So manches Flugzeug hebt schon wieder zu fernen Reiseziele ab – etwa in Richtung Indischer Ozean. Foto: Andreas Arnold
Von Simone F. Lucas
Noch immer bleiben viele Flugzeuge am Boden. Der Flugverkehr kommt nur langsam wieder in Betrieb. "Früher warb die Lufthansa mit "#Say Yes To The World". Daraus klang Optimismus, der dazu einlud, die Welt zu entdecken", schrieb das "Handelsblatt": "Heute klingt das ganz anders, der Slogan lautet "#We Care, damit Sie unbesorgt fliegen". Der Wandel reflektiert die Ängste der Kunden, die bei Flugzeugen nicht mehr an Traumurlaub denken, sondern an Ansteckung mit Covid-19."
Laut der jüngsten Umfrage im Juni, die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des "Spiegel" unter 4700 Airline-Kunden machte, sind 83 Prozent weiterhin um ihre Corona-Sicherheit in Flugzeugen und Flughäfen besorgt. Bei einer identischen Umfrage im Februar hatten 78 Prozent Bedenken geäußert. Am meisten Angst bereitet Reisenden die Vorstellung, im Flugzeug neben einer mit dem Corona-Virus infizierten Person zu sitzen.
Auf solche Ängste reagieren die Fluglinien merkwürdig einheitlich: Fast gebetsmühlenartig versichern ihre Sprecher, die Luft im Flugzeug sei "so sauber wie im OP-Saal". Corona-sicheres Fliegen sei also auch ohne freien Mittelplatz kein Problem. Doch daran gibt es begründete Zweifel. Der Flugzeugbauforscher Professor Dr. Dieter Scholz sagt: "Wirklich sicher sind wir auf keinem Platz im Flugzeug. Wenn wir aber dicht neben einer erkrankten Person sitzen, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung besonders groß."
Die Maskenpflicht ändere daran nichts. "Die Masken können nur bei unvermeidbarer kurzzeitiger Begegnung unterhalb von 1,5 Metern helfen, aber nicht über Stunden im Flugzeug". Außerdem werde "ein wirksamer Fremd- und Eigenschutz nur durch filtrierende Halbmasken ohne Ausatemventil erreicht" – nötig wäre also eine FFP2-Maske mit mindestens 95 Prozent Schutzwirkung.
Sogenannte Community-Masken reichen auch nach Ansicht der europäischen Luftsicherheitsbehörde EASA nicht aus, um die Ansteckungsgefahr im Flugzeug zu bannen. Für Passagiere und Mitarbeiter sei vielmehr medizinischer Mund- und Nasenschutz wichtig. In den "Operarational Guidelines" wird außerdem empfohlen, durch freie Plätze Abstand im Flugzeug zu halten.
Familien und Mitglieder eines Haushalts sollten nebeneinander sitzen, heißt es. Passagiere sollten außerdem möglichst wenig Handgepäck mit an Bord nehmen. Laut der Vorgaben müssen sich die Fluglinien aber nur an diese Ratschläge halten, solange "die Zahl der Passagiere es erlaubt". Wenn das Flugzeug ausgebucht ist, können die Airlines also jeden Platz besetzen. Und das tun sie eben mit Verweis auf die "saubere Luft wie im OP-Saal".
Wie aber kommt es zu diesem Vergleich? Die einzige Gemeinsamkeit sind die sogenannten HEPA-Filter, "High Efficiency Particulate Air Filter", also Hochleistungsfilter, die sowohl im OP-Saal als auch im Flugzeug genutzt werden. Professor Scholz erklärt die Belüftung im Flugzeug so: "Die Luft wird im Triebwerk des Flugzeugs verdichtet, ungefiltert der Klimaanlage zugeführt und dort gekühlt. Anschließend strömt sie aus der Kabinendecke, zirkuliert im Kabinenquerschnitt und wird am Boden wieder abgesaugt. Etwa die Hälfte der zurückströmenden Luft verlässt das Flugzeug, die andere Hälfte wird durch Hochleistungsfilter geführt, die auch Viren zurückhalten können, und erneut in die Kabine eingebracht.
"Weil die Menschen aber dicht beieinander säßen”, könnten sich feinste Tröpfchen, Aerosole, die durch Husten, Niesen oder Sprechen entstehen, durch Turbulenz und Diffusion über die ganze Kabine verteilen. Auch das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass es in Flugzeugen zu einer Ansteckung kommen könnte, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit eher gering zu sein scheint. Nach Einschätzung von Professor Scholz beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit Covid-19 etwa 1 zu 1000. "Das ist die Wahrscheinlichkeit von vier Richtigen im Lotto." Immerhin wurden bereits Fälle von Virus-Übertragungen im Flugzeug dokumentiert. Mitte März etwa hat ein Infizierter auf einem dreistündigen Flug von Hongkong nach Peking 20 Personen angesteckt.
Nicht alle Fluglinien reagieren auf die Warnungen gleich. Delta Airlines hat bei einer Kundenbefragung große Besorgnis registriert, sich mit Covid-19 anzustecken. Daher garantiert die Airline einen Freiraum von einem benachbarten Sitz. Doch die meisten Fluggesellschaften, auch die europäischen, argumentieren vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gegen einen freien Mittelsitz.
Wer trotz aller Unwägbarkeiten fliegen möchte, sollte eine wirksame Maske tragen, sich einen Platz möglichst hinten und am Fenster suchen, wo man von den Verwirbelungen im Gang am wenigsten mitbekommt, rät Professor Scholz: "Schließen Sie die Luftdüse, um weitere Turbulenz zu vermeiden. Bleiben Sie im Sitz und gehen sie nicht unnötig umher."
Falls Sie sich nicht entscheiden können, verschieben Sie den Flug auf bessere Zeiten", rät der Experte. Das scheinen sich viele zu Herzen zu nehmen. Bei der oben zitierten Umfrage erklärten nur zwölf Prozent, dass sie mit ihrem nächsten Flug nicht länger warten wollten. 36 Prozent wollen ein halbes, 14 Prozent ein ganzes Jahr pausieren. Und fünf Prozent gaben an, ihre früheren Reisegewohnheiten in absehbarer Zeit gar nicht mehr aufnehmen zu wollen. Die Corona-Krise könnte so für die Airline-Industrie auch langfristig zum Problem werden.