Winfried Kretschmann in der Mannheimer Schlosskirche, die er als "raumgewordene Ökumene" pries: Erst katholisch geweiht, dann protestantisch umgewidmet, später simultan von beiden Konfessionen genutzt und heute Sitz der Alt-Katholischen Gemeinde. Foto: vaf
Von Daniel Bräuer
Mannheim. Beim Glauben hört die politische "Südschiene" auf. Da trennen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seinen bayerischen Amtskollegen Welten. Nicht, weil Markus Söder Protestant ist und Kretschmann bekennender Katholik. Sondern wegen dem umstrittenen Kreuz-Erlass des künftigen CSU-Chefs Söder. "Nicht umsonst haben sich die bayerischen Kirchen dagegen verwahrt", sagt Kretschmann am Donnerstag in der barocken Kulisse der Mannheimer Schlosskirche. "Das Kreuz ist auch ein kulturelles Symbol. Aber es ist viel mehr", sagt er. Wer das christliche Abendland postuliere, werde dem Christentum gleich mehrfach nicht gerecht, kritisiert Kretschmann. Es sei schließlich Weltreligion - und nicht Markenzeichen eines bestimmten Landstrichs.
Der grüne Ministerpräsident ist Gastredner beim "Ökumenischen Dies" (Tag) der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Mannheim. Das Thema ist zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes von 1949 bewusst politisch gewählt: das Verhältnis von Staat und Kirche.
Kretschmann wirbt für den "dritten Weg" der deutschen Verfassung - zwischen striktem Laizismus französischer Prägung und Staatsreligion mit Pflicht-Kruzifix. Er nennt es "kooperative Trennung": Der Staat ist neutral in der Frage, ob und was seine Bürger glauben. Aber er fördert die Religionen prinzipiell. Denn, so legt Kretschmann dar und zitiert den Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde und die Philosophin Jeanne Hersch: Er ist darauf angewiesen, dass die Gesellschaft einen moralischen Kompass hat. Der freiheitliche Staat selbst darf ihn nicht vorgeben. Das müsse die Gesellschaft selbst schaffen - und zwar nicht als Summe von Individuen, sondern "Gemeinschaft von Gemeinschaften". Der Staat sorgt zwischen ihnen für faire Regeln, ohne eine von ihnen zu bevorzugen. Er sorgt für ihren Schutz, wenn wie zuletzt wieder vermehrt jüdische Gemeinden bedroht werden. Und er sorgt durch konfessionell verantworteten Religionsunterricht dafür, dass religiöses Wissen qualifiziert weitergegeben wird.
Ob ein überkonfessionelles Fach Religionskunde nicht der staatlichen Pflicht zu Neutralität besser gerecht würde, diese Frage muss der ehemalige Ethiklehrer Kretschmann aus dem Kreis der versammelten ACK-Seelsorger nicht fürchten. Dafür aber, wie es mit dem islamischen Schulunterricht weitergehen soll.
Kretschmann verweist auf das Problem, dass im Islam der eine Ansprechpartner fehlt, der die Inhalte verwalten soll. Bislang hat das Land mit einem Provisorium immerhin 6000 Schülern im Land Islamunterricht ermöglicht. Als nächstes soll ein Schulrat in Form einer Stiftung entstehen. Doch auch das sei nur ein Zwischenschritt, so Kretschmann. "Die Muslime müssen das nicht machen, aber wenn sie an dem Modell teilhaben wollen, dann ist eine Institutionalisierung nötig", sagt er. "Wir sind noch guten Mutes, dass wir das hinbekommen."
Es gebe kein Recht, von jeglicher Konfrontation mit öffentlich praktizierter Religion verschont zu werden, betont Kretschmann. Ein Gottesdienst sei auch ein "Geschenk an die ganze Gesellschaft", sagt er. Ein radikaler Moment der Besinnung, raus aus dem Trubel, aus der Ich-Bezogenheit. Davon profitiere auch, wer nur am Strand liege, so Kretschmann. "Ohne Sonntag gibt’s nur noch Werktage."
538 Millionen Euro "Staatsleistung" erhielten die Kirchen im vergangenen Jahr, eine Entschädigung für enteignete Kirchengüter in früheren Zeiten. Bald ist es 100 Jahre her, dass die Weimarer Verfassung vorschrieb, diese jährliche Zahlung "abzulösen" - das heißt, gegen eine einmalige, noch höhere Summe einzustellen. "Ich wüsste aber nicht, wie wir das bezahlen sollten", sagt Kretschmann offen. "Dem können wir erst näher treten, wenn wir keine Schulden mehr haben." Er könnte auch sagen: am Sankt-Nimmerleinstag.
Zugleich wirft er die Frage auf, warum sich Atheisten eigentlich an der Kirchensteuer reiben. "Wie kann man sich an einer Steuer stören, die andere zahlen?", fragt er - und verweist darauf, dass der Staat sie nicht kostenlos einsammelt, sondern zwischen drei und vier Prozent für sich behält. "Manche Dinge muss man durch Fakten ins rechte Licht rücken, dann nehmen die Bedürfnisse ab, das zu ändern."