Ein Zwerg - Acht Perspektiven
Liechtenstein ist nicht nur aufgrund seiner Naturschönheit einen Besuch wert.

Von Jochen Müssig
Auf dem Mond
Die Flagge
Die Liechtensteiner Flagge – in der Größe einer Zigarettenschachtel – wurde 1969 bei der ersten bemannten Mondlandung mit Apollo 11 nicht ausgepackt, durfte aber hin- und wieder zurückfliegen. So würdigten die USA den Beitrag der Liechtensteiner Balzers AG (heute OC Oerlikon), die in der Vakuumtechnik und in der Fertigung von Schutzschichten wichtige Komponenten für das Apollo-Programm geliefert hatte. Der damalige US-Präsident Richard Nixon gewährte die Mondreise der Liechtensteiner Flagge und schenkte dem Fürstentum zudem ein paar Gramm Mondgestein: Zusammen mit dem Fähnchen, das 1969 auf dem Mond war, ist es in der Liechtensteinischen Schatzkammer in der Hauptstadt Vaduz zu sehen.
Oben und unten
Die Politik
Auf einer Felsterrasse, hoch über der Hauptstadt Vaduz, thront seit dem Mittelalter das Schloss mit bis zu vier Meter dicken Mauern. 115 Meter darunter zeigt sich der Landtag modern, hell und architektonisch durchlässig. Konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratisch-parlamentarischer Grundlage heißt die Staatsform, was inkludiert: Der Fürst kann die Regierung feuern. Die Bevölkerung aber kann den Fürsten nur per Wahl mit Zwei-Drittel-Mehrheit entmachten. Der Fürst wird von den Alten respektiert, aber nicht geliebt. Die Jungen meinen: "Er macht das ganz gut für uns. Lassen wir es laufen …"
In 55 Minuten durchs Land
Die Größe
Das Fürstentum ist ein Binnenland ohne Flugplatz, Hafen und Autobahn, aber mit 18 Buslinien, die das Land gut und günstig erschließen. Die Linie 11, die von Sargans in der Schweiz nach Feldkirch in Österreich führt, durchquert ganz Liechtenstein. Los geht’s am Sportplatz Balzers, der ersten Station im Fürstentum, bis zum Zollamt Schaanwald, der Grenze zu Österreich. In genau 55 Minuten fährt man durch Vaduz-Städtle (Zentrum), an der Hofkellerei und dem Theater in Schaan vorbei und hat beidseitig prächtige Bergpanoramen.

Der Fürst beim Bäcker
Die Hofberichterstattung
Fürst Hans-Adam II., 80 Jahre alt und seit 1989 Regent in Liechtenstein, findet man in keinen bunten Blättchen. Das gilt auch für den 57-jährigen Erbprinz Alois, der als Stellvertreter des Landesfürsten seit 2004 die operativen Aufgaben übertragen bekam. Es gibt zwei kleine Zeitungen, eine Radiostation, einen Fernsehsender, ein paar Online-Portale und keiner wagt sich an die fürstliche Privatsphäre, denn Hans-Adam wünscht das so. Das Schloss, der Wohnsitz der Familien von Fürst und Erbprinz, ist für die Öffentlichkeit tabu. Es gibt keine Homestories, sogar private Fotos sind äußerst selten, ebenso wie Interviews. Aber es kann durchaus sein, dass man den Fürsten mal beim Bäcker sieht oder regelmäßig im TAK, dem Theater Liechtenstein, wo Hans-Adam ein Abonnement hat.
Blick durchs Schlüsselloch
Das Kino
Das Alte Kino aus den 1960er-Jahren ist, mit Blick aufs Schloss, der einzige Ort, an den man während einer 20-minütigen Video-Führung durchs Fürstenschloss aus dem 13. Jahrhundert geleitet wird und "Fürstliche Momente" – so der Filmtitel, – erleben kann. Über die alte Zugbrücke und den Vorhof gelangt man von den repräsentativen Empfangsräumen bis in den Keller, der einen Teil der fürstlichen Kunstsammlung beherbergt. Die privaten Räume sind auch im Video tabu, aber der Fürst gibt sich in der Bibliothek die Ehre und erzählt vom Versteckspielen in der Burg als Kind, von seiner Liebe zur Kunst und von Staatsempfängen, die stets er bezahlt und nicht der Steuerzahler. Der Film läuft – für zehn Schweizer Franken, die offizielle Währung im Land – nur im Alten Kino mit 103 weinroten Plüschsesseln, aber modernster Kinotechnologie.
Nur Hausgeburten
Das Gesundheitswesen
Seit 2014 werden in Liechtenstein keine Babys mehr geboren – es sei denn, frau entscheidet sich für eine Hausgeburt. Denn in diesem Jahr wurde die Geburtsstation im Landesspital, der einzigen öffentlichen Klinik des Landes, aufgelöst. Da im Durchschnitt nur rund 200 Babys pro Jahr geboren wurden, konnte die Geburtenabteilung nicht kostendeckend betrieben werden. Die werdenden Mütter müssen deshalb zur Entbindung ausreisen und die meisten Liechtensteiner kommen seitdem in der Schweiz auf die Welt, was auch so im Pass unter Geburtsort vermerkt ist.
Alle sagen "Du"
Die Sprache
"Hoi" heißt "hallo" im sechstkleinsten Land der Erde (nach Vatikan, Monaco, Nauru, Tuvalu und San Marino) und jeder sagt auch "Hoi" zur Begrüßung. Die Amtssprache in Liechtenstein ist Deutsch, aber wenn die 40 000 Liechtensteiner ihren Dialekt Alemannisch auspacken, wird die Verständigung schwierig. Im Parlament gilt die Regel, in der Amtssprache zu sprechen, auch um zu unterstreichen, dass jetzt der Parlamentarier spricht und nicht der Nachbar. Denn fast alle kennen sich. Deshalb sagen auch fast alle formlos "Du" zueinander. Nur die Fürstenfamilie wird stets mit einem höflichen "Sie" angesprochen.
Spät dran
Das Frauenwahlrecht
Die Uno-Mitgliedschaft gab’s nur gegen die Einführung des Frauenwahlrechts. Das war die Bedingung für die Aufnahme Liechtensteins in die Weltgemeinschaft. Bis 1984 wurde tatsächlich noch alles ausschließlich von Männern bestimmt. Und das Votum für das Frauenwahlrecht fiel beschämend knapp aus: Der Unterschied von nur 119 Stimmen aller wahlberechtigten Männer im Land gab den Ausschlag. Liechtenstein war damit das letzte Land in Europa, das ein Frauenwahlrecht verankerte (wenn man vom Vatikan absieht). Nur ein Dutzend Länder waren damit weltweit noch später dran. 1986 wurde Emma Eigenmann als erste Frau ins Liechtensteiner Parlament gewählt.