Estland

Märchenhafte Stimmung beim Weihnachtsmarkt in Tallinn

Der Weihnachtsmarkt wird dieses Jahr von 01.12.2023 – 7.01.2024 stattfinden. Die täglichen Öffnungszeiten sind von 10 bis 20 Uhr.

26.11.2023 UPDATE: 26.11.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 25 Sekunden
Tallinns Altstadt mit Weihnachtsmarkt. Foto: srt

Von Marc Reiser

Wir brauchen eine Schneeflocke. Oder einen Tannenbaum. Oder wenigstens einen Kreis. Denn in Estland sind Reflektoren an der Kleidung vorgeschrieben, sobald es dunkel wird. Und die Nächte im nördlichsten der drei baltischen Staaten sind lang, sehr lang. Schließlich sind es von der Hauptstadt Tallinn aus gerade einmal 85 Kilometer nach Helsinki – allerdings quer über die Ostsee. Jedenfalls macht insbesondere die lange Dunkelheit den Charme der Metropole mit ihren 430.000 Einwohnern aus.

Der Weihnachtsmann oder Sankt Nikolaus, im Erscheinungsbild nehmen sich die beiden nicht viel, taucht an allen Ecken der hübschen Altstadt von Tallinn auf. Noch häufiger sind die kleinen Tannen, die vor fast allen Geschäften stehen. Kein Wunder: Immerhin ist gut die halbe Fläche des Landes mit Wald bedeckt. Zudem haben die Tallinner eine besondere Beziehung zum Weihnachtsbaum: In ihrer Stadt soll 1441 die erste geschmückte Tanne aufgestellt worden sein. Das wäre Weltrekord – wenn auch Historiker ab und zu leichte Zweifel an der Legende äußern. Auf jeden Fall ist das Aufstellen des Baums, der maximal 18 Meter hoch sein darf und besonders schön verzweigt und vor allem kräftig grün sein muss, ein echtes Highlight im Jahreskalender und wird live im Fernsehen übertragen.

Hintergrund

Anreise: Mit dem Reisebus ist eine Fahrt etwa von Berlin nach Tallinn möglich; sie dauert aber rund 28 Stunden (Flixbus). Am einfachsten ist die Anreise zum Internationalen Flughafen Tallinn, dorthin gibt es Flüge mit Lufthansa, Ryanair, Air Baltic und

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Anreise: Mit dem Reisebus ist eine Fahrt etwa von Berlin nach Tallinn möglich; sie dauert aber rund 28 Stunden (Flixbus). Am einfachsten ist die Anreise zum Internationalen Flughafen Tallinn, dorthin gibt es Flüge mit Lufthansa, Ryanair, Air Baltic und anderen Airlines.

Übernachten: Nordic Hotel Forum (Tallinn), zentral gelegenes Vier-Sterne-Hotel, z. B. zwei Personen ab 110 Euro; www.nordichotels.eu Rixwell Collection Savoy Boutique Hotel, Fünf-Sterne-Hotel in der Altstadt, z. B. zwei Personen Ü/F ab 120 Euro; www.rixwell.com

Soho Hotel Tartu, kleines Hotel dicht am Rathaus, z. B. zwei Personen im Standardzimmer ab 70 Euro, in der Suite mit eigener Sauna ab 135 Euro; Lydia Hotel 4 Superior, Hotel mit vier Sternen Superior in zentraler Lage, z. B. zwei Personen im Klassik-Zimmer ab 120 Euro; www.lydia.ee

Unternehmungen: Estnisches Nationalmuseum Tartu: www.erm.ee Spielzeugmuseum Tartu: www.mm.ee Café Maiasmokk mit Marzipanzimmer Tallinn: www.kohvikmaiasmokk.ee;Piparkoogimaania (Gingerbread Mania) Tallinn: www.piparkoogimaania.ee Iglupark Tallinn: www.iglupark.com

Weitere Infos: Visit Estland: www.visitestonia.com/de

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Tatsächlich ist es ein beeindruckender Anblick, wenn Besucher am Mittelalter-Restaurant Olde Hansa vorbei ein paar Schritte bergauf auf den Rathausmarkt kommen und sich die prächtige Tanne mit ihrer wunderbaren Beleuchtung in den dunklen Himmel reckt. Und nicht nur Lichter sorgen für Hingucker, auch Wunschzettel hängen – natürlich vor allem an den unteren – Zweigen, auf denen Kinder und Erwachsene nicht nur um elektrische Eisenbahn oder Smartphone bitten, sondern auch um Gesundheit und Weltfrieden. Übrigens: Die Nadeln des Baums werden später für die Gin-Produktion verwendet; so bleibt der Geist der Heiligen Nacht noch jahrelang erhalten.

Jetzt aber geht es erst einmal ab ins Getümmel, das vor allem an den Wochenenden groß wird. An den aufgestellten Hütten gibt es das übliche Programm: Schmuck und Schmankerl, besonders aber Glögi, würzigen Glühwein, oft mit Schuss, allerdings meist auch mit etwas Johannisbeer- oder Apfelsaft. Und viele Stände stellen kleine Töpfe mit Mandeln und Rosinen auf, damit Genießer sich ihr Getränk noch ein bisschen aufpeppen können.

Und dann steht er plötzlich vor dem Rathaus: Sankt Nikolaus, dem in Tallinn sogar eine eigene Kirche gewidmet wurde. Ganz in Blau ist er gekleidet und Jung und Alt lassen sich gern von ihm in den Arm nehmen, um ein gemeinsames Selfie zu machen.

Stundenlang könnte man hier stehen und dem Trubel zuschauen, während Kinder sich auf den kleinen Karussells vergnügen und die Stimmung auch alkoholbedingt steigt. Allerdings werden die Füße kalt – von Osten kriecht scharfer Frost heran und neuer Schnee wird später in dieser Nacht auch noch fallen. Und es ist ja "nur" ein Weihnachtsmarkt, wenn auch einer, der 2019 zum "besten Weihnachtsmarkt in Europa" gekürt wurde.

An den Hütten des Weihnachtsmarktes in Tallinn finden sich Schmuck, Schmankerl und Glögi. Foto: srt

Vorweihnachtliche Stimmung herrscht auch am nächsten Tag. Überall, das spürt man, bereitet sich Tallinn auf das Fest der Feste vor. Vor dem Baltic Station Market am Bahnhof haben die Mitarbeiter von 17 in der Hauptstadt angesiedelten Botschaften einen adventlichen Flohmarkt aufgebaut – wie jedes Jahr. Und wieder stiften die Diplomaten den Erlös verschiedenen wohltätigen Organisationen.

Was gehört noch zu Weihnachten? Natürlich: Marzipan. Schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hat die Ratsapotheke in Tallinn die süße Mandelmasse verkauft – damals noch als Medizin. Und wer war der Erste? Lübeck oder Tallinn? Egal, das Café Maiasmokk jedenfalls bietet in seinem Marzipanzimmer nicht nur eine Auswahl der liebenswertesten Figürchen an, sondern verkauft auch Marzipan zum Genießen. Interessierte können eine Malstunde buchen, in der sie vorgefertigte Marzipanfiguren bunt bepinseln dürfen. Doch Vorsicht: Ist der Tannenbaum erst einmal schön grün, dann passen keine bunten Kugeln mehr daran – die Wasserfarbe vermengt sich zu einem unschönen Matsch. Na ja, neuer Versuch!

Abends lockt ein kleiner Ausflug in den Iglupark. Wobei der Name ein wenig in die Irre führt: Tatsächlich sind die kleinen Hütten nicht aus Schnee und Eis erbaut, sondern aus dunklen Holzschindeln. Dafür halten sie das ganze Jahr über. Zwischen den Hütten ist jede Menge los, denn die Betreiber haben ein echtes Weihnachtswunderland errichtet: Da toben die Kleinsten im Heu, die Größeren lassen sich auf einem Pony durch die Gegend führen, es gibt zu essen und zu trinken und jede Menge Glögi.

Vier Iglus hat Park-Chef Taavi Nommistu zu kleinen Saunen ausbauen lassen. Unbeobachtet von den anderen Gästen sitzen Familien oder Freunde zusammen und schauen durch die großen Fenster auf die nächtlich-schwarze Ostsee. Wer mag, holt sich aus dem Vorraum ein Wasser oder ein kaltes Bier. So lässt es sich schwitzen! Und zum Abkühlen huschen Vorsichtige in die benachbarte Dusche, Mutigere machen ein paar Schritte über den knarzenden Schnee und springen dann ins reichlich eisige Nass.

Beim Aufwärmen hilft Ingwer. Und den gibt’s in Tallinn nicht zuletzt in der Ausstellung Gingerbread Mania. Gingerbread ist Lebkuchen, der mit Nelken, Zimt, Muskat oder Ingwer gewürzt ist. Jedes Jahr steht die Show unter einem anderen Themenschwerpunkt. Und wer Lust und Zeit hat, besucht einen kleinen Workshop, bei dem er lernt, wie er die fantastischsten Bauwerke aus dem süßen Material errichtet. Naschen ist erlaubt und hilft über den spontanen Ärger, wenn eine Zuckerguss-Fuge mal wieder nicht so richtig halten mag.

Wer meint, in Tallinn alles entdeckt zu haben, der sollte einen Ausflug nach Tartu machen. 180 Kilometer nach Südosten sind das. Aber die Reise lohnt sich, denn auch die viel kleinere Provinzstadt prunkt mit einem Weihnachtsmarkt, der direkt vor dem Rathaus mit einer Eisbahn rund um die weltberühmte Statue zweier sich küssender Studenten beginnt und sich mit zahlreichen gläsernen Pavillons fortsetzt bis zum mächtigen Weihnachtsbaum. In den Hütten finden sich neben Schlittschuhverleih und dem obligatorischen Glögi-Ausschank auch Kunstinstallationen, ein Miniatur-Bauernhof mit lebenden Hühnern, ein Kuschelplatz für Kinder, Bücher und wuchtige Eisblöcke, die darauf warten, von Künstlerhand behauen zu werden. Sehenswert ist ein Besuch des Platzes, wenn an Sonntagabenden die nächste Adventskerze entzündet wird und eine Ton-Licht-Show die Herzen wärmt.

Doch nicht nur auf dem Rathausmarkt trifft der Besucher auf adventliche Spuren – auch in den Museen der selbst ernannten Weihnachtsstadt Tartu finden sich immer wieder Hingucker, die die Herzen junger und älterer Besucher höher schlagen lassen. Im Spielzeugmuseum etwa steht nicht nur ein herrlicher Baum, wie ihn die Esten vor vielen Jahren geschmückt haben. Eine kleine Sonderausstellung zeigt zudem, wie die beliebte Barbie zum Fest der Feste passt. Und im sehenswerten Nationalmuseum am Rand der Stadt steht ebenfalls ein Baum mit Geschenken, wie sie in den 1970er- und 1980er-Jahren üblich waren, von der Kaffeemaschine bis zur frühen Spielekonsole.

Ach, das alles ist kaum zu schaffen in den paar Adventstagen. Schließlich will auch noch gut gegessen werden, was in Estland ziemlich einfach ist. Die Dichte an kreativen und innovativen Köchen ist reichlich hoch. Die gute Nachricht: Die Esten feiern gern, und nach Heiligabend ist noch längst nicht alles vorbei. Denn die meisten Attraktionen können noch bis in den Januar hinein bestaunt werden.