Wo das Paradies auf Plastik trifft
Kaum eine Region bietet so viel Abwechslungsreichtum, wie die unterschätzte spanische Provinz Almería.

Von Sarah Hinney
Harrison Ford und Sean Connery, Natalie Portman und Clint Eastwood, Antony Quinn, Pierre Brice, Arnold Schwarzenegger und Henry Fonda – sie alle waren hier, in Almería, wo immer die Sonne scheint und das intensive Blau des Himmels nur mit dem des Meeres konkurriert. Hunderte Filme sind seit den 60er-Jahren an der traumhaften Küste des Naturparks Cabo de Gata-Níjar und in Tabernas, der einzigen Wüste Europas gedreht worden – und es werden jedes Jahr mehr.
Als Aktiv-Urlaubsziel sind die Provinz Almería mit der gleichnamigen Stadt, hier im Südosten Spaniens, weniger bekannt. Das hat seinen Grund: Almería empfängt seine Besucher wenig gastlich. Tatsächlich ist die gut zweieinhalbstündige Fahrt vom Flughafen Malagá entlang der Küste nach Osten ernüchternd. Plastik, Kilometer um Kilometer. Denn hier, in der sonnigsten Gegend Europas erstreckt sich zwischen den schroffen Gipfeln der Sierra Nevada und der Küste ein über 350 Quadratkilometer großes Meer an Gewächshäusern, in denen die Tomaten, Melonen, die Paprikaschoten, Avocados, Gurken und Erdbeeren reifen, die in deutschen Supermärkten angeboten werden. In keiner anderen Region Europas wächst so viel Gemüse. Es ist die Sonne, die es möglich macht, dem kargen Boden das ganze Jahr über Lebensmittel abzutrotzen. Ausgerechnet Almería gehört dabei zu den trockensten Provinzen Spaniens und es sind die billigen Arbeitskräfte, Tagelöhner aus Afrika, die das Gemüse ernten – teils für einen Hungerlohn.
Bis direkt an die Grenze des Naturparks Cabo de Gata-Níjar reichen die Gewächshäuser. Umso imposanter ist der Gegensatz, der uns hier erwartet. Rund um die kleine Ortschaft San José – tatsächlich der größte Urlaubsort Cabo de Gatas – mit seinem beschaulichen Hafen und den ursprünglichen Restaurants, in denen natürlich frischer Fisch serviert wird, erstrecken sich unzählige Wanderwege entlang der Steilküsten und der einsamen Buchten und Strände. Beeindruckende Felsformationen vulkanischen Ursprungs wechseln sich ab mit weißen Sandstränden, die von Agaven gesäumt sind. Im Sommer ist es für anstrengende Aktivitäten zu heiß, aber im Frühling und Herbst ist der Naturpark ein Paradies für Wanderer oder Mountainbiker, die Natur fernab des Massentourismus schätzen. Cabo de Gata gilt als die letzte unverbaute Mittelmeerküste Europas.

Wenige Kilometer entfernt von San José befindet sich auch einer der schönsten Strände des Naturparks, die malerische Playa de Mónsul mit ihren mächtigen Felsen am Ufer. Genau hier brachte Sean Connery im Film "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" mit einem Regenschirm ein feindliches Flugzeug zum Absturz.
Etwa eine Stunde Autofahrt entfernt von Almería Stadt befindet sich Tabernas, eine gänzlich andere beeindruckende Landschaft. Für begeisterte Cineasten ist ein Besuch der Wüste ein Muss. Sergio Leone, der Meister der sogenannten Spaghetti-Western, drehte hier unter anderem "Spiel mir das Lied vom Tod". Mit dem Auto in die Wüste zu fahren, ist streng verboten. Zu Fuß lässt sie sich die auch auf eigene Faust erkunden, wer auf den Wanderwegen bleibt, sollte sich kaum verirren. Mehr hat man allerdings von einer geführten Wanderung des Unternehmens Malcaminos. Rund drei Stunden lang führt uns Cristina auf Wegen und schmalen Pfaden durch Schluchten und über Hügel, erklärt uns beeindruckende Felsformationen, gibt einen Überblick über Flora und Fauna und die Entstehung dieser eigentlich lebensfeindlichen, trockenen und in Europa einzigartigen Umgebung. Es ist die Kombination aus der Nähe zur Großstadt, die einzigartige Naturkulisse, die Arizona, Kalifornien oder Texas zum Verwechseln ähnlich sieht und das besondere Licht, die seit Jahrzehnten Regisseure aus der ganzen Welt in dieses kleine Fleckchen Spaniens bringt. Denn tatsächlich ist es unkomplizierter und billiger hier zu drehen, als ein ganzes Filmteam in die endlose Weite Arizonas zu verfrachten.
Übrigens, nur 20 Minuten Fahrt entfernt von Tabernas befindet sich die "Plataforma Solar de Almería", das größten Zentrum für Forschung und Entwicklung der Solarenergie Europas. Hier wird auch intensiv erforscht, wie sich Meerwasser umweltfreundlich entsalzen lässt. Wer sich für erneuerbare Energien und deren Erforschung interessiert, kann hier spannende Führungen buchen – allerdings nur in spanischer und englischer Sprache.

Die Hafenstadt Almería eignet sich gut als Übernachtungsort, um einen Tagesausflug in die Wüste zu unternehmen, nach Cabo de Gata ist es aber fast ein bisschen weit. Almerías Innenstadt präsentiert sich mit malerischen, weißen Gässchen, über allem wacht die Alcazaba, eine über 1000 Jahre alte maurische Burg. Auch kulinarisch hat die Stadt einiges zu bieten. In den Gassen finden sich zahlreiche Tapas-Bars. Unbedingt kosten: den berühmten Ibérico-Schinken bei dem die Schweine nur mit Eicheln und Gras gefüttert werden und die grünen Tomaten, die ihr herrliches Aroma mit wenig Salz und gutem Olivenöl entfalten. Dazu gehören natürlich Käse und Berenjenas fritas con miel de caña – knusprig frittierte Auberginen, die mit mit Zuckerrohrsirup übergossen werden.
Neben Küste und Wüste locken die Berge. Höchstgelegenen Stadt Almerías ist Bayárcal, eine ursprünglich muslimische Siedlung auf 1258 Metern. Bayárcal gehört zum Gebiet der Alpujarra. Eng schmiegen sich die Häuser aus groben Natursteinen an die Berghänge. Herz des Ortes ist die Pfarrkirche, deren dickes Mauerwerk während des Maurenaufstandes 1568 den Christen als Festung diente. Nur wenige Meter weiter am Ende der Siedlung beginnen zahlreiche Wanderwege.
Die Luft ist klar, es duftete nach Piniennadeln und wilden Kräutern, im Frühling blühen Mandel- und Apfelbäume. Auch die Kastanie hat hier eine Heimat gefunden. Zahlreiche Wanderwege führen vom Ort aus durch den Naturschutzpark Parque Natural de Sierra Nevada, ein Höhepunkt ist aber der Abstieg in die Palacón-Schlucht. Wer dem schmalen Pfad bis nach unten folgt, darf die müden Füße unter schattigen Bäumen im eisigen, kristallklaren Flusswasser kühlen. Wem das als Abenteuer nicht genug ist, der kann die Schlucht auch am Seil überqueren. Das kleine Familienunternehmen "B Natural" hat hier oben die längste "Zipline" Andalusien installiert, eine 620 Meter lange Seilbahn. Mit bis zu 80 Stundenkilometern saust, wer sich traut, eingegurtet und an ein Stahlseil gehängt, über die Schlucht. Deutlich entspannter ist es, am Ende einer Wanderung auf der Terrasse im Restaurante Talama die atemberaubende Aussicht auf die schneebedeckten Höhenzüge der Nierra Nevada zu genießen – vielleicht mit einem Plato Alpujarreño, dem typisches Gericht aus Alpujarra, eine Kombination aus Blutwurst, Chorizo, Kartoffeln mit Spiegeleiern und Serrano-Schinken.
> Infos:
> Von Frankfurt aus gibt es Direktflüge nach Malaga, von dort sind es gut zweieinhalb Stunden Autofahrt nach Almería Stadt. Ein Mietwagen ist unerlässlich.
> Wer Cabo de Gata ausführlich erkunden möchte, übernachtet am besten in San José. Kulinarischer Tipp: Fangfrischer Fisch und Tapas im "4 nudos" direkt am Hafen des kleinen Ortes.
> Geführte Wanderungen oder Jeepfahrten durch die Wüste Tabernas gibt es über www.malcaminos.com.
> In Bayárcal am Fuße der Sierra Nevada gibt es mehrere kleine Ferienunterkünfte. Tipps gibt es über "B Natural" (https://bnaturalsport.com/). Das kleine Familienunternehmen bietet auch zahlreiche Outdoor-Aktivitäten an. Hübsche Appartements gibt es in der Villa Turística de Laujar in Laujar de Andarax, etwa 20 Minuten Autofahrt entfernt: www.villasdeandalucia.com
> Eines der besten Restaurants in der Stadt Almeriá: Das Casa Sevilla, C/Rueda López.
> Infos über den Solarpark Plataforma Solar de Tabernas gibt es auf der Internetseite www.psa.es.