Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht. Foto: Uli Deck
Von Anja Semmelroch
Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht schützt unverdächtige Autofahrer vor zu weitgehender Erfassung ihrer Nummernschilder durch die Polizei. Nach Klagen mehrerer Privatleute aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg erklärten die Karlsruher Richter die Vorschriften zum automatischen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdaten in den drei Ländern zum Teil für verfassungswidrig. Diese Regeln verstießen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, heißt es in den am Dienstag veröffentlichten Beschlüssen. (Az. 1 BvR 2795/09 u.a.)
Ulrich Kelber. Foto: dpaDer Kennzeichen-Abgleich zur Gefahrenabwehr ist in den Polizeigesetzen der Länder geregelt. Gegenstand der Klagen waren nur die Vorschriften in den drei Bundesländern, sie dürfen in dieser Form höchstens bis Ende des Jahres in Kraft bleiben. Auch andere Länder haben solche Kontrollen in ihren Polizeigesetzen vorgesehen.
Dabei werden mit speziellen Geräten an der Fahrbahn die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Autos gescannt und mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfasst. Die Insassen bekommen davon nichts mit. Ergibt der automatisierte Abgleich mit dem Fahndungsbestand keinen Treffer, werden die Daten sofort gelöscht. Gibt es eine Übereinstimmung, überprüft ein Polizist den Fall und schlägt gegebenenfalls Alarm.
Die Polizei nutzt die Kennzeichen-Kontrollen, um gestohlene Autos zu finden oder polizeibekannte Unruhestifter auf dem Weg zu einer Großveranstaltung oder einer Demonstration abzupassen. Auch im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität oder beim Aufspüren von Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung wird das Verfahren genutzt.
Bayern etwa nutzt die Geräte seit 2006. Nach Angaben, die die Landesregierung dem Gericht 2017 gemacht hat, betrieb der Freistaat damals 19 stationäre Anlagen an zwölf Standorten und zwei mobile Geräte. 8,9 Millionen Fahrzeuge im Monat passierten demnach 2016 durchschnittlich die Anlagen. Baden-Württemberg hingegen hatte damals nur ein Gerät für einen Pilotversuch.
Die Verfassungsrichter hatten 2008 schon einmal wichtige Vorgaben zum Kennzeichen-Abgleich gemacht. Damals erklärten die Richter die Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein für nichtig, weil sie unverhältnismäßig und unklar waren. So sei nicht auszuschließen, dass über längere Zeit Bewegungsprofile erstellt würden.
Die neuen Entscheidungen gehen darüber noch hinaus. 2008 hatte der Erste Senat angenommen, dass nur dann Grundrechte berührt sind, wenn die Daten nicht sofort gelöscht werden. Jetzt erklärten die Richter, schon der Scan sei freiheitsbeeinträchtigend.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verteidigt den automatischen Abgleich als "ein sinnvolles Instrument zur Abwehr von Gefahren". "Allein schon ein Treffer sowie der entsprechende Fahndungserfolg rechtfertigen den Aufwand, denn ein Täter hinterlässt auch immer ein Opfer", sagte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow am Dienstag.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) äußerte sich ähnlich. "Neue technische Möglichkeiten zur Unterstützung von Fahndungs- und Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden sind zur Unterstützung der Polizei dringend notwendig, sie müssen aber mit größtmöglicher Sorgfalt gesetzlich legitimiert sein", erklärte der DPolG-Bundesvorsitzende Rainer Wendt. "Rechtliche Grauzonen" dürfe es nicht geben.