Bad Frankhausen in Thüringen

Extrem schiefer Kirchturm und ein Panoramamuseum

Im thüringischen Bad Frankenhausen werden Perspektiven auf den Kopf gestellt.

22.01.2021 UPDATE: 25.01.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden
Schiefer Kirchturm im thüringischen Bad Frankenhausen. Fotos: Ekkehart Eichler

Von Ekkehart Eichler

Vier Meter sechzig. Als Weg auf dem Erdboden ein Sechs-Schritte-Klacks. Als Anakonda oder Alligator ein Killer im XXL-Format. Als Sonnenblume ebenso Weltrekord wie als Schneemann, doch noch spektakulärer werden vier Meter sechzig dann, wenn sie von der Norm abweichen und richtig ins Auge springen. Wie etwa in luftiger Höhe am Turm der Oberkirche im thüringischen Bad Frankenhausen.

Hintergrund

Anreise: Von Heidelberg über die A 5 und A 4 in knapp vier Stunden. Mit der Bahn bis nach Artern Bahnhof, dann mit dem Bus nach Bad Frankenhausen (insgesamt circa fünfeinhalb Stunden, mehrmals umsteigen)

Übernachtung: Hotel Thüringer Hof, DZ/F ab 94 Euro,

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Anreise: Von Heidelberg über die A 5 und A 4 in knapp vier Stunden. Mit der Bahn bis nach Artern Bahnhof, dann mit dem Bus nach Bad Frankenhausen (insgesamt circa fünfeinhalb Stunden, mehrmals umsteigen)

Übernachtung: Hotel Thüringer Hof, DZ/F ab 94 Euro, www.thueringer-hof.com;

Hotel Residenz, DZ/F ab 99 Euro, www.residenz-frankenhausen;

Panorama Museum: Trotz Öffnung momentan wegen Corona keine Führungen, umso mehr ist der Audioguide ein Muss (Kurzführung 25, Langführung 72 Minuten) (40/55 Minuten), www.panorama-museum.de

Schiefer Turm: Außengelände mit Info-Pavillon und Infotafeln frei begehbar, http://der-schiefe-turm.de

Ziele in der Umgebung: Kyffhäuser-Gebirge (Wandergebiet), Kyffhäuser-Denkmal, Barbarossahöhle, Barockdorf Bendeleben (noch ein schiefer Kirchturm), Stausee Kelbra (u.a. Kranich-Hotspot)

Weitere Infos: www.bad-frankenhausen.de, www.thueringen-entdecken.de

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Denn dieser Kirchturm steht schief. Und zwar so extrem, dass er jeden Moment umzustürzen scheint. Vielleicht auch längst umgefallen wäre, hätten nicht findige Köpfe dem dramatischen Drang zum Abkippen statisch Einhalt geboten. Fakt jedenfalls ist: Der Kirchturm von Bad Frankenhausen weicht um genau jene ominösen 4,60 Meter von der Lotrechten ab, womit er nicht nur locker den populären Bruder in Pisa übertrifft. Mit fast fünf Grad Neigung steht er auch schiefer als fast alle anderen schiefen Türme auf der Welt. Besonders eindrucksvoll übrigens immer dann, wenn man Mauern, Häuserkanten oder Laternenmasten als vertikale Referenzmaße zum optischen Vergleich bemüht.

Die Ursachen für das Dilemma liegen tief. Im wahrsten Wortsinn. Denn weit unter Bad Frankenhausen löst Wasser Salz- und Gips-Gestein auf, was zu Hohlraumbildungen und Senkungen führt. Von dieser geologisch instabilen "Kyffhäuser-Südrandstörung" freilich ahnt Baumeister Friedrich Halle nichts, als er die Kirche "Unserer Lieben Frauen am Berge" 1382 fertig stellt. Und so gibt im Laufe der Zeit der Untergrund unter den 2.300 Tonnen Bauwerkslast immer mehr nach, und der 56 Meter hohe Turm wird sichtbar schiefer und schiefer.

Erstmals erwähnt wird die Abweichung 1640. Im Jahr 1760 soll eine neue barocke Turmhaube die Neigung bautechnisch auffangen – das macht den Anblick heute noch kurioser. Mit einer Vielzahl baulicher Maßnahmen will man im 20. Jahrhundert den Turm retten, so kommen etwa Stützpfeiler zum Einsatz, Ringanker und Flüssigbeton zum Verdichten des Untergrundes.

2011 scheint sein Schicksal trotzdem besiegelt. Die Sanierungskosten sprengen alle Budgets – der Abriss scheint unvermeidlich. In buchstäblich letzter Minute kauft die Stadt den Turm für einen symbolischen Euro, das Land Thüringen finanziert ein Stützkorsett sowie Stützpfeiler, mit denen die weitere Seitwärtsdrift aufgehalten werden soll. Das ist inzwischen getan. Und auch wenn Bad Frankenhausens schiefer Turm wohl auch weiterhin ein bautechnisches Sorgenkind bleiben wird, so ist er doch ein einmaliges Wahrzeichen mit hohem Wiedererkennungswert.

Das Panorama Museum hoch über Bad Frankenhausen beherbergt eines der größten und grandiosesten Gemälde der Welt.

Neben diesem Kuriosum hat die Kleinstadt aber noch ein ganz anderes Kaliber auf ihrer Attraktionskarte: das Panorama Museum hoch über der Stadt. Exakt hier hatten sich im Mai 1525 mehr als 8.000 Aufständische versammelt, um Recht und Freiheit mit Waffengewalt zu erzwingen. Angeführt vom radikalen Reformer und Feldprediger Thomas Müntzer, der zum Kampf gegen die gottlosen Herrscher-Tyrannen aufrief. Doch die Landsknechte des Fürstenheeres machten kurzen Prozess mit den unterlegenen Bauern, metzelten 6.000 gnadenlos nieder und nahmen Müntzer gefangen. Erst gefoltert in der Festung Heldrungen wurde er nur Tage später vor den Toren von Mühlhausen enthauptet, sein Leib aufgespießt, sein Kopf gepfählt.

Zentrales Element des Bildes ist die Schlacht von Frankenhausen im Mai 1525.

Aus dem Geschichtsverständnis der DDR heraus wurde Anfang der 1970er Jahre der Beschluss gefasst, am Ort der Entscheidungsschlacht eine Gedenkstätte zu errichten. Mit einem Bauernkriegs-Panorama als zentralem Element. Den Auftrag erhielt der Leipziger Maler Werner Tübke, der nach jahrelanger Vorbereitung 1983 mit den Arbeiten in der Rotunde begann. Auf einer im Kreis gespannten Riesenleinwand von 14 mal 123 Metern – das entspricht der Höhe eines vierstöckigen Hauses und der Länge einer mittleren Straße. Insgesamt unfassbare 1.700 Quadratmeter Malfläche, die aber nicht allein wegen ihrer Größe schier übermenschlich scheint. Auch thematisch-inhaltlich sprengt Tübkes Gemälde jegliche bekannte Dimension. Zeigt es doch zum einen den gewaltigen Umbruch vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit, verhandelt zugleich aber auch Grundthemen der Menschheit wie Liebe und Hass, Geburt und Tod.

Wer die Rotunde zum ersten Mal betritt, wird erschlagen, erschüttert, verwirrt, überwältigt. Wo anfangen, wo aufhören in diesem Giganten-Bilderring, der den Betrachter bannt mit Zauberkraft.

Und so hinterließ Werner Tübke hier nicht nur eines der größten und figurenreichsten Gemälde der Kunstgeschichte, seine "Sixtina des Nordens" begeistert und berührt gleichermaßen auch als fantastisches Universum menschlicher Leidenschaften zwischen Karneval und Totentanz. Ein Bilddom, der einlädt zum Staunen und Entdecken, zum Verweilen und Nachdenken, zum Innehalten und Träumen. Oder anders gesagt: Kunst, die sprachlos macht. Beim schiefen Turm gleich um die Ecke.