Wenn der Krampus kommt, bebt das Haus
Im Gasteiner Tal hat sich der Brauch um den unheimlichen Begleiter des Nikolaus besonders authentisch erhalten.

Von Stefanie Bisping
Ohrenbetäubenden Lärm verbreitet der Krampus. Mit seiner grotesken Fratze und den teuflischen Hörnern sieht er dazu furchterregend aus. Doch obwohl der finstere Begleiter des Nikolaus Kinder das Gruseln lehrt, hat er es selbst auch nicht leicht: Zehn Kilogramm wiegen allein die mächtigen Schellen, mit denen seine Ankunft schon von Weitem zu hören ist. Der schwere, aus Zirbenholz geschnitzte Kopf mit Sehschlitzen, den er über dem eigenen trägt, bringt mindestens sechs und nicht selten bis zu dreizehn Kilogramm auf die Waage. "Kommt dazu noch der schwere Mantel und womöglich nasser Schnee, schleppe ich am Nikolausabend fünfundzwanzig oder dreißig Kilo mit mir herum", erklärt Clemens Hübsch, 1979 geboren und in Bad Hofgastein zu Hause. Er ist nicht nur seit mehr als zwanzig Jahren als Krampus dabei, wenn seine "Passe" mit Nikolaus und Engel am Nikolausabend in Häusern und Höfen der Umgebung unterwegs ist. Er schnitzt auch die traditionellen, aufwendig gearbeiteten Krampusköpfe – als einziger echter Bildhauer im Tal.
Der Weg zur Verwirklichung dieses Traums war lang. 1998 fing Hübsch an, die Masken herzustellen, die er selbst nur als Köpfe bezeichnet – der Begriff "Maske" ist für ihn zu nahe am ganz andersgearteten Karneval. "Als Schüler hatte ich den Traum, aber ich hatte kein Geld", sagt er. Der Vater eines Freundes gab ihm Holz und Messer und zeigte ihm, wie man damit umgeht. Hübsch legte los – und schließlich sagte der Ältere: "Aha." Der junge Autodidakt hatte Fortschritte gemacht. So große, dass er schließlich zur Bildhauerschule in Hallein im Bundesland Salzburg ging. Seither ist das Schnitzen der archaischen Köpfe mit ihren unheimlichen Gesichtern sein Leben, wiewohl er auch für die Salzburger Festspiele tätig ist.
Zwar begleitet der Krampus – der dem Knecht Ruprecht nördlicherer Gefilde ähnelt – den Heiligen Nikolaus überall im erweiterten Alpenraum; im Gasteiner Tal aber wird er besonders intensiv gepflegt. Mehr als hundert Passen sind hier unterwegs, viele dieser Gruppen überdauern Generationenwechsel. Die meisten Betriebe im Tal schließen vom 5. bis 7. Dezember, um die Belegschaft nicht bei der Brauchtumspflege zu stören. "Die Krampuswelt hört für mich mit dem Tunnel auf", präzisiert Clemens Hübsch und meint den Zugang zum Gasteiner Tal mit seinen Orten Dorfgastein, Bad Hofgastein und Bad Gastein. Handwerklich könnten die Menschen jenseits des Tals durchaus etwas, so Hübsch. Aber: "Für mich hat das mit dem traditionellen Krampus oft nichts zu tun." So erlaube man sich Trends wie vor einigen Jahren, als mancher sich aus der Türkei gedrehte Hörner dortiger Ziegen für den Krampuskopf mitbrachte. "Das war damals der Heuler", sagt Hübsch und schüttelt ein wenig den Kopf über so wenig Sinn für Authentizität.
Vergnügt sitzt er in seiner gemütlichen Werkstatt im Garten. Die Wände sind mit seinen Köpfen und zahlreichen Fotos vergangener Nikolausabende dekoriert, auf der Werkbank liegt eine Larve, der Kern des neuesten Kopfes aus Zirbenholz. Ist die Kopfplatte fertig, der Kopf angemalt, dreifach versiegelt und von innen gepolstert, kann der Nikolausabend kommen. Gekrönt wird der Kopf von den Hörnern hiesiger Schafe oder Ziegen. Denn die Krampus-Tradition ist bäuerlichen Ursprungs – nur der Adel jagte früher und hätte Zugriff auf die Hörner von Wildtieren gehabt. Aber die Aristokratie beteiligte sich nicht an dem archaischen Treiben.
Der Nikolaus und sein Begleiter, ein in der Regel weiblicher Engel, laden die Bewohner eines Hauses zur Rückschau ein, häufig in Form eines Gedichts. Da man sich in den Gemeinden des Gasteiner Tals kennt, sind ihre Vorträge voller Anspielungen. "Da weiß der Nikolaus, dass einem wegen Falschparkens das Auto abgeschleppt wurde, oder dass eines der Kinder eine Fünf in Mathe hatte", erzählt Clemens Hübsch. Nicht immer waren die Verfehlungen derart unverfänglich. Während der Gegenreformation prüften der Nikolaus und seine Begleiter auch, wie im Haus gebetet wurde, was ernste Folgen haben konnte – nicht nur vom Krampus.
Langfristig aber erwies sich der Brauch als eher identitätsstiftend denn entzweiend. "Der Krampus war etwas, das nur den Gasteinern gehörte", erklärt Hübsch. Gold- und Silberminen lockten seit jeher Fremde ins Tal. Aus achtzehn heißen Thermalquellen sprudeln zudem fünf Millionen Liter Wasser am Tag; sie machten das auf 1000 Meter gelegene Bad Gastein früh zum viel besuchten Urlaubsziel. Die Mutter Mozarts verbrachte hier 95 Stunden im Bad, um nach zwei Fehlgeburten doch noch Kinder zu bekommen; später kurten hier so unterschiedliche Gäste wie Kaiser Wilhelm I. und Sir Arthur Conan Doyle. Gustav Klimt malte, der Schah von Persien lernte hier Skifahren, Luis Trenker feierte seinen 90. Geburtstag, Billy Wilder hofierte Produzenten, Liza Minnelli, Ray Charles und Shirley Bassey traten auf und Wim Wenders kommt zum Schreiben. Das benachbarte Bad Hofgastein, das von Kaiser Franz I. im Jahr 1828 die Erlaubnis zum Bau einer Leitung erhielt und so am Thermalwasser-Reichtum teilhaben konnte, begrüßt seither ebenfalls zahlreiche Gäste. Kurzum: Hier war immer etwas los, und die Einheimischen hatten alle Hände voll zu tun, die Besucher zu bewirten. Nur den Krampus und den Nikolaus hatten sie ganz für sich. Zwar kommen heute auch Besucher, um den Brauch mitzuerleben. Schließlich ist das Tal im Schnee und bei adventlichen Schlittenfahrten, Fackelwanderungen und Adventspunsch besonders stimmungsvoll. Aber was Nikolaus, Engel und Krampus in den Stuben bereden, welches Lob und welcher Tadel ausgesprochen werden, das wird an keiner Hotelbar diskutiert.
Clemens Hübschs künstlerischer Anspruch ist hoch: "Ich möchte das Beste schaffen, das es auf dem Markt gibt – den Ferrari unter den Kramperlköpfen." Natürlich stehe es jedem frei, sich mit einem Fiat zufriedenzugeben. Seine Arbeiten, in die er außer seiner Kunstfertigkeit viel Zeit investiert, sind nicht billig. Dafür seien nicht zwei seiner Köpfe gleich, seine Handschrift aber immer zu erkennen. Haltbar sind sie ohnehin, denn traditionell werde der Krampuskopf in der Familie vererbt. Klar, dass er seiner Tochter gleich zu ihrer Geburt vor zehn Jahren einen Kopf schnitzte. "Den können ihre Kinder eines Tages noch benutzen."
Infos:
Anreise: Mit der Bahn über München und Salzburg nach Gastein.
Übernachten: In sehr großen Zimmern schläft man im Hotel Cesta Grand mit Thermalwasser-Pool, Spa und Tennisplätzen. Das DZ mit Halbpension kostet hier ab 210 Euro; www.cesta-grand-hotel.com
Im Hotel Rauscher und Paracelsus (mit Wellness-Landschaft) in Bad Hofgastein kostet das DZ mit Halbpension ab 120 Euro; www.hotel-rauscher.com
Baden: Ohne ein Bad im Thermalwasser ist kein Besuch im Gasteiner Tal komplett. Die Alpentherme in Bad Hofgastein und die Felsentherme in Bad Gastein bieten diverse Becken, Thermalseen, Saunen und Rutschen.
Souvenirs: Es muss nicht gleich ein Krampuskopf sein. Kräuteröl und -essig, Marmeladen, Räuchermischungen sowie Kräutertees und -salben stellt Kräuter- und Seminarbäuerin Heidi Huber vom Mühlhof in Bad Hofgastein her. Wer möchte, kann bei ihr Kurse zum Kochen mit Kräutern buchen (über Gastein Tourismus).
Weitere Infos: www.gastein.com