Christian Klein soll die SAP allein durch die Krise führen
Walldorfer Softwarekonzern schafft die gerühmte Doppelspitze nach nur sechs Monaten wieder ab

Von Matthias Kros
Walldorf. Nach nur sechs Monaten schafft die Walldorfer SAP ihre Doppelspitze wieder ab. In der Nacht zum Dienstag gab der Softwarekonzern völlig überraschend die Trennung von seiner Co-Chefin Jennifer Morgan bekannt und setzte damit auch der Ära der ersten Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns ein jähes Ende. Die 48-Jährige habe sich mit dem Aufsichtsrat einvernehmlich darauf verständigt, das Unternehmen Ende April zu verlassen, teilte die SAP mit. Ihr Co-CEO Christian Klein werde das Unternehmen künftig alleine führen.
Morgan und Klein hatten die Führung der SAP im Oktober vergangenen Jahres von Bill McDermott übernommen, dessen Abgang ähnlich überraschend gekommen war wie jetzt der von Morgan. Die Entscheidung zurück zum Modell eines alleinigen Vorstandssprechers sei wegen der Coronakrise früher gefallen als geplant, hieß es. Allerdings war beim Übergang auf die Doppelspitze keine Rede davon gewesen, diese mittelfristig wieder abzuschaffen. Im Gegenteil: Zum Amtsantritt von Morgan und Klein rühmte SAP das im Konzern bereits bewährte Modell der Doppelspitze und stellte es als Teil eines langfristigen Nachfolgeplans dar.
In schwierigen Zeiten wie jetzt hat sich die geteilte Führung aber offenbar nicht als praxistauglich erwiesen. "Die Corona-Krise ist mit nichts vergleichbar und macht Schnelligkeit, Klarheit und Entschlossenheit dringend notwendig", schreibt SAP-Mitbegründer und Aufsichtsratschef Hasso Platter in einer E-Mail an die Belegschaft. "Ich bin fest davon überzeugt, dass das Co-CEO Modell seinen Platz und seine Zeit hat – schließlich war ich selbst einmal Co-CEO. Jetzt allerdings ist nicht diese Zeit."
Zum Wohle des Unternehmens und der Kunden habe man deshalb entschieden, "dass wir einen einzigen Vorstandssprecher brauchen, der uns durch diese Zeit führt". Warum die Wahl dabei auf Klein und nicht auf die erfahrenere Morgan fiel, erklärte Plattner nicht.
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Offiziell heißt es, die Amerikanerin, die seit 2004 bei SAP und seit 2017 im Vorstand ist, trete von ihrer Rolle zurück. Doch schon die Geschwindigkeit ihres Rückzugs lässt erahnen, dass der Aufsichtsrat mit ihrem Wirken unzufrieden war. Schon am Dienstag nahm Morgan an einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz nicht mehr teil. Auch die Bilanz für das abgelaufene erste Quartal kommentierten lediglich Klein und der Finanzvorstand Luka Mucic.
Die wahren Gründe für Morgans überraschenden Rücktritt dürften somit – ähnlich wie im Fall McDermott – im Dunklen bleiben. Die Nachricht darüber erreichte am Dienstag fast alle der über 100.000 Beschäftigten der SAP vermutlich zu Hause. Rund 95 Prozent der Belegschaft arbeiten wegen der Corona-Ansteckungsgefahr derzeit im Homeoffice. "Ein duales Leadership-Modell hat viele Vorteile und auch seine Zeit", wandte sich Klein in einer E-Mail an sie. Das gegenwärtige Umfeld verlange von Unternehmen allerdings ein schnelles, entschlossenes Handeln. "Das gelingt am besten mit einer sehr klaren Führungsstruktur", ist er überzeugt.
Klein ist bei der Bewältigung der Corona-Krise also auf sich allein gestellt. Zugleich muss er noch zahlreiche Baustellen abarbeiten, die aus der Ära McDermott übrig geblieben sind. Der Amerikaner hatte den Konzern vor allem mit milliardenschweren Zukäufen vergrößert, die vielfach noch integriert werden müssen. Auf größere Veränderungen müssen sich die Beschäftigten aber wohl nicht einstellen: "Viele von euch werden sich fragen, was dies für unser weiteres Vorgehen bedeutet", wendet sich Klein in seiner E-Mail direkt an die Mitarbeiter. "Einfach ausgedrückt: Unser Fokus auf den Erfolg unserer Kunden und die Umsetzung unserer bisherigen Prioritäten bleibt unverändert. Wenn überhaupt, dann zeigt die aktuelle Krise, dass unsere Strategie des Intelligenten Unternehmens relevanter denn je ist".
Hintergrund
Trotz der Corona-Krise hat die SAP im ersten Quartal noch ein kräftiges Umsatzplus und einen Ordentlichen Gewinn eingefahren. Das teilte der Softwarekonzern am gestrigen Dienstag mit. Gegen Ende des Quartals hatte SAP aber
Trotz der Corona-Krise hat die SAP im ersten Quartal noch ein kräftiges Umsatzplus und einen Ordentlichen Gewinn eingefahren. Das teilte der Softwarekonzern am gestrigen Dienstag mit. Gegen Ende des Quartals hatte SAP aber schon die Auswirkungen der Krise zu spüren bekommen. Eine bedeutende Zahl von Neuabschlüssen sei verschoben worden, was sich vor allem in einem erheblichen Rückgang der Verkäufe von Softwarelizenzen widergespiegelt habe, hieß es.
Die Prognose für dieses Jahr hatte die SAP auf Basis vorläufiger Zahlen deshalb bereits vor knapp zwei Wochen zusammenstreichen müssen. Als Folge davon plant der Softwarekonzern im laufenden Jahr nun weniger neue Stellen zu schaffen als bislang geplant. Co-Vorstandschef Christian Klein sagte am gestrigen Dienstag bei der Vorstellung der Zahlen aber, dass man nicht gänzlich aufhören werde, neue Mitarbeiter einzustellen Auch müsse sich die bestehende Belegschaft keine Sorgen machen.
Morgan, die während der gemeinsamen Zeit an der SAP-Spitze immer etwas im Schatten Kleins zu stehen schien, ließ es sich allerdings nicht nehmen, sich persönlich von der Belegschaft zu verabschieden. "Christian und ich haben viele Diskussionen darüber geführt, wie wir unsere Führung von oben verbessern und unsere Teams mit einem neuen Gefühl der Dringlichkeit, Klarheit und Ausrichtung nach vorne führen können", schreibt sie an die Mitarbeiter.
Aus diesem Grund sei die gesamte Führung der Ansicht, dass ein Allein-Vorstand "jetzt entscheidend für eine schnelle Entscheidungsfindung, Geschwindigkeit und Einfachheit ist". Gemeinsam mit dem Aufsichtsrat habe man daher die Entscheidung und Empfehlung getroffen, dass Klein Vorstandschef bleibe, während sie selbst das Unternehmen verlassen werde. Ihre Zeit bei SAP sei ein "großes Privileg" gewesen, schreibt sie schließlich.
An der Börse kamen die Nachrichten aus Walldorf am Dienstag nicht besonders gut an. Der Kurs der SAP-Aktie fiel um über sieben Prozent. "Der Weggang der Co-Chefin dürfte zu einigen internen Verwerfungen führen und die Investoren womöglich beunruhigen", schrieb Analyst Michael Briest von der Schweizer Großbank UBS in einer am Dienstag vorliegenden ersten Einschätzung. Die Analysten der britischen Barclays Bank zeigten sich überrascht angesichts des plötzlichen Abgangs von Morgan. Die Rückkehr zum Führungsmodell mit nur einer Person an der Spitze sei wahrscheinlich unausweichlich gewesen, kommentierte hingegen Expertin Stacy Pollard von JPMorgan.