Von Günter Kast
Höllenloch der Schöpfung, Tor zur Hölle - der aktive Vulkan Erta Ale, in dessen Krater ein See aus flüssiger Lava wogt, muss sich viele "Kosenamen" gefallen lassen, ohne sich dagegen wehren zu können. Bereits die Anfahrt über eine Rüttelpiste ist ein Abenteuer: Während die Zahlen auf dem Höhenmesser purzeln, irgendwann sogar ins Negative, also unter "Normal Null" fallen, steigen sie auf dem Thermometer unaufhörlich. Im Dorf Askoma endet der Rodeo-Ritt. Düster blickende und mit Kalaschnikows bewaffnete Männer vom Stamm der Afar nehmen uns in Empfang, packen Ausrüstung für die Nacht auf Kamele. In der Ferne ist ein eher unscheinbarer, flacher Vulkankegel zu sehen, aus dem Rauch aufsteigt.
Kurz vor der Abenddämmerung beginnt der Aufstieg. Die Afar würden sagen: Es ist ein kühler Herbstabend im November, denn es ist nur 38 Grad heiß. Ein Klacks im Vergleich zu den Werten, die sie hier im Sommer ertragen müssen. 50, 60 Grad sind dann möglich, Weltrekord. Der Grund: Die Danakil-Senke ist ein ausgetrockneter Seitenarm des Roten Meeres, liegt bis zu 150 Meter unter dem Meeresspiegel. Wegen der Hitze und wegen des kriegerischen Rufes, der den Afar vorauseilt, verirren sich nicht viele Reisende hierher. Die meisten Äthiopien-Touristen beschränken sich darauf, die Felsenkirchen der orthodoxen Christen in Lalibela und Geralta zu besuchen, die alten Kaiserstädte Gondar und Axum, den Tana-See und die Quellen des Blauen Nils.
Der 600 Meter hohe Kraterrand ist schnell erreicht. Zu schnell, denn die wenigen anderen Gruppen befinden sich noch im Aufstieg. Wir sind mutterseelenallein dort oben und merken: Deutsches Strebertum zahlt sich nicht aus, denn unser Guide Taha Ali weiß nicht so recht, was er jetzt machen soll. Mutig geht er in die Richtung, in der ein roter Feuerball leuchtet. Doch plötzlich dreht der Wind und bläst scharfen Schwefeldampf in unsere Richtung. Er dringt in die Lungen ein, wir keuchen, husten, würgen. Unser Führer bläst zum Rückzug, er wirkt regelrecht panisch. Wir stolpern über poröse, erkaltete Lava, die aussieht wie Bettwäsche nach einer unruhigen Nacht, schürfen uns die Schienbeine an scharfen Felsen auf. Dann sitzen wir keuchend im Dunkeln, in gebührendem Abstand zu dem Höllenloch. Wir hören darin das unheimliche Wogen der flüssigen Lava, spüren die Hitze, die von dort heraufdringt. Weltweit gibt es angeblich nur vier Vulkane, an denen sich dieses Schauspiel beobachten lässt. Der Erta Ale ist der älteste von ihnen.
Endlich leuchtet in der Ferne schwach eine Taschenlampe, die anderen Gruppen rücken an. Deren Guides finden zügig den Weg zum besten Ausguck, zumal der Wind jetzt nachlässt. Die Stimmung entspannt sich, Kameras klicken. Brandungswellen gleich wälzt sich die 1.200 Grad heiße Lava im Krater, bedeckt von einer silbrig-schwarzen Basaltkruste, die wie Haut auf erkalteter Milch liegt. Die Haut hat Risse, Glut lodert hervor. Manchmal schießen flammenrote Lavafontänen bis zu zehn Meter aus dem flüssigen Gestein empor. Es ist ein schaurig-schönes Schauspiel. Kollektives Staunen, Vulkan-TV zur besten Sendezeit! Erst gegen Mitternacht haben sich alle satt gesehen an dem Spektakel und ziehen sich in Steinhütten zum Schlafen zurück.
In einer dieser Hütten ereignete sich 2012 ein Überfall auf eine Reisegruppe. Bewaffnete Aufpasser bewachen den Vulkan seither Tag und Nacht, die Besucherzahlen steigen wieder. Derzeit sind es etwa 5 000 pro Jahr.
Sie alle kommen nicht nur wegen des Erta Ale in diesen Glutofen der Erde. Mindestens ebenso surreal ist Dallol, ein vulkanisch aktiver Hexenkessel am Rand des 120 Meter unter dem Meeresspiegel liegenden Assale-Salzsees. Auch hier brodelt und dampft es gehörig. Auch hier muss man aufpassen, um nicht aus Versehen in einen siedend heißen Mini-Geysir zu treten. Auch hier lässt der Schwefel die Luft nach faulen Eiern riechen. Auch hier begleiten uns schwer bewaffnete Afar, die auf ihren Toyota-Pickups wie IS-Kämpfer aussehen. Und auch hier ist die Erdkruste besonders dünn.
Doch in Dallol drückt nicht Lava nach oben, sondern heißes Wasser. Auf seiner Route an die Oberfläche durch die bis zu einem Kilometer dicke Salzschicht nimmt es verschiedenste Mineralien aus dem Gestein auf. Kleine, gurgelnde Wasser-Vulkane spucken die übel riechende Brühe aus, die Mineralien und Mikroorganismen lassen Kunstwerke und Skulpturen entstehen, die wie Pilze und Schwämme aussehen und die in allen Farben um die Wette leuchten: gelb, orange, giftgrün, braun und rot. Manche erinnern an Stalagmiten in Tropfsteinhöhlen, andere an filigrane Häuschen aus Zuckerguss, wieder andere an ein Korallenriff.
ÄthiopienWas für einen Kontrast bildet dagegen die nahezu strukturlose, weiße Ebene des Assale-Salzsees unweit von Dallol! Schon von weitem sieht man die Arbeiter, die in dem brutalen Klima das Salz ernten. "Sie stehen um vier Uhr auf, gehen zwei Stunden zu Fuß zu den Feldern, arbeiten bis 13 Uhr, dann wird die Hitze unerträglich", erklärt unser Guide Mohammed Abdalla. Ihm selbst bleibt diese harte Arbeit erspart, obwohl er auch zum Stamm der Afar gehört und als Kind das Vieh seiner nomadisch lebenden Eltern hütete. Doch als Teenager zog er in die Großstadt Mekele zu seinem Onkel, ging zur Schule, lernte Englisch, landete im Tourismusgeschäft. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten, der die Fragen der ihm anvertrauten Reisenden routiniert beantwortet. Die wollen zum Beispiel wissen, ob es noch Usus ist, dass ein Afar nur dann heiraten darf, wenn er dem Brautvater den abgeschnittenen Penis eines getöteten Feindes präsentiert. Mohammed verdreht die Augen: Eine Herde Ziegen tue es inzwischen auch. Und wie steht es um die Beschneidung der Mädchen, die brutale Genitalverstümmelung, die in ganz Äthiopien, besonders aber bei den Afar Tradition hat? "Wurde von den Stammesältesten als Sünde gebrandmarkt und ist inzwischen verboten", beteuert der Touristenführer. Dazu beigetragen habe auch die Stiftung des deutschen Abenteurers und Menschenrechtlers Rüdiger Nehberg, der die Danakil 1977 zu Fuß durchquert hatte.
Wir haben inzwischen die schneeweißen Salzplatten erreicht, schauen den Männern bei der Ernte zu: Mit einer stumpfen Axt schlagen sie zunächst Kerben in die Kruste. Wenn diese Risse aufweist, schieben sie lange Stangen zwischen die Schollen und heben diese an, bis sie brechen. Mit einem Dolch werden die Trümmer zurechtgeschnitten und mit einem Hobel geglättet. Den Männern rinnt dabei der Schweiß übers Gesicht, Salz verklebt ihre tiefschwarze Haut. Jede Platte misst etwa 25 mal 35 Zentimeter und wiegt rund sechs Kilo. Jeweils zwei bis drei Dutzend solcher Platten packen die Afar fein austariert auf Kamele.
Die Wüstenschiffe gehören allerdings nicht den Arbeitern, sondern Zwischenhändlern, die die Fracht ins 50 Kilometer entfernte Berhale bringen, wo das Salz dann mit Lastwagen in andere Landesteile gekarrt wird. Fünf bis sechs Birr (15 bis 18 Cent) bekommen die Arbeiter pro Platte, 17 bis 20 Birr (51 bis 60 Cent) die Händler mit ihren Kamelen.
Diese Karawanen sind es, die Touristen zu wahren Foto-Orgien antreiben. Sie fangen Bilder aus längst verloren geglaubten Zeiten ein, wenn die Afar an der Spitze der Kamel-Prozession vorneweg schreiten, begleitet von Eseln, die ebenfalls Salzplatten oder das Futter der Dromedare tragen. Mohammed schaut dem Zug aus 1001 Nacht nachdenklich hinterher. "Eine Inszenierung nur für uns Touristen?", fragen wir. "Ja und nein", antwortet er. "Wir Afar würden die Tradition gern bewahren", erklärt er. "Es ist unser Leben, unser Stolz, Geschichte und Heimat." Aber seit am Rand des Salzsees Pottasche gefördert wird und aus diesem Grund eine Asphaltstraße gebaut wurde, könnte das Salz natürlich auch auf Lkws abtransportiert werden. "Bequemer und billiger", ergänzt er. "Gute Kamele sind teuer, sie kosten umgerechnet bis zu 500 Euro."
Mohammed deutet zum Horizont. Dort, im flimmernden Licht, erkennt man Förderbänder und Maschinen für die moderne Salzgewinnung. Am Afdera-See nahe dem Erta Ale sei der Abbau schon viel stärker industrialisiert. Das so gewonnene Salz sei hochwertig und schneeweiß, könne teurer verkauft werden als das bräunlich-gelbe Salz der Karawanen, das vor allem zum Gerben von Leder eingesetzt und Tierfutter beigemischt werde. "Es ist leider kein Witz: Äthiopien importiert tatsächlich Speisesalz!", sagt unser Guide. Er lacht dabei, aber es klingt ein wenig bitter.
Und so sind es wir Touristen, die immerhin ein bisschen dazu beitragen, die Traditionen dieses stolzen, kriegerischen Volkes zu bewahren. Die davon träumen, ihre von willkürlich gezogenen Grenzen getrennten Stämme aus Äthiopien, Dschibuti und Eritrea irgendwann zu vereinen. Wir schaffen Jobs, wenn auch nicht ganz freiwillig.