Kreuzschmerzen ganzheitlich in den Griff bekommen

Neben Bewegungsmangel kann auch Stress Schmerzen verursachen - Ein Gespräch mit Antje Reinhardt, Mitbegründerin der Heidelberger Rückenschule

03.08.2012 UPDATE: 03.08.2012 14:29 Uhr 2 Minuten, 20 Sekunden
In die Knie und den Rücken gerade lassen: Antje Reinhardt (r.) zeigt in einem Kurs, wie Einkäufe am besten hochgehoben werden. Foto: Kresin
Von Arndt Krödel

Probleme mit dem "Kreuz" sind zur Volkskrankheit Nummer Eins geworden: Die Statistik spricht von 20 Millionen Deutschen, die regelmäßig unter Rückenschmerzen leiden - die zweithäufigste Ursache für Arztbesuche überhaupt und einer der meist genannten Gründe für die Frührente. Am Heidelberger Sportinstitut wurde vor 25 Jahren das für ganz Deutschland bis heute gültige Rückenschul-Konzept entwickelt, um mit einem neuen, ganzheitlichen Programm individuell auf die Beschwerden von Betroffenen einzugehen. Die RNZ unterhielt sich mit der Ärztin und Sportwissenschaftlerin Antje Reinhardt, die Mitbegründerin der Rückenschule ist und als langjährige stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Rückenschulen maßgeblich die Rückenschulbewegung geprägt hat.

Frau Reinhardt, was machen wir falsch? Bewegen wir uns zu wenig und sitzen wir zu viel?

Wir zahlen einen hohen Preis für unsere heutige Lebensweise mit zu viel Stress und Bewegungsmangel. Eigentlich ist der Mensch von Natur aus für abwechslungsreiche, eher anstrengende Tätigkeiten konzipiert. Die monotonen Körperhaltungen und einseitigen Belastungen unseres modernen Berufs- und Lebensstils sind deshalb Gift für Wirbelsäule und Bandscheiben, insbesondere das viele und krumme Sitzen. Rückenbeschwerden sind aber nicht nur ein orthopädisches Problem - es gibt auch psychische und soziale Ursachen.

Rückenleiden umfassen ein weites diagnostisches Feld. Was sind die häufigsten Probleme?

Bewegungsmangel und Fehlbelastungen der Wirbelsäule führen zu Haltungsschäden und vorzeitigen "Abnutzungserscheinungen" vor allem an Bandscheiben und Wirbelgelenken. Die meisten klagen über Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule oder im Kreuzbeinbereich. Nackenverspannungen mit Muskelhartspann können sowohl von Abnutzungsprozessen der Halswirbelsäule kommen als auch von Situationen, wo jemandem Stress oder Belastung "im Nacken sitzen".

Welcher grundlegend neue Ansatz steckte denn hinter dem Konzept der Rückenschule?

Auch früher wurde bei Rückenproblemen geraten, sich mehr zu bewegen - aber die damals üblichen Angebote, ja sogar die herkömmliche Wirbelsäulengymnastik waren mit ihren Bewegungsprogrammen nicht wirklich geeignet, Betroffenen zu helfen. Wir dagegen in unserem interdisziplinären Team aus Ärzten, Sportwissenschaftlern, Krankengymnasten und Psychologen hatten das Ziel, ein Programm zu entwickeln, das sogar Bandscheibenoperierte vor neuerlichen Beschwerden schützen kann. Meine schon 1992 durchgeführte Studie konnte unter anderem nachweisen, dass die Kurse zur Linderung von Rückenbeschwerden und zu einem aktiveren gesunden Lebensstil führen.

Was kann man in der Rückenschule lernen?

Zuerst einmal geht es darum, seinen Körper besser wahrzunehmen und Auslöser für die individuellen Probleme zu erkennen, die ja völlig verschieden sein können. Deshalb sind unter anderem Haltungsschulung, optimale Bedingungen am Arbeitsplatz und im Alltag, aber auch Programme zur Stressbewältigung wichtige Themen. Mir persönlich ist es wichtig, den Betroffenen Mut zu machen, dass mit dem erarbeiteten individuellen Bewegungsprogramm und der Vermeidung von Fehlbelastungen fast alle Probleme in den Griff zu bekommen sind.

Was könnte man zum Beispiel im Alltag anders machen?

Zuerst einmal "dynamisch" sitzen, also hauptsächlich aufrecht im sinnvollen Wechsel mit verschiedenen anderen Sitzpositionen. Das beugt Muskelverspannungen im unteren Rücken sowie im Brust-, Schulter- und Nacken-Bereich vor. Man kann sogar Bandscheibenvorfälle und Wirbelsäulenblockierungen vermeiden, indem man beispielsweise den Rücken nicht zu stark beugt und gleichzeitig dreht, schon gar nicht unter Belastung. Die Wirbelsäule sollte in ihrer normalen Position, also "gerade" arbeiten, besonders beim Bewegen von Lasten, also beim Heben, Bücken und Tragen. Dafür muss man dann mehr oder weniger in die Knie gehen, was nebenbei zur Kräftigung der Beine beiträgt. Schwerere Gegenstände sollten immer so nah wie möglich am Körper angehoben und getragen werden. Auch Schwangere und junge Eltern profitieren von diesen ergonomischen Tipps.

Welche Sportarten empfehlen Sie?

Um neuerlichen Beschwerden vorzubeugen, sollte man möglichst verschiedene sportliche Tätigkeiten ausüben, die wirbelsäulenfreundlich sind, wie die Übungen aus der Rückenschule, Radfahren, Wandern, Walking, Nordic-Walking, Jogging, Schwimmen oder im Winter Skilanglauf.