Die Zukunft der heimischen Autoindustrie treibt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne, 2. v.r.) schon eine ganze Weile um. 2017 posierte er mit den damaligen Konzernvertretern (v.l.) Hubert Waltl (Produktionsvorstand Audi), Lutz Meschke (Finanzvorstand Porsche) und Dieter Zetsche (Vorstandsvorsitzender Daimler) vor dem Neuen Schloss in Stuttgart. Foto: Marijan Murat
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will mit einem Sofortprogramm für Weiterbildung und Qualifizierung von Beschäftigten in der Automobilbranche auf die angespannte wirtschaftliche Lage reagieren. "Wir müssen jetzt schnell handeln, um Unternehmen wie Beschäftigten Perspektiven aufzuzeigen", drückt Kretschmanns Amtschef Florian Stegmann in einem Schreiben an mehrere Ministerien, das dieser Zeitung vorliegt, aufs Tempo.
Die Lage sei "ernst", der Südwesten "bundesweit am stärksten von Stellenabbauplänen und Kurzarbeit betroffen". Einige Unternehmen, vor allem Zulieferer, "fürchten um ihre Existenz". Erst am Dienstag hat der Autohersteller Daimler einen drastischen Gewinneinbruch bekanntgeben müssen.
Kretschmanns Konzept zielt auf die Weiterqualifizierung aller Beschäftigten in stark vom Strukturwandel betroffenen Arbeitsamtsbezirken, darunter auch Heilbronn, Heidelberg, Mannheim und Schwäbisch Hall/Tauberbischofsheim. Dies schließe Hochqualifizierte ein, "deren Beruf sich aufgrund des Strukturwandels stark verändern oder deren Tätigkeit wegfallen wird". Als Beispiel nennt das Konzept "Ingenieure in der Verbrennungsmotorenfertigung", für die es "so gut wie keine passenden Weiterbildungsangebote" gebe. Die Lücke sollen die Hochschulen für Angewandten Wissenschaften, die Steinbeis-Transferzentren oder die Fraunhofer-Institute mit berufsbegleitenden Aufbaustudiengängen schließen. Das Land will auch neue individuelle Förderinstrumente schaffen, um durch Qualifizierungen "die dringend benötigten Digitalexperten und Softwarespezialisten" zu gewinnen. Die Weiterbildungsprogramme sollen dabei "die Bedarfe der Unternehmen branchenübergreifend" aufnehmen. Bis zum Sommer soll zudem bei der Landesagentur e-mobil BW ein Transformationszentrum eingerichtet werden, dem eine Lotsenfunktion für Weiterbildung und Qualifizierung zugedacht ist.
Für sein Sofortprogramm sucht das Land "den Schulterschluss mit der Bundesregierung". Die hatte erst Ende Januar beschlossen, der Autobranche zu helfen. Kretschmann dringt aber auf Nachbesserungen. "Das Kurzarbeitergeld plus aus dem Jahr 2009 muss schnellstmöglich reaktiviert werden", lautet eine Forderung. Zudem müssten Firmen Anreize erhalten, das Kurzarbeitergeld mit Maßnahmen zur Qualifizierung und Weiterbildung zu verbinden.
Die Mehrheit der baden-württembergischen Unternehmen, die vom Strukturwandel betroffen ist, hat zwischen 250 und 2000 Beschäftigte. Bei Unternehmen dieser Größe greift aktuell der niedrigste Fördersatz. Das Land fordert daher eine Höherstufung der Fördersätze für betroffene "Hidden Champions".
Als Problem hat das Staatsministerium auch das EU-Beihilferecht ausgemacht. Baden-Württemberg verfügt über kein strukturschwaches Gebiet – eigentlich eine erfreuliche Tatsache. In einem tiefgreifenden Strukturwandel, warnt Kretschmanns Regierungszentrale, führe dieser Umstand aber zu "der höchst gefährlichen Situation", dass Unternehmen zunehmend Innovationen ins Ausland verlagern, wo sie – anders als in Baden-Württemberg – nach EU-Beihilferecht direkt gefördert werden.
"Die dadurch für unser Automobilcluster drohenden Produktionsverlagerungen sind irreversibel und verhindern, dass sich unser Automobilcluster erneuern kann und neue Arbeitsplätze entstehen können", warnt das Papier.
Strukturumbrüche würden aber entwickelte Regionen wie Baden-Württemberg und weniger entwickelte Regionen gleichermaßen treffen. Die Bundesregierung solle sich daher bei der Europäischen Kommission dafür stark machen, "dass diese eklatanten Standortnachteile zügig ausgeglichen werden. Wir brauchen dringend ein neues beihilferechtliches Instrument für Unternehmensansiedlungen, um Innovationen am Standort Baden-Württemberg halten zu können."