Audi e-tron GT im RNZ-Autotest
Die erste Ausfahrt mit dem rein elektrischen Gran Turismo aus Neckarsulm

Von Axel F. Busse
Hamburg. Außer dem Nachweis technischer Kompetenz und außergewöhnlicher Fahrdynamik kommt dem Audi e-tron GT noch eine weitere wichtige Aufgabe zu: Er muss mindestens Augenhöhe mit Tesla dokumentieren und überzeugen, dass er mehr ist als ein Porsche Taycan mit vier Ringen. Dazu hat Audi jüngst eine Präsentation unter Corona-Bedingungen in Hamburg anberaumt.
Hintergrund
Audi e-tron GT
Länge x Breite x Höhe (m): 4,99 x 1,96 x 1,40; Radstand (m): 2,90; Elektromotor: 350 kW / 476 PS; Drehmoment E-Motor: 630 Nm;
Audi e-tron GT
Länge x Breite x Höhe (m): 4,99 x 1,96 x 1,40; Radstand (m): 2,90; Elektromotor: 350 kW / 476 PS; Drehmoment E-Motor: 630 Nm; Batterie: 800-Volt-Lithiumionen-Batterie, 93,4 kWh; Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 4,1 Sek.; Höchstgeschwindigkeit: 245 km/h (abgeregelt); Elektr. Reichweite: 488 km (WLTP); WLTP-Durchschnittsverbrauch: 19,9 kWh/100 km; Effizienzklasse: A+; Leergewicht / Zuladung: 2350 kg / max. 490 kg; Kofferraumvolumen: 405 Liter; Max. Anhängelast: 1300 kg; Wendekreis: 11,6 m; Luftwiderstandsbeiwert: 0,24; Kaufpreis: 99.800 Euro
Die Abgrenzung vom Elektro-Sportwagen aus Zuffenhausen ist deshalb eine besondere Herausforderung, weil im e-tron GT rund 60 Prozent Gleichteile verbaut sind. Die Produktionsstätten liegen nur rund 50 Kilometer auseinander, denn Audis Viertürer wird nicht in Brüssel wie das e-tron-SUV, sondern im Werk Böllinger Höfe in Neckarsulm montiert. Genau wie der Audi R8, und zwar auf derselben Fertigungsstraße. Die gemeinsame Produktion zwei grundverschiedener Hochleistungs-Pkw ist deshalb bemerkenswert, weil der Zwei- und der Viertürer außer überbordender Antriebskraft nur wenig gemeinsam haben.
"Der Porsche Taycan ist nicht wirklich ein Wettbewerber für unser Auto", sagt Victor Underberg. Er ist Leiter Technische Entwicklung bei der Audi Sport GmbH in Neckarsulm. Die Kollegen aus Zuffenhausen hätten ihr Produkt sportlicher positioniert und es spreche einen anderen Kundenkreis an als der e-tron GT. Dessen Kürzel, das für "Gran Turismo" steht, soll eine Synthese aus Eleganz, Komfort und Dynamik symbolisieren.
Mit wohldosierten Häppchen hatte Audi seit Herbst die Öffentlichkeit gefüttert, wenn es um Informationen über die nur 1,38 Meter hohe E-Flunder ging. Nach den Testfahrten mit einigen teil-getarnten, seriennahen Prototypen im Oktober liegt nun das Geheimnis um den Innenausbau offen zutage: Das Interieur bietet kaum Parallelen zu den herkömmlich angetriebenen Audi-Limousinen, mit futuristischen anmutenden und berührungsempfindlichen Oberflächen wird großzügig umgegangen. Zierelemente sind je nach Ausstattung in Klavierlack-Dekor, Holz oder matter Kohlefaser zu bekommen. Sitzpolster und Verkleidungen werden je nach Kundenwunsch in Leder, Stoff oder Mikrofaser ausgeführt.
Zur Markteinführung können die Kunden zwischen zwei Varianten wählen. Ergänzend zum e-tron GT gibt es eine "RS"-Version, dessen rund 700 Kilogramm schweres Batteriepaket anstatt 83,7 Kilowattstunden 93,4 kWh Kapazität und rund 120 PS mehr Leistung hat. Der Energievorrat soll für 488 km Reichweite genügen, berechnet nach WLTP-Zyklus. Nach rund 120 Testkilometern in zügigem Tempo und einem vom Bordcomputer errechneten Durchschnitts-Verbrauch von etwa 23,5 kWh ist das als realistisch anzusehen. Auf der Langstrecke bei gleichmäßigem Tempo dürfte der Wagen überdies seinen erstklassigen cw-Wert von 0,24 ausspielen.
Das brachiale Beschleunigungsvermögen des e-tron GT zum Beispiel an der Autobahnauffahrt auszukosten, ist ein Kick aus dem automophilen Feinkostregal. Aus dem Stand, so gibt der Hersteller es an, ist nach gut vier Sekunden der Sprint zur 100 km/h-Marke vorbei. Unter der Gewissheit, eine Ladesäule in erreichbarer Nähe zu haben, lässt sich der Katapult-Start bis auf 245 km/h Endgeschwindigkeit ausdehnen. Dabei wirken 175 Kilowatt Leistung (238 PS) des vorderen E-Motors auf die Frontachse, mit 335 kW (455 PS) schieben die Hinterräder an. Allerdings kann die Steuerungselektronik die Kraft je nach Bedarf auch vollständig auf eine Achse leiten.
Der Elektro-Athlet kann auch entspannt. Wer Gelegenheit hat, ihn über kurvige Landstraßen zu bewegen, dürfte erstaunt sein über das ausgewogene Fahrverhalten, den Komfort der Luftfederung und die Leichtigkeit, mit der sich ein 2,3-Tonnen-Trumm wieder und wieder um die Kehren zirkeln lässt. Ohne synthetisch zu wirken, vermittelt die leichtgängige Lenkung jederzeit präzisen Zugriff auf die Fahrtrichtung. Da der Fahrzeug-Schwerpunkt dank der Batterie zwischen den Achsen noch näher an der Straße liegt als beim R8-Renner, könnte die Balance kaum besser sein. Akustisch untermalt wird das geschmeidige Gleiten durch ein ausgeklügeltes Soundsystem, das nicht Verbrenner imitieren, sondern eine eigenständige Geräuschkulisse aufbauen soll.
Dass der Neckarsulmer Spitzen-Stromer zum Schnäppchen-Preis zu haben wäre, wird niemand vermuten. 138.200 Euro ruft Audi für den RS e-tron GT RS auf. Knapp unter 100.000 Euro liegt die Basisversion. Das Ziel, mit dem Preis das Taycan-Modell unterboten zu haben, kann als erreicht angesehen werden.