Weltarchitekturhauptstadt Kopenhagen

Skifahren im Grünen

Als Weltarchitekturhauptstadt des Jahres zeigt Kopenhagen, dass auch eine Müllverbrennungsanlage zum beliebten Ausflugsziel werden kann.

16.09.2023 UPDATE: 16.09.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 34 Sekunden
Das Dach der Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen ist eine Skipiste. Foto: Rasmus Hjortshoj

Von Klaus Pfenning

Kopenhagen liegt nur wenige Meter über dem Meer. Dennoch kann man hier Skifahren. Das ganze Jahr über. Im Freien. Auf dem Dach einer Müllverbrennungsanlage. Wenn auch nur auf einer 400 Meter langen "Piste" und grünen Plastikmatten. Und wer will, der hangelt sich zum Start an der aluminiumverkleideten Außenwand der Anlage 86 Meter senkrecht die weltweit größte Kletterwand empor. Die Freizeitanlage "Copenhill" ist vielleicht das beste Beispiel dafür, dass man bei unserem nördlichen Nachbarn architektonisch etwas anders denkt und handelt als in vielen anderen Städten dieser Welt. Formloser, freier, frecher, fulminanter, furioser. Unten gibt es einen Skiverleih, weiter oben einen Tellerlift, am "Gipfel" die Skihütte "La vue" mit kaltem Bier vom Fass und heißem Lumumba, Kakao mit einem Schuss Rum.

Hintergrund

Infos:

Anreise: Von Frankfurt und von Stuttgart aus gibt es tägliche Verbindungen nach Kopenhagen. Mit dem Auto sind es rund 900 Kilometer, dazu kommt die Fähre zwischen Puttgarden auf der Insel Fehmarn und dem dänischen Rodbyhavn.

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Infos:

Anreise: Von Frankfurt und von Stuttgart aus gibt es tägliche Verbindungen nach Kopenhagen. Mit dem Auto sind es rund 900 Kilometer, dazu kommt die Fähre zwischen Puttgarden auf der Insel Fehmarn und dem dänischen Rodbyhavn. Fahrzeit: etwa 10 Stunden. Der Zug braucht von Heidelberg nach Kopenhagen zwischen elf und zwölf Stunden. Bei den meisten Verbindungen muss man mehrfach umsteigen.

Unterkunft: Wie jede andere Großstadt bietet auch Kopenhagen zahlreiche Unterkünfte vom Privatquartier bis zum Fünf-Sterne-Haus. Im zentral gelegenen Hotel NH Collection kostet die Übernachtung für zwei Personen im DZ ca. 250 Euro.

Mobilität: Die meisten Sehenswürdigkeiten liegen zentral und können bequem zu Fuß erreicht werden. Mit Metro und Bussen ist der ÖPNV darüber hinaus sehr gut ausgebaut. Auch mit einem Leihfahrrad macht das Erkunden Kopenhagens Spaß.

Kosten: Wie in allen skandinavischen Ländern liegen die Lebenshaltungskosten teils deutlich über denen in Deutschland. Das gilt auch für Hotels sowie für Restaurantbesuche, vor allem bei alkoholischen Getränken.

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Als Hafenstadt war Kopenhagen noch vor 30 Jahren mit seiner Schmuddeligkeit so eine Art skandinavisches Liverpool. In den Neunzigern begann das Umdenken, nicht nur hier. Noch vor der Hamburger Hafencity starteten die Kopenhagener mit der Transformation ihrer zentralen Hafengelände. Die Stadt hat davon nicht nur eins, sondern gleich drei. Für die Becken nahe der Innenstadt sah der Masterplan in erster Linie den Bau kultureller Einrichtungen vor, im Norden und Süden dagegen fürs Wohnen und Arbeiten.

Kaum begonnen, machte man aber auch schon die ersten Fehler. Gebaut wurden zunächst Bürogebäude und Hotels an einer öden Hafenkante, die nach Feierabend wie ausgestorben wirkte. Heute sieht das ganz anders aus. Die Gebäude stehen zwar noch immer, aber die Stadt lebt jetzt mit dem Wasser. Es gibt geschwungene Holzstege über dem Wasser, Plätze zum Baden, es gibt Restaurants, kleine Bars, Schwimmplattformen (Pontons) und – ähnlich verrückt wie die Skipiste – eine Sprungschanze für Kajaks, dazu gleich daneben eine schwimmende kleine Sauna. Die Dänen baden gerne auch im Winter im Freien, selbst bei Temperaturen um die null Grad und eisigem Ostwind. Frisch, nicht fromm, aber fröhlich und frei.

"Das Gefühl für Design und Architektur ist in Dänemark größer als in Deutschland", meint Ulrich Pohl vom renommierten Architekturbüro Cobe, das Teilen des "neuen" Kopenhagen seinen Stempel aufgedrückt hat. Pohl ist 45 Jahre alt, stammt ursprünglich aus Braunschweig. Über Berlin und Wien fand er nicht nur seine architektonische Heimat vor einigen Jahren in Kopenhagen. Das Architekturbüro liegt im Nordhafen und ist mit der führerlosen Metro von der Innenstadt aus schnell zu erreichen.

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Das rund zwei Quadratkilometer große Areal mit seinen vier Hafenbecken und etlichen Kanälen gilt als Zukunftsstadtteil, bei dem Wohnen, Arbeiten und Freizeit einmal nicht länger als fünf Radminuten voneinander entfernt sein sollen. Noch ist er am Wachsen. In wenigen Jahren sollen dort einmal 40.000 Menschen wohnen, leben und arbeiten. Mit dem Rad soll alles innerhalb von höchstens 15 Minuten zu erreichen sein. Ohnehin, so das Ziel der Stadtplaner, soll in Kopenhagen möglichst alles zu Fuß, mit dem Rad, der Metro oder dem Bus zurückgelegt werden. Dem Autoverkehr misst man nur noch eine untergeordnete Rolle zu. Schon heute nutzen rund 60 Prozent der Einwohner täglich das Fahrrad, aber nur zehn Prozent ihren vierrädrigen Untersatz.

Die Freizeitanlage „Copenhill“ ist einen vielgenutzte Attraktion. Foto: Rasmus Hjorts

Von seinem Büro aus blickt Ulrich Pohl über eines der Hafenbecken hinüber zur Internationalen Schule. Sie sieht nicht aus wie eine Schule, sondern wie ein Containerschiff, mit einem Pausenhof "an Deck". Die Schule ist eines von zahllosen Beispielen, wie in Kopenhagen Architektur neu gedacht wird. Das unansehnliche Verwaltungsgebäude einer ehemaligen Schiffswerft verwandelten die Architekten in ein Luxushotel, ein früheres Silo in hochwertigen Wohnraum. Ein stylishes Restaurant auf dem Dach eröffnet den Blick über die Öresund-Brücke hinüber nach Schweden. Nebenan tummeln sich Kinder auf einem Spielplatz – auf dem Dach eines großen Parkhauses, die Fassade aus kontrolliert verrostetem Corten-Stahl.

Ein anderes Parkhaus erinnert mit seiner Holzfassade an ein Hochregallager von Alnatura. Eine Betonfassade hätte es auch getan, "aber wir pflegen hier in Kopenhagen eine hedonistische Nachhaltigkeit", lächelt Jesper Boye vom weltweit tätigen Architekturbüro BIG, das auch das futuristische Google Headquarter im kalifornischen Mountain View entworfen hat. "Man bekommt hier keine Baugenehmigung mehr, ohne eine Life-Cycle-Analyse des Projektes vorzulegen", ergänzt sein Kollege Pohl. In Kopenhagen braucht man keine ausländischen Stararchitekten wie Sir Norman Foster, David Chipperfield oder Santiago Calatrava im benachbarten Malmö. In Dänemark gibt es genügend einheimische Architekten mit vergleichsweise kleinen Namen, dafür aber großen Ideen.

Dänemark hat nur etwa halb so viele Einwohner wie Baden-Württemberg. Welchen Stellenwert Architektur für das kleine Land zwischen Nord- und Ostsee besitzt, zeigt sich schon an der Existenz des Danish Architecture Center (DAC). Das 2018 eingeweihte, aus mehreren Kuben zusammengesetzte Zentrum bietet Kultur, Kommunikation, Wohnen, Arbeiten, Essen, Trinken und Sport treiben unter einem Dach. "Wir müssen auch in Sachen Architektur radikal umdenken", fordert DAC-Kuratorin Tanja Lindkvist, "gerade in Zeiten des Klimawandels und dem Streben hin zur Nachhaltigkeit." Kopenhagen setzte sich zum Ziel, bis 2025 CO2-neutral und bis 2035 CO2-positiv zu sein. Im Jahr 2022 hat die Stadt jedoch ihr Ziel für 2025 wieder aufgegeben.

Architektur habe sich den Menschen unterzuordnen, nicht die Menschen der Architektur", lautet Lindkvists unverhandelbares Credo. Und: Architektur müsse eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, egal ob im Flughafen, am Arbeitsplatz oder im Krankenhaus. Der Kopenhagener Flughafen beispielsweise empfängt nicht mit einem Standard-Industriefußboden. Sondern mit einem aus dunklem, warmen Holz.

Neue Architektur in Kopenhagen – ein Führer listet dazu nicht weniger als 100 Hingucker auf. Wenn es dabei eines nicht gibt, dann Uniformität. Ganz im Gegenteil: da gibt es Fachwerk neben Glasfassade, moderne Reihenhäuser neben runden Türmen, Backstein neben schwarzem Kubus. Der "Schwarze Diamant", die Königliche Nationalbibliothek, präsentiert sich von außen als dunkel, kantig und abweisend, von innen dagegen hell, freundlich und beschwingt. Kopenhagen möchte keine Ghettos, auch keine architektonischen. Eigene Meisterwerke der Architektur sind geschwungene Rad- und Fußgängerbrücken über die Hafenbecken.

Im Architekturzentrum kontrolliert niemand die Eintrittskarten, in der Bibliothek ist der Zugang zu Regalen voller historischer Bücher auch für Passanten unkontrolliert möglich. Kopenhagen ist irgendwie anders. Dass auch das "Noma", das vielleicht beste Restaurant der Welt überhaupt, Teil dieses Hafen-Gesamtkunstwerks ist, darf nicht überraschen.

Kopenhagen hat sich zwischenzeitlich zu einem Pilgerort für Architekten entwickelt. In diesem Jahr kamen noch einmal sehr viel mehr Besucher: Die Unesco hatte die Stadt zur "Welt-Architekturhauptstadt 2023" ausgerufen. "Da wurde ein Traum für uns wahr", strahlt Kopenhagens Oberbürgermeisterin Sophie Haestorp Andersen. Durchgeführt wurden und werden mehr als 300 Veranstaltungen rund um das Thema Architektur. Höhepunkt war im Juli ein Weltkongress, zu dem mehr als 10.000 Architekten aus aller Welt in die dänische Hauptstadt kamen. Das Treffen diente gleichermaßen als Biotop, Experimentierfeld und Freilichtmuseum für Architekturstile unterschiedlichster Art.

Skipiste und Schauspielhaus hin, Silo und Bibliothek her – einer der "architektonischen" Hauptmagneten der Stadt ist etwas ganz anderes: die "Freistadt Christiania" nahe der City. Auf einem ehemaligen Militärgelände entstand in der Spät-68er-Zeit handstreichartig ein alternatives Wohnprojekt mit sehr viel bunter und vielfältiger Architektur, für die es meist gar keine Architekten brauchte. Hippies und Haschisch beherrschten damals die Szenerie, die keinerlei Masterplan kannte. Die 68er sind größtenteils schon in Rente, dennoch leben heute noch immer rund 1000 Menschen in diesem selbstverwalteten, organisierten Chaos.

Von der Stadt sind sie geduldet. "Wir reden miteinander", sagt die Oberbürgermeisterin etwas schmallippig. Christiania gehört zu Kopenhagen wie der ebenfalls zentrumsnahe Vergnügungspark Tivoli. Und ist vielleicht das beste Beispiel für das extrem bunte Neben- und Miteinander in der dänischen Hauptstadt.