontan vor der Tür standen und fragten, ob man bei ihnen Übernachtung mit Frühstück für eine Woche buchen könne. Münster selbst, die Stadt des Westfälischen Friedens, blieb außen vor: Rathaussaal, Picasso-Museum, das Buchantiquariat, in dem die "Wilsberg"-Krimis gedreht werden - das alles ist von zig Besuchen geläufig.
Das "Westfälische Versailles"
So führte unser erster Ausflug nach Nordkirchen. Seit dem 13. Jahrhundert ist hier ein Hof bekannt, im 16. gab es den Neubau einer Burg mit Wassergraben. Im 18. Jht. baute der Fürstbischof von Münster die Anlage aus und umgab sie mit einem Park. Der Architekt Johann Conrad Schlaun, in Münster wohlbekannt als Erbauer zahlreicher Repräsentativbauten, gestaltete 1725 die Gartenanlage in Nordkirchen und nahm sich dabei Oranienburg zum Vorbild. Schloss und Park haben sich äußerlich im Wesentlichen bis heute kaum verändert. Im Haupt- und in den Wirtschaftsgebäuden, die im typisch Münsteraner Backsteinbarock erbaut sind und durchaus verschwenderische Ausstrahlung besitzen, ist heute die Finanzhochschule des Landes untergebracht. In den Sommerwochen werden hier auch Musikfreizeiten durchgeführt. Die Innenräume, teilweise noch in originaler Ausstattung des 18. und 19. Jahrhunderts, sind daher nur an Sonn- und Feiertagen oder mit Anmeldung zu besichtigen. Doch die architektonische Anlage selbst und der großzügige, mit zahlreichen Skulpturen, Teichen und alten Bäumen bestückte Park lohnen den Besuch in jedem Fall. (www.nordkirchen. de/de/tourismus/schloss-park)
Lebendiges Mittelalter
Burg Vischering in Lüdinghausen war die einzige Wasserburg, die wir vor vielen Jahren schon einmal besucht hatten. Damals stand sie noch voller alter Möbel und Utensilien, die einen leicht rauchgeschwängerten Renaissancegeruch verbreiteten, wie man ihm auch in der Toscana begegnet. Nach mehrjährigem Umbau und gründlicher Restaurierung, ist Burg Vischering heute eine innen frisch gestylte, mit zahlreichen Computeranimationen, aber auch alten Originalstücken ausgestattete mittelalterliche Wasserburg, die das Leben und Wirken etwa bis zum Friedensschluss von 1648 dokumentierend aufbereitet. Diese von mehreren Wassergräben umgebene Rundburg ist optisch äußerst eindrucksvoll und in ihren Hauptbestandteilen fast komplett original erhalten: Begonnen wurde mit dem Bau 1271, das Torhaus ist eines der letzten Grundelemente, die 1519 erneuert wurden. Lebendiges Mittelalter auch in Lüdinghausen selbst, das lange hart umkämpft war. Davon zeugen zwei weitere Burgen im Ort, die in Resten erhalten sind. (www.burg-vischering.de)
"Tatort" in Schloss Harkotten
Um 1300 erbaute Heinrich II. von Korff eine Wasserburg. Seine beiden Söhne teilten das Gelände nach einem Würfelspiel in zwei Parzellen, und so ist Schloss Harkotten bei Sassenberg heute noch eine Doppelschlossanlage. Das östliche Schloss gehört seit 1615 bis heute den Freiherren von Ketteler und war lange Zeit Domizil des Designers Luigi Colani. Schloss Korff wird dagegen bis heute von der Familie Korff bewohnt: Ihr Herrenhaus war Drehort für den ersten Münster-"Tatort" mit Axel Prahl und Jan-Josef Liefers, der stilvolle Wappensaal lädt zu Kaffee und Kuchen ein und kann auch für kleinere Feierlichkeiten gemietet werden. Bei umfangreichen Renovierungsarbeiten wurden im Herrenhaus unter der Tapete Wandmalereien des Corvey’schen Hofmalers Bartscher aus dem frühen 19. Jh. entdeckt. Führungen werden von der Familie Korff selbst angeboten. (www.schlossharkotten.de)
Frühbarockes Landgut mit Golfclub
Seit mehreren Jahren ambitionierte Golfer, durfte Schloss Westerwinkel in unserer Rundreise nicht fehlen. Ein Wassergraben umgibt auch hier die alten Mauern. Seit dem 16. Jahrhundert in Besitz der Grafen von Merveldt, ist dieses frühbarocke Landgut innen ebenfalls nur mit Anmeldung zu besichtigen. Aber schon von außen ist diese kleine Anlage in ihrer seit etwa 1700 unveränderten Baustruktur und den großzügigen Obstplantagen ein Ort unbeschreiblich ruhiger Atmosphäre. Freilich: Wir kamen hier nicht allein wegen der barocken Bauten. Der 18-Loch-Golfplatz, der sich um dieses Wasserschloss herum schlängelt und immer wieder Blicke auf dieses freigibt, ist bei breiten Fairways mit etlichen (in diesem Sommer fast durchweg ausgetrockneten) Wasserhindernissen eine wunderbare Gelegenheit zur sportlichen Ertüchtigung und ein Naturerlebnis obendrein. Nach gut vier Stunden Parcours bietet ein erstklassiges Restaurant im Golfclub den nötigen Kalorien-Ausgleich. (www.gc-westerwinkel.de)
Wo Otto Modersohn malte
Vom flachen Land geht es bei Tecklenburg plötzlich in die Berge: Auf der A1 fährt man etwa 40 Kilometer in Richtung Osnabrück und zweigt dann ab. Aber die Landstraße ist natürlich viel schöner und oft von Alleen gesäumt. Der Ort ist malerisch verwinkelt und mit alten Fachwerkhäusern bestückt. Die große Burg ist Schauplatz sommerlicher Freilichtspiele, weswegen sie auch tagsüber meist geschlossen ist. Aber es gibt hier neben dem entzückenden Hauptplatz der Altstadt, den eine große, alte Linde ziert, zwei weitere bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten: Zunächst lohnt das Otto-Modersohn-Museum einen Besuch. Der Bruder des Malers wohnte hier, und der Künstler überlegte, ob er hier oder in Worpswede seine Malerkolonie gründen soll. Er entschied sich dann für Worpswede, aber hier stand er mit der Staffelei oft in der Landschaft und hielt diese mit flüchtigen Pinselstrichen fest. Einen ganz neuen Stil entwickelte er dabei, und in Sonderausstellungen werden seine Bilder oft zusammen mit anderen Künstlern präsentiert: Jetzt war es Gerhard Richter.
Um Haus Marck steht die Zeit still
Die zweite Sehenswürdigkeit Tecklenburgs ist das Haus Marck, das am Fuß des Berges liegt. Hier wurden die Vorverhandlungen zum Friedensschluss von 1648 geführt. Auf den ersten Blick scheint hier nicht viel geboten, aber nach einer Weile entfaltet dieser Gutshof, auf dem Friedrich von Bodelschwingh (1831- 1910) geboren wurde, der langjährige Leiter der nach ihm benannten v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, eine ungeheure Faszination. Ein holpriger kleiner Weg mit Originalbepflasterung des frühen 19. Jahrhunderts, von alten Bäumen begleitet, entfaltet die Atmosphäre einer unendlich viel langsamer vergehenden Zeit. Hier steht plötzlich alles still. Vielleicht, weil es hier keine Gastronomie gibt und wirklich ungestörte Ruhe herrscht. Ein Ort seltsamer Magie, an dem gelegentlich auch Konzerte oder andere Veranstaltungen durchgeführt werden. (www.haus-marck.de)