Wo einst die Paella entstand
Südlich von Valencia wird der Reisfür das bekannte Gericht angebaut

Von Beate Baum
Paella zum Frühstück? Auch wenn es sich bei dem Büfett im Hotel um eine Variante ohne Schnecken handelt, verzichten wir lieber. Registrieren aber natürlich, wie allgegenwärtig das Reisgericht in Valencia ist. Die Stadt an Spaniens Ostküste entstand bereits in der Antike – und sie ist heute eine pulsierende, sehr jugendliche Metropole. Im Mittelalter war Valencia durch die edle und teure Seide, die hier gesponnen wurde, die reichste Stadt Europas. Heutige Besucher staunen über die architektonische Pracht; sinnieren, ob die Kathedrale, die große Markthalle oder der Hauptbahnhof am beeindruckendsten sind. Und sie genießen den einzigartigen Stadtpark, der sich im trocken gelegten Flussbett des Túria neun Kilometer lang um die Altstadt zieht. Aber es gibt noch eine andere Besonderheit der drittgrößten Stadt Spaniens: Nur zehn Kilometer hinter der heutigen Ortsgrenze entstand die Paella.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, die große Reispfanne als spanisches Nationalgericht anzusehen. Sie ist das der Provinz Valencia, darauf beharren deren Bewohner voller Stolz, und sie zeigen einem gern die Gegend, in der die Mahlzeit ihren Ursprung hat: den großen See Albufera südlich der Provinzhauptstadt, wo der Reis angebaut wird, und die fruchtbaren Gärten der Umgebung, aus denen das Gemüse, in früherer Zeit auch Kaninchen und Hühner sowie die Gehäuseschnecken kamen.
Natürlich gibt es das Gericht heute in unzähligen Variationen überall auf der iberischen Halbinsel. In die Paella Valenciana kommen jedoch lediglich die Zutaten, die die Menschen in der Albufera – der den See umgebende Naturpark trägt den gleichen Namen – früher zur Verfügung hatten. "Der Reisanbau ist ein Erbe der Araber – wie so vieles in Spanien", erklärt Tony Landete, den wir in der entweihten Kirche Tancat auf einem Hügel inmitten der Reisfelder treffen. Dort ist eine Küche aus längst vergangenen Zeiten nachgebaut, eine jener Küchen, in denen die Paella einst über offenem Feuer zubereitet wurde. Tony Landete ist Direktor des alljährlich im September stattfindenden Paella-Wettbewerbs, bei dem Köchinnen und Köche aus aller Welt um den Titel des besten Paella-Valenciana-Kochs wetteifern. "Da wir heute kein Feuer in der Küche machen können, findet der Wettbewerb in einem Park in Sueca statt", führt er aus. Gekocht wird in Eisenpfannen und mit all den traditionellen, lokalen Zutaten, nach einem vorgegebenen Rezept.
Das Marschland der Reisfelder ist durchzogen von Wander- und Radwegen – eine hervorragende Möglichkeit, einen Stadtaufenthalt in Valencia mit einem Ausflug in diese ländliche, sinnlich erfahrbare Welt zu kombinieren. Normalerweise werden die Reissamen im März ausgestreut, mitunter sieht man jedoch auch Arbeiter, die vorgezogene Pflanzen in die sumpfige Erde geben. In der Luft liegt ein Geruch ähnlich dem von Getreidefeldern, und ständig sind Vogelrufe zu hören. 350 Arten leben dauerhaft oder auf Zeit in dem Marschgebiet, darunter so seltene Tiere wie Dünnschnabelmöwen und Drosselrohrsänger. Häufig ziehen ganze Flamingoschwärme über die Ebene.
"Kleines Meer", so wird der Name Albufera übersetzt, und der See ist tatsächlich riesig, auch wenn im Laufe der Jahrzehnte immer mehr mit Land aufgeschüttet wurde, um die Flächen für den Reisanbau zu vergrößern. Nach wie vor ist jedoch eine Fahrt mit einem der flachen Besichtigungskähne ein Erlebnis. Alex Ribera, der als Gästeführer und Fischer arbeitet, stakt uns zwischen hoch aufragendem Schilf durch das Wasser, aus dem immer wieder Meeräschen springen. Entenfamilien paddeln aufgeregt umher, über uns kreist ein Adler, der es vielleicht genau auf die kleinen, flauschigen Tiere abgesehen hat. "Baden ist hier verboten", sagt Ribera. Allerdings nicht aus Naturschutzgründen, sondern weil der Boden des Sees aus Schlick besteht. "Die Tiefe des Sees ist 30 Zentimeter bis zwei Meter, aber dann kommt noch eine Schicht von einem halben Meter Schlick und darin kann man leicht versinken", erklärt er.

Immer wieder sehen wir am östlichen Rand des Sees Häuser mit fast bis auf den Boden reichenden Dächern – die ehemaligen Wohnstätten der Bauern und Fischer. "Meist waren die Menschen hier beides zugleich", weiß Alex Ribera. Die kleinen Bauten stehen auf dem etwa einen Kilometer breiten Landstreifen, der die Albufera vom Mittelmeer trennt. Die Frontseite der Häuser blickt zum See, die Rückseite zum Meer. "So gab es immer frische Luft", erklärt Ribera. Eine natürliche Kühlung der Gebäude auch in heißen Sommern. Heute stehen sie leer, mitunter werden dort jedoch noch Veranstaltungen ausgerichtet.
In der Albufera werden Aale geangelt, andere Fische wie Barsche, in früheren Zeiten sogar Garnelen. Dennoch ist eine Paella mit Fisch oder Meeresfrüchten für Ribera ebenso unvorstellbar wie für den Direktor des Paella-Wettbewerbs Landete. Und so genießen wir in einem hübschen Ausflugslokal am Rand des Sees die echte Paella Valenciana mit vielen verschiedenen Bohnen, Auberginen, Tomaten und Geflügelfleisch. Und den Schnecken, die laut Tony Landete bei Sonnenschein gefangen werden müssen. Anders am nächsten Tag: Während der Ausgangspunkt unseres Bootstrips über den See Albufera in einer Dreiviertelstunde mit dem Linienbus aus Valencia Stadt erreichbar war, braucht man bis Cullera am südlichen Rand des Naturparks etwa die gleiche Zeit mit der S-Bahn. Und: Cullera ist ein Badeort an der Küste, also wird uns hier das Gericht präsentiert, das manche Valencianer despektierlich "Paella de turistas" (Touristenpaella) nennen – eben eine mit Fisch und Meeresfrüchten. Aber hier direkt am Mittelmeer passt das natürlich wunderbar, und als Nicht-Einheimische kann man solche Befindlichkeiten ganz entspannt sehen und die Paella mit roten Riesengarnelen, Jakobsmuscheln und Seeteufel mit Vergnügen essen.
Was für alle Paella-Arten gilt, ist die Empfehlung, sie nicht abends zu essen, da der Reis im Magen weiter quillt und einen – zumal nach dem sehr späten spanischen Dinner – schlecht schlafen lässt. Über Paella zum Frühstück gibt es keine Aussagen, hier gilt also: Wem es gefällt, der kann auch damit in den Tag starten.
Infos: Valencia
Anreise: Valencia wird von allen größeren Fluglinien angesteuert. Lufthansa fliegt ab Frankfurt für ca. 200 Euro hin und zurück. Der Flughafen Valencia liegt nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt und ist mit der U-Bahn erreichbar. Vor Ort kommt man gut mit dem öffentlichen Nahverkehr überall hin.
Übernachten: Petite Palace Ruzafa, Boutique-Hotel mitten in der Altstadt Valencias, DZ ca. 180 Euro ÜF; www.petitpalaceruzafa.com; Cullera Holiday, großes, aber gut aufgeteiltes Strandhotel mit geräumigen Zimmern, DZ etwa 80 Euro ÜF; www.culleraholiday.com
Essen und Trinken: Nou Raco – Gehobenes Ausflugslokal am Rand des Albufera-Sees, wo es auch die traditionelle Paella Valenciana gibt. Voranmeldung empfohlen unter: www.nouraco.com/en
Weitere Infos: www.spain.info oder www.visitvalencia.com/de.