Dramatik unterschätzt

Fachkräftemangel wurde lange nicht ernst genommen

Das meint Achim Dercks vom DIHK. Er sagt: "Wir müssen besser werden".

20.01.2023 UPDATE: 20.01.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 5 Sekunden
Fachkräftemangel
Fachkräfte sind in Deutschland weiterhin rar.
Interview
Interview
Achim Dercks
Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)

Von Gernot Heller, RNZ Berlin

Berlin. Achim Dercks ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).

Herr Dercks, der Bundestag debattiert an diesen Freitag erstmals über die Fachkräftestrategie der Bundesregierung. Wie beurteilen Sie diese?

Wir gehen davon aus, dass in Deutschland fast zwei Millionen Arbeitsplätze länger vakant bleiben. Das entspricht einem Wertschöpfungsverlust von fast 100 Milliarden Euro. Daher ist es wichtig, dass die Bundesregierung das Thema weit oben auf die Agenda setzt.

Es gibt nicht die eine Lösung gegen den Fachkräftemangel in den Betrieben. Viele der wichtigen Handlungsfelder greift die Fachkräftestrategie auch auf. Dazu gehören eine bessere Berufsorientierung zu den Chancen der beruflichen Bildung, ein weiterer Ausbau der Infrastruktur zur Kinderbetreuung – Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber auch die Beschäftigung Älterer, die Integration von Arbeitslosen sowie die Zuwanderung aus dem Ausland bieten noch Potenziale.

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Hat Deutschland die Dramatik des Fachkräftemangels unterschätzt und zu wenig dagegen getan?

Die Problematik und die demografische Entwicklung sind seit langem bekannt. Lange Zeit wurde der Fachkräftemangel in der Breite aber nicht ernst genug genommen – auch wenn es in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Aktivitäten zur Fachkräftesicherung gab. In jedem Fall ist die Demografie zuletzt schneller als unsere Antworten darauf, denn 400.000 Menschen mehr gehen in Rente als aus der Schule kommen.

Manche Entscheidung war auch kontraproduktiv, zum Beispiel Anreize zum früheren Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Wir brauchen daher jetzt nicht nur zusätzliche gute Ideen und Strategien.

Und noch eines: Die aktuell gute Entwicklung am Arbeitsmarkt darf nicht zum Fehlschluss verleiten, dass es den meisten Unternehmen gut gehe und alles relativ rund laufe. Das Fehlen von Fachkräften belastet nicht nur die Betriebe, sondern gefährdet unseren Erfolg bei der Energiewende, der Digitalisierung oder dem Infrastrukturausbau. Denn überall brauchen wir für die Umsetzung dieser gesellschaftlichen Projekte vor allem Menschen mit praktischer Expertise.

In welchen Feldern ist der Handlungsdruck am größten?

Fachkräfteengpässe bestehen mittlerweile in der Breite der Wirtschaft. Besonders häufig haben die Betriebe jedoch Schwierigkeiten, Fachkräfte mit dualer Berufsausbildung zu finden. Und wenn in den kommenden Jahren die "Baby-Boomer" in Renten gehen, die oft einen solchen Berufsabschluss haben, dürfte der Druck noch zunehmen.

Ist Deutschland als Zielort von qualifizierten Zuwanderern gemessen an Konkurrenten wettbewerbsfähig?

Wir sind ein attraktiver Standort mit tollen Unternehmen. Zum Beschäftigungsaufbau der letzten Jahre haben in großem Maße Fachkräfte aus anderen Ländern beigetragen. Wir müssen uns hier allerdings anstrengen und noch besser werden – schließlich werben auch andere Regionen weltweit um Fachkräfte. Dazu brauchen wir schnelle und digitale Verfahren im gesamten Zuwanderungsprozess. Wir müssen aktiver im Ausland um Fachkräfte werben und den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse fördern – denn mit Blick auf die Sprache haben wir tatsächlich einen Nachteil.

Wie sieht es mit der "Willkommenskultur" in Deutschland aus?

In vielen Betrieben gehören international zusammengesetzte Teams längst zum Alltag – und dort gelingt auch die Integration. Damit Zuwanderer und ihre Familien schnell Fuß fassen und lange im Betrieb bleiben, können Welcome-Center in den Regionen einen wichtigen Beitrag leisten. Sie unterstützen etwa bei Fragen des Alltags.

Hat sich der Fachkräfte- zu einem Arbeitskräftemangel ausgewachsen?

Es fehlen nicht mehr nur Experten, sondern auf vielen Ebenen Arbeitskräfte mit geringerer Qualifikation. Das führt bereits dazu, dass Unternehmen etwa im Gastgewerbe oder in der Sicherheitsbranche ihre Angebote und Dienstleistungen reduzieren müssen.

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