Einmal im Leben nach Canossa
Wer den Weg beschreitet, sollte auch einen Abstecher in Parma machen

Canossa war eine Burg in Oberitalien und Hauptsitz des mächtigen Markgrafengeschlechts von Canossa. Heute ist die Burg eine Ruine.
Von Wolfgang Minaty
Was ist los in Parma? In letzter Zeit haben sich die Meldungen überschlagen: Schulden über Schulden, ein Ex-Bürgermeister im Gefängnis, der Fußballklub pleite und die Chinesen am Drücker. Die Finanzpolizei habe alle Hände voll zu tun. Ist Parma am Ende?
Wir sitzen draußen im Café und schauen uns die Augen aus nach dem Schrecken in Gestalt - und sehen ihn nicht. Der Kellner schwingt sein Tablett und lässt den duftend heißen Espresso gezielt auf unserem Tisch zurück. Der Braune tut gut, das Cornetto (Hörnchen) schmeckt, und die Sonnenstrahlen tänzeln über dem Kopfsteinpflaster. Die Menschen überqueren den Platz erhobenen Hauptes. Nichts von Erschöpfung, nicht mal von schlechter Laune.
Hintergrund
Reiseziel: Die Stadt Parma (200.000 Einwohner) liegt in der Po-Ebene (Region Emilia-Romagna), etwa zwischen Mailand und Rimini. Von Parma sind es 40 km bis nach Canossa (am Fuß des Apennins). Mit dem Auto von Heidelberg nach Parma fährt man rund acht Stunden
Reiseziel: Die Stadt Parma (200.000 Einwohner) liegt in der Po-Ebene (Region Emilia-Romagna), etwa zwischen Mailand und Rimini. Von Parma sind es 40 km bis nach Canossa (am Fuß des Apennins). Mit dem Auto von Heidelberg nach Parma fährt man rund acht Stunden (700 km).
Übernachten: Eine gute Auswahl in diversen Kategorien findet sich unter www.agriturismo.it, www.emiliaromagnaturismo.it. Eine empfehlenswerte Unterkunft ist das zentrale Hotel "Torino" in Parma (DZ ab 76 Euro, www.hotel-torino.it). Preiswert ist auch die Herberge in der Burg von Rossena: einfach, sauber, primär für Wandergruppen, ein Doppelzimmer kostet 25 Euro pro Person mit Frühstück, www.castleofrossena.com/de
Verkostungen: in der Parmesankäserei San Bernardino in Tortiano (www.caseificiosanbernardino.it), im Parmaschinkenbetrieb Rosa dell’Angelo in Traversetolo (www.rosaangelo.it), bei den Winzern Venturini Baldini in Roncolo (www.venturinibaldini.it), um den Lambrusco zu probieren, und Lamoretti in Casatico (www.lamoretti.eu), um den Malvasia zu probieren (mit spektakulärem Blick zur Burg Torrechiara).
Ausflüge: In San Damaso kann man die edle Balsamessig-Kellerei aufsuchen und die drei verschiedenen Sorten Aceto balsamico probieren - garantiert ein märchenhaftes Gaumenerlebnis, www.acetaiavillabianca.com. Für Wanderfreunde empfiehlt sich der Mathildenweg (herrliche Touren von und nach Canossa), www.sentieromatilde.it
Weitere Infos erteilt die Italienische Zentrale für Tourismus, Frankfurt, Tel. 069/237434 (www.enit.de). Ein nützliches Taschenbuch ist "Emilia-Romagna", Verlag DuMont (2. Auflage 2015, 300 Seiten, 17,99 Euro).
Wir blicken geradewegs auf den Dom. Nun gibt es in Italien, und besonders hier in der Emilia-Romagna, wahrhaft schöne Dome, aber der von Parma schlägt alle Rekorde. Sagte schon Ludwig Tieck, der Romantiker aus Jena ("Der gestiefelte Kater"). Dabei geht es gar nicht so sehr um den Dom selber, sondern um sein Baptisterium.
Was ein Baptisterium ist? Eine Taufkapelle, in Deutschland meist innerhalb der Kirche, in Italien nicht selten außerhalb. Ein extra Gebäude, steil aufragend, in Parma so hoch wie der Dom selbst. Es besteht aus acht Ecken und sieben Geschossen. Ein wuchtiges Ding trotz der zierlichen 196 Säulchen drum herum.
Benedetto Antelami, der Baumeister und Bildhauer, hat um 1200 mit diesem Skulpturenzyklus nicht etwa Geistliche und Fürsten verewigt, sondern den Landwirt, der uns alle mit seiner Hände Arbeit das ganze Jahr über ernährt. Der Täufling wird dies insgeheim und dankbar verspürt haben.
Ob Gesang die Taufe umrahmt hat? Wahrscheinlich. Denn Parma ist Toscanini, und Toscanini ist Musik, und Musik ist Verdi, und Verdi ist Parma. Toscanini, der Stardirigent, ist hier geboren. Und Verdi, Italiens größter Opernkomponist, ist zwar in Roncole (ein paar Dörfer weiter) geboren, doch die Parmaer feiern mit Sorgfalt und Leidenschaft jedes Jahr aufs neue "ihren" Giuseppe Verdi mit einem Festival.
Doch kann man nicht in Musik schwelgen, ohne sich der kulinarischen Schlemmerei hinzugeben. Also fahren wir noch zwei Dörfer nach Zibello. Hier öffnet sich der Blick gleich zweifach: einmal auf den Po und seine endlos scheinende Ebene und dann hinein in die Geheimnisse der italienischen Küche. Denn von hier kommt der Culatello. Das ist, eingelegt in Knoblauch und Rotwein, ein Schinken vom schwarzen Schwein - einzig auf den schwört Bayerns Starkoch Alfons Schuhbeck.

Parmaschinken, italienisch Prosciutto di Parma, ist ein luftgetrockneter Schinken aus der Provinz Parma, nordwestlich von Bologna. Foto: Giorgio Salvatori
Wir sind im Schlaraffenland angekommen. Vielleicht genau deshalb hat die EU hier die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit eingerichtet. Von Parma schwärmen die Kontrolleure aus, um die Nahrung von Mensch und Tier auf Herz und Nieren zu prüfen.
Kontrolle ist gut, Genuss ist besser. Mag in Schuhbecks Küche der Culatello den Vorzug bekommen, der eigentliche, der weltberühmte Parmaschinken, legendär bis in die filigrane Faserung hinein, erreicht mit seinem mildsüßen Aroma mühelos den Gaumen eines jeden Gourmets. Hergestellt wird der Schinken in mehreren Betrieben südlich von Parma (um das Städtchen Langhirano herum).
Wenn Luca Ponzoni, der Schinkenchef aus Traversetolo, guter Laune ist, darf man hinein ins Allerheiligste. Und da hängen sie dann, die Schinkenschenkel, warten geduldig, rostbraun, seelenvoll. Für die garantierte Herkunft (DOP-Siegel) bürgt das Emblem der fünfzackigen Krone des (ehemaligen) Herzogtums Parma. Wir glauben’s gerne, denn so liebevoll wie in der Provinz Parma reibt kein Metzger auf der Welt die Schenkel mit Schmalz und Salz ein, die dann für mindestens ein Jahr bei wenig Luft und Licht trocknen. Auch der Parmesankäse braucht mindestens zwölf Monate fürs Reifen. Die Prozedur davor ist nur was für Könner: Die Abendmilch wird mit der Morgenmilch vermengt, dann kommt Lab (ein Enzym) dazu. Nun mit der Käseharfe umrühren und zum Schluss wird alles gekocht. Aber nur der aus der Region stammende Parma (Parmigiano reggiano) ist der berühmte körnige, bröckelige, würzige Hartkäse. Der Grana padano hingegen kommt aus der Lombardei - obwohl er genauso schmeckt.
Und dann die Paradenummer! Nehmen Sie ein hauchdünnes Blatt Parmesankäse, und lassen Sie Balsamessig darauf träufeln, den braun und sanft schmeichelnden Aceto balsamico di Modena (aus Parmas Nachbarprovinz). Das ist unwiderstehlich. Noch spektakulärer schmeckt der Balsamessig mit dem Zusatz "tradizionale". So stolz sein Alter von 25 Jahren ist, so überwältigend ist auch sein Preis: 100 Milliliter kosten 100 Euro. Mein Rat: nur mit dem Löffelchen verkosten und gleich auf der Zunge zergehen lassen.
Nach der Schlemmertour schalten wir einen Gang zurück. Erst die Sünde, dann die Reue. Canossa ist nicht weit. Da kann man bitten und büßen. Der folgenreichste Bußgang fand 1077 statt. Der deutsche König Heinrich IV. hatte sich mit dem Papst nicht einigen können, wer welche Bischöfe einsetzen darf (Investiturstreit), woraufhin der Papst (es war Gregor VII.) Heinrich exkommunizierte - im Mittelalter das politische Todesurteil.
Blieb dem König nur noch der sprichwörtlich gewordene Gang nach Canossa: Und das hieß Demut, Zerknirschung, Unterwerfung. Er ging mit seiner Frau Bertha und seinem dreijährigen Sohn Konrad im Januar über die Alpen und kam bis zur Burg von Canossa, wo sich der Papst gerade aufhielt. Heinrich bibberte und schlotterte, trotz eisigen Winters wartete er vor der Tür, barfuß und nur im Büßerhemd. Drei Tage und drei Nächte rührte er sich nicht von der Stelle - bis ihn der Pontifex heraufbat. Dann musste der Kirchenbann aufgehoben werden. Denn wer büßte, dem musste vergeben werden. Der König war gerettet.
Wir auch. Nachdem wir Berg und Burg samt Ruine erklommen haben, überkommt uns das deutliche Gefühl der Erleichterung, so dass wir in der nächstgelegenen Trattoria spontan dem Gefühl der Restaurierung nachgeben - am wirksamsten mit einem duftenden Pastagericht. Wir müssen uns nur noch entscheiden: Tortellini, Tagliatelle, Cappellacci oder Anolini. Auf jeden Fall aber mit einem Gläschen weißen Malvasia. Oder doch mit einem roten Lambrusco?
Einmal im Leben sollte man den Gang nach Canossa auf sich laden. Etwas zum Abbüßen gibt es immer, dafür fühlt man sich nachher umso befreiter.