Das Rom des Duce

Mussolinis Traum vom "Dritten Rom"

Neben antiken Denkmälern prägt Architektur aus der Zeit des italienischen Faschismus bis heute das Bild der Ewigen Stadt.

23.05.2025 UPDATE: 24.05.2025 04:00 Uhr 5 Minuten
Der Palazzo della Civiltà Romana ist ein Beispiel, wie sehr Rom bis heute von faschistischer Architektur sowie Denkmälern aus dieser Zeit geprägt ist. Foto: Girgla

Von Polly Lohmann und Noemi Girgla

Die päpstliche Basilika Santa Maria Maggiore in Rom war zuletzt in aller Munde. Nicht nur, weil der kürzlich verschiedene Papst Franziskus diesen Ort als seine letzte Ruhestätte wählte, sondern auch da ihre Heilige Pforte im Heiligen Jahr offensteht. Zu diesem wurden noch im Januar mehr als 45 Millionen Pilger und Besucher erwartet. Es dürften mehr werden, denn allein Hunderttausende kamen nach Rom, um Franziskus die letzte Ehre zu erweisen.

Die Souvenirläden in unmittelbarer Nähe zur Papstbasilika dürften sie dabei wohl kaum beachtet haben. Nebst Kühlschrankmagneten und Bieröffnern von berühmten römischen Wahrzeichen finden sich hier auch solche mit dem Konterfei Benito Mussolinis. Ein paar Meter weiter findet man sogar eine Büste des selbst ernannten "Duce" – neben einer Plastik seines großen Vorbilds: des ersten römischen Kaisers Augustus. Mussolini hätte das gefallen. 1925, vor genau 100 Jahren und drei Jahre nach dem "Marsch auf Rom", erlangte er durch ein Dekret die alleinige Exekutivgewalt über das Parlament. Italien wurde zum Einparteienstaat und damit endgültig zur Diktatur – ebenfalls in einem Heiligen Jahr.

Die meisten Touristen nehmen in Rom lediglich die antiken Baudenkmäler wahr. Dass die italienische Hauptstadt nach wie vor voll von faschistischer Architektur ist, bleibt häufig unentdeckt. Keine europäische Metropole wurde im Zuge einer Diktatur so massiv umgestaltet wie die Ewige Stadt. Einmal darauf aufmerksam geworden, lässt sich dieser Umstand nur schwerlich ignorieren: Die Fasces, das namengebende Symbol des faschistischen Regimes, sind an Gebäudefassaden, auf Mosaiken und Gullideckeln allgegenwärtig – und das sind nur die kleineren Schmuckelemente.

Große Prachtstraßen, monumentale Gebäudekomplexe und ganze Wohnsiedlungen gehörten zu Mussolinis umfassendem Bauprogramm. Antike Monumente und christliche Kirchen sollten in seiner Vision freigestellt werden und in "Isolierung" ganz neu wirken. Das erklärte Ziel des Duce war die Errichtung eines "Dritten Roms" – nach dem antiken, "ersten" Rom des Augustus und dem "zweiten" der Päpste. Das Augustus-Mausoleum ist nur als einer der kaiserzeitlichen Prestigebauten zu nennen, die nach archäologischen Grabungen mit einer aufwendigen Platzanlage versehen und ganz neu inszeniert wurden – inklusive einer antikisierenden Inschrift, in der sich Mussolini als "neuer Augustus" verewigen ließ. Diese Instrumentalisierung der Antike zeigte sich nicht nur in den Symbolen des Faschismus wie den Fasces – einem Attribut römischer Amtsdiener –, sondern auch in Bildsprache und Architekturprogramm.

Hintergrund

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Anreise: Von Frankfurt fliegen mehrere Airlines den Flughafen Rom-Fiumicino täglich an. Von dort ist man mit dem Leonardo-Express in nur 30 Minuten am Hauptbahnhof Termini.

Unterkunft: Das Domus

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Anreise: Von Frankfurt fliegen mehrere Airlines den Flughafen Rom-Fiumicino täglich an. Von dort ist man mit dem Leonardo-Express in nur 30 Minuten am Hauptbahnhof Termini.

Unterkunft: Das Domus Liberius liegt nur fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof Termini entfernt, genau gegenüber der Basilika Santa Maria Maggiore. Alle Sehenswürdigkeiten der Stadt sind bequem zu Fuß erreichbar, des Weiteren halten mehrere Buslinien direkt vor der Tür. DZ ab 140 Euro: www.domusliberiusroma.com/en/ 

Weitere Infos: www.turismoroma.it 

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Als Neubauprojekte entstanden in den 1930er-Jahren die Universitätsstadt, der neue Campus der Università La Sapienza, die Cinecittà, die damals größte Filmproduktionsanlage Europas, und Ostia Nuova wurde zur wichtigsten italienischen Freizeitstadt ausgebaut – gemäß Mussolinis Wunsch, dass Rom sich vom Tiber bis ans Meer erstrecken sollte. In die Kette dieser Superlative reihte sich das Foro Mussolini – heute Foro Italico – ein, eine Sportanlage für Massenevents und das Training der Jugendorganisationen, nach dem propagierten Körperideal des neuen faschistischen Menschen, wie er in den Statuen am "Stadio dei Marmi" dargestellt ist. Heute spielen hier regelmäßig die beiden großen römischen Fußballvereine AS Rom und Lazio Rom – Letzterer macht immer wieder Schlagzeilen mit seinen neofaschistischen Hooligans und rassistischen Parolen.

Wer vom Tiber aus das Sportgelände betritt, sieht sich dem größten Obelisken Roms gegenüber, nur dass dieser nicht aus der Antike stammt. Der rund 17 Meter hohe Marmor-Monolith trägt die Inschrift "Mussolini Dux" und markiert nur den Anfang einer Reihe schriftlicher Verweise auf den Diktator: Mosaiken nach römischem Vorbild – mit Panzern statt antiken Gildenzeichen – pflastern den Weg zu den Stadien, in denen auch heute noch regelmäßig der faschistische "römische Gruß", der emporgereckte rechte Arm, gezeigt wird. Je nach Kontext meist ohne strafrechtliche Konsequenzen. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, wie unkritisch die eigene faschistische Vergangenheit in Italien betrachtet wird. Gebäude werden unkommentiert weitergenutzt und faschistische Symbole sowie Inschriften bleiben im Stadtbild omnipräsent, ohne durch Informationstafeln in einen historischen Kontext gestellt zu werden.

Ebenfalls ohne Hinweis auf seine einstige Bestimmung thront der Palazzo della Civiltà Romana – mit Spitznamen Colosseo Quadrato – auf seinem Hügel über dem Stadtteil Espozione Universale Roma (EUR). Der wuchtige Klotz und heute stolze Firmensitz der italienischen Modemarke Fendi sollte an das Flavische Amphitheater erinnern. Die Anzahl seiner Rundbogenarkaden entspricht der Summe der Buchstaben des Namens seines Auftraggebers: senkrecht sechs, Benito, und waagerecht neun Mussolini. Über den Arkaden prangt ein Zitat des Diktators aus der Rede, in der er Äthiopien den Krieg erklärte – was der Betrachter selbst recherchieren muss, erklärt wird dies am Bauwerk nirgends.

Nach wie vor dominiert es das Gelände, das für die Weltausstellung 1942 geplant worden war. Ursprünglich für 1941 angesetzt, gelang es Mussolini, diese ein Jahr nach hinten zu verschieben, um im gleichen Zuge das 20-jährige Bestehen seiner Herrschaft feiern zu können. Denn wie schon im alten Rom wurden zur Zeit des italienischen Faschismus Jubiläen und Feiertage besonders zelebriert. Ihre identitätsstiftende Kraft sollte die Menschen auf die Ideologien des Regimes einschwören. Die Weltausstellung fand aufgrund des Zweiten Weltkriegs nie statt; die monströsen Gebäude im Stile Littorio – schlichter Monumentalarchitektur in weißem Travertin – bezeugen jedoch bis heute Mussolinis Größenwahn.

Aber auch im Alltag sollten den Bürgern die Errungenschaften des "neuen und modernen Italiens" vor Augen geführt werden. Funktionale Gebäude wie Bahnhöfe und Postämter wurden neu gestaltet oder errichtet – in erstaunlich vielfältigen Formen. Denn auch, wenn der monumentale Stile Littorio – des Weiteren sichtbar am Hauptbahnhof Termini – besonders charakteristisch für die faschistische Ära zu sein scheint, existierten verschiedene zeitgenössische Architekturstile nebeneinander. So findet sich der italienische Rationalismus in zahlreichen öffentlichen Gebäuden und Parteizentralen, die international als architektonische Highlights der Zeit gelten – beispielsweise das Postamt an der Piazza Bologna. Auch die Gartenstadt Garbatella, ein grünes Wohnviertel im Süden von Rom, ist in diesem Zuge zu nennen. Sie erfreut das Auge mit roten und ockerfarbenen Häusern verschiedener Architekturstile, mit Anleihen aus dem Mittelalter und der Antike.

Im rationalistischen Stil umgesetzt wurden auch mehrere Städte, die man südlich von Rom in den Pontinischen Sümpfen anlegte. Um Platz für die Arbeitersiedlungen zu schaffen, musste das Gebiet zunächst aufwendig trockengelegt werden. In Sabaudia, einer dieser Planstädte, gibt es endlich einmal Info-Tafeln – allerdings nicht zum Kontext der Stadtgründung 1934, sondern zu den schönsten Architekturbeispielen des "Razionalismo". Wer sich umschaut, wird Mussolinis Namen jedoch am Rathausplatz lesen und an der Fassade der Chiesa della Santissima Annunziata sogar eine bildliche Darstellung von ihm finden – jedenfalls wenn er ganz genau hinschaut: Ein Mosaik zeigt im Hintergrund einer Marienfigur den Duce höchstselbst bei der Kornernte.

Was das Regime an einer Stelle neu erschuf, wurde an anderer Stelle zerstört. Und auch dort inszenierte sich Mussolini – wie man auf einem historischen Foto sehen kann – als Mann der Tat mit der Spitzhacke in der Hand. Um im dicht besiedelten Stadtzentrum Roms Platz für eine neue Pracht- und Aufmarschstraße zu schaffen, wurde das ärmliche Wohnviertel Alessandrino dem Erdboden gleichgemacht, seine Bewohner in die Peripherie zwangsumgesiedelt.

So wurde die neue Via dell’Impero, heute Via dei Fori Imperiali, geschaffen, die das Kolosseum, stellvertretend für das antike Rom, mit der Piazza Venezia, dem Amtssitz Mussolinis als Führer des neuen Roms, verband. Dabei wurden die antiken Kaiserforen unter dem Alessandrino innerhalb weniger Monate ohne umfassende Dokumentation freigelegt und an das Straßenbauprogramm angepasst. Pünktlich zum zehnten Jubiläum des Regimes konnte die Via dell‘Impero 1932 mit pompösen Aufmärschen eröffnet werden.

Ebenso rücksichtslos ging die faschistische Bauplanung im Borgo vor, dem Areal unmittelbar vor dem Petersplatz. Das verwinkelte historische Stadtviertel spielte eine tragende Rolle im ursprünglichen Konzept des Künstlers Gian Lorenzo Bernini (1598-1680). Dieser hatte nämlich ein Überraschungsmoment vorgesehen, wenn die Besucher aus den dunklen verwinkelten Gässchen auf die riesige Platzanlage traten.

Seit dem Umbau führt stattdessen eine monumentale Straßenachse, gesäumt von Travertinfassaden, in die Vatikanstadt. Eingeweiht wurde die Via della Conciliazione, die Straße der Versöhnung, jedoch erst 1950 – ebenfalls einem Heiligen Jahr. Sie führt vom Tiber und der dortigen Engelsburg, die Kaiser Hadrian (76-138) einst als sein Mausoleum vorgesehen hatte, in Richtung Petersdom. Und so verbindet ein Teil von Mussolinis Traum vom Dritten Rom bis heute das der Antike mit dem der Päpste – ihm hätte das gefallen.

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