Puerto Rico

Die Insel der guten Laune

Übersetzt heißt die Insel "Der reiche Hafen". Vor 500 Jahren galt sie als Tor zur Neuen Welt. Auch heute ist sie voller Schätze. Neben bunten Straßen, Palmenstränden, Regenwald und Bergen sind das vor allem ihre Menschen und deren ansteckende Lebensfreude.

21.01.2023 UPDATE: 21.01.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 24 Sekunden
Farbenfrohe Streetart begegnet Gästen San Juans im Künstlerviertel Calle Cerra. Foto: Carsten Heinke

Von Carsten Heinke

San Juan. Über El Morro weht ein angenehmes Lüftchen. Auf der weitläufigen Wiese spielen Kinder Fußball oder lassen Drachen steigen. Aus den grauen Mauern des 500-jährigen spanischen Kastells ragen Leucht- und Wachturm und der rot-gelb-weiße Kuppelbau einer Kapelle. Unter ihr der alte Friedhof bietet sogar Toten eine wunderbare Aussicht. Der tintenblaue Hintergrund ist der Atlantik. Wie ein Schiffsbug ragt der Festungshügel in den Ozean. Er ist der nordwestlichste Zipfel von Old San Juan, Herz der Hauptstadt von Puerto Rico.

Heute ein Außengebiet der USA, war die Insel nach Kolumbus’ Ankunft fast 400 Jahre Kolonie der Spanier. Gebäude dieser Zeit – vom Bürgerhaus bis zum Palast und ganze buntgetünchte Straßenzüge – bestimmen das Gesicht der Altstadt San Juans. Doch seinen Charakter wie auch den des ganzen Landes prägt ein kultureller Mix aus vielen Quellen. "Neben europäischen sind das vor allem urkaribische und afrikanische", erklärt Historiker Pablo Garcia Smith. Besonders deutlich werde das beim Essen, Trinken, Feiern.

Deshalb empfiehlt der 40-Jährige am liebsten Orte oder Wege, wo es auch viel zu kosten gibt – allen voran die "Ruta de la Longaniza" und "Ruta del Lechón" oder "Pork Highway". Bei der ersten geht es um die Wurst, bei der zweiten dreht sich alles um "Lechón Asado" – Schwein am Spieß. Beide Kulinarikstrecken liegen in den Bergen. Ihr höchster Gipfel (1338 Meter) ist der Cerro La Punta. Außer beim Wandern, Reiten, Mountainbiken oder Quadfahren kann man die Szenerie per Seilrutsche genießen.

Tropenabenteuer warten im Dschungel von El Yunque. Foto: Carsten Heinke

Die zweieinhalb Kilometer lange, bis zu 380 Meter hohe und 150 Kilometer pro Stunde schnelle Monster-Zipline im Toro Verde Adventure Park ist die längste ganz Amerikas. Das beste daran ist die Dschungel-Fluss-und-Felsen-Landschaft, die man dabei überfliegt. Nicht ganz so abenteuerlich, doch kaum weniger erlebnisreich ist eine Walk-and-Taste-Tour in der Hauptstadt. Start ist an der Säule El Tótem Telúrico auf der Plaza del Quinto Centenario. Das zwölf Meter hohe Kunstwerk aus Keramikscherben und Granit steht für die schmerzen- und entbehrungsreiche Zeit der Fremdherrschaft. Für manche Puertoricaner ist sie noch nicht vorbei. Sie fühlen sich bevormundet und amerikanisiert. Jüngere dagegen wollen einen Anschluss an die USA.

2020 stimmten 52 Prozent der Bevölkerung für eine Aufnahme Puerto Ricos als gleichberechtigter Bundesstaat. Bereits seit 1917 sind alle Puertoricaner automatisch US-Bürger und können sich entsprechend frei bewegen. Immer wieder gab es regelrechte Auswanderungswellen. Die größte, in den 1940er- und 1950er-Jahren, griff Leonard Bernstein in seiner "West Side Story" auf. Die jüngste ging gerade erst zu Ende. Nach jahrzehntelanger Rezession hatten 2017 zwei verheerende Wirbelstürme die Wirtschaft des kleinen Landes gänzlich zum Erliegen gebracht. Bankrott war es bereits zwei Jahre früher.

Inzwischen geht es wieder ganz leicht aufwärts. Viele Ausgewanderte und Investoren kehrten zurück. Mit einer Schuldenumverteilung wurde 2022 die Staatsinsolvenz beendet. 40 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze – wenngleich das Land innerhalb Lateinamerikas pro Kopf das höchste Bruttoinlandsprodukt erzielt sowie dank Subventionen aus den USA über eines der besten Gesundheitssysteme und Infrastrukturen dieser Region verfügt. Bei der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt es mit 81 Jahren sogar vor den USA.

Im weiten Innenhof des Cuartel de Ballajá riecht es nach Kaffee. Der Duft, gemischt mit frisch Gebackenem, strömt aus "Don Riuz", einem hippen Coffeeshop mit Rösterei. Das Gebäude, 1864 als Militärkaserne eingeweiht, war das letzte große Bauprojekt der Spanier in Amerika, bevor diese 1898 Puerto Rico zusammen mit Kuba und anderen Kolonien an die USA verloren. Heute beherbergt es das Museo de Las Americas. Am 15. Oktober 2022 war es die Kulisse für ein Konzert der Band Coldplay mit dem Royal Philharmonic Orchestra.

Alles lokale Produkte", kommentiert Pablo die Speisen- und Getränkeliste des Cafés. Star darunter sei der Kaffee aus der eigenen Hacienda. Ideales Klima sorgt für hohe Qualität, der Boden für Kakao-, Orangen- und Tabakaromen. Nur kleine Mengen der begehrten Bohnen werden inselweit erzeugt. "Espresso, Mokka, Latte? Dazu vielleicht noch ein Mallorca?", fragt der Barista und zeigt auf eine Art Ensaïmada. Balearische Einwanderer hatten das Rezept des süßen Hefegebäcks aus ihrer Heimat mitgebracht.

Mit dem Kaffeebecher in der Hand geht es zu San José. Die Kirche aus dem 16. Jahrhundert zählt zu den ältesten Bauwerken der spanischen Gotik in der westlichen Hemisphäre. Die Statue davor ist dem ersten Gouverneur Puerto Ricos, Juan Ponce de León, gewidmet. Begraben ist der Eroberer und "Entdecker Floridas" ein paar Straßenzüge weiter in der Kathedrale. Diese ist nach der von Santo Domingo in der Dominikanischen Republik (1504–50) das zweitälteste Gotteshaus Amerikas.

Auf dem Weg dorthin stellt Pablo seinen Gästen zwei weitere Lokale vor. Im "Deaverdura" isst man lokale Hausmannskost wie Mofongo – frittierte Klöße aus zerstampften Kochbananen, als Beilage wie Snack beliebt. Dazu schmeckt frisches Kokoswasser aus der Nuss oder Medalla-Bier. Elegant-leger gibt sich das "Santísimo", Restaurant mit Galerie und Hof im Kloster-Hotel "El Convent".

Hinter der Meerenge Caño de San Antonio und der Laguna del Condado liegt Santurce, das dicht bevölkerte Herz von San Juan. Der Strand des Stadtteils, wo morgens junge Leute Beachtennis spielen, gehört zu dessen gehobenem Bezirk Condado. Einkaufstempel, Wohnhochhäuser und Luxushotels wie "Hilton" oder "Vanderbilt" reihen sich hier aneinander. Zu den interessantesten Vierteln zählt Miramar, wo sich außer schönen alten Residenzen mit Terrassen und Gärten auch das Staatliche Kunstmuseum MAPR befindet.

"Um die Architektur, uralte Bäume und das Flair der Gegend zu erhalten, stoppte man den Bau der hier geplanten Autobahn und erweitert stattdessen das Stadtbahnnetz", freut sich Georgie Vega. Die Kulturaktivistin führt Besucher durch den neuen Hipster-Hotspot um Calle Cerra, in der Vergangenheit das Hauptrevier der Salsa-Plattenindustrie. "Nach dem wirtschaftlichen Einbruch gingen hier die Mieten runter. Kunstschaffende und Überlebenskünstler sowie kreative Gastronomen ("El Axolote", "Graziani", "Musa", "Prole") siedelten sich an und brachten wieder Leben in die leeren, ungenutzten Räume", erzählt die strahlende Puertoricanerin.

Auf der Route ihrer Art-Walk-Touren sieht man Dutzende riesiger Wandgemälde und kleiner Streetart-Kostbarkeiten wie "Chrome Rabbit" von Joshua Santos Rivera alias Bikismo. Der lokale Künstler malt 3D-Figuren im Metallic-Look. Für den Eigentümer des "Patio de Solé" ist sie wie alle Werke hier "gesellschaftskritisch, selbstbewusst und immer voller Lebensfreude und Humor". Zum Team seines Restaurants gehört ein liebenswerter Hund, der ab und zu auch mit bedient. Im Musiksalon des alten Hauses finden gutbesuchte Salsakurse statt. Für Yamil Colon ist Salsa eher etwas für die Älteren. Er hört wie die meisten jungen Puertoricaner lieber Reggaeton – "ein Mischmasch aus Reggae, Hip-Hop, Elektro und Merengue", verrät der Skipper.

Ort des Geschehens

"Tolle Strände haben wir im Osten auch in Luquillo, an der Westküste bei Aquadilla und Rincón oder am Cabo Rojo im Südwesten. Den allerschönsten aber seht ihr gleich", verspricht Yamil während der Fahrt. Und er hat Recht: Playa Flamenco ist ein Traum. Der Ankerplatz liegt mitten im Türkis der flachen Bucht. Die letzten 50 Meter bis zum Strand geht es zu Fuß und bis zum Bauch durchs Meer. Was trocken bleiben soll, jongliert die Crew in wasserdichten Beuteln über ihren Köpfen. So kann jeder Neuankömmling unbeschwert zur Insel waten und den nassen Bummel voll und ganz genießen. Es folgen sehr entspannte Stunden im Sand-und-Palmen-Paradies.