Wird der Kiez in der Bahnhofsvorstadt ein urbanes Testlabor?
DHBW und Stadtmagazin "Hanix" ergreifen die Initiative für die "Schwarmstadt Heilbronn" und eine "Stadtentwicklung von unten"

Das Foto zeigt das Olga-Zentrum, einen alten Industriebau, der als Jugendzentrum und heute als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird, in der Heilbronner Bahnhofsvorstadt. Foto: Brigitte Fritz-Kador
Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Es gibt auch ein Heilbronn jenseits von Buga und Experimenta, das genauso interessant ist, beziehungsweise werden könnte: die Bahnhofvorstadt als ein Viertel mit Kiez-Charakter und Lebensqualität. Dafür muss gelingen, was das Stadtmagazin "Hanix" und die Hochschule Heilbronn angestoßen haben.
Am Anfang stand die Frage: Wie kann man junge Menschen, Studenten und Berufsanfänger vor allem, nicht nur nach Heilbronn holen, sondern hier auch halten. Städte, die das schaffen, sind "Schwarmstädte". Heilbronn will, soll und muss eine solche werden. Die Konkurrenz unter den Städten, gerade um den Zuzug dieser Gruppe ist evident. Der erste Schritt war eine Umfrage. Sie entsprach wissenschaftlichen Kriterien und wandte sich an die Zielgruppe: Über tausend Studenten der DHBW nahmen daran teil, benoteten Stadt und Landkreis nach den Kriterien der Lebensqualität als zukünftigen Wohn- oder Arbeitsort, benannten ihr Anforderungsprofil und vergaben Schulnoten. Heraus kam eine "Drei minus".
Nach einer ersten Darlegung dieser Ergebnisse in einem prominent besetzen Workshop kam nun als weiterer Punkt der "erste Schritt in Richtung Umsetzung" hinzu. Für das Projekt stehen Yvonne Zajontz (DHBW Heilbronn Studiengangsleiterin Media, Vertrieb und Kommunikation) und Robert Mucha, Hanix-Chefredakteur. Sie suchen Mitstreiter und Wege dazu, die Erkenntnisse der Studie in konkretes Handeln umzusetzen, "Spielfeld" soll die Heilbronner Bahnhofsvorstadt sein.
Sie hat jetzt schon "Kiez"-Potenzial, hier wohnen gut Betuchte in den schicken Wohnungen am Neckar, weniger Gutbetuchte in Wohnblocks der Nachkriegszeit oder noch vorhandenen Altbauten, viele von ihnen sind saniert, dazwischen steht moderne Architektur. Von den über 4000 Bewohnern (zum Vergleich: Im ausgebauten Neckarbogen sollen es am Ende 3500 sein), ist weit mehr als die Hälfte jung, noch mehr haben Migrationshintergrund. Das reflektiert die Kneipenszene, von der Pianobar oder dem Szenetreff mit Biergarten davor bis hin zu Döner-Buden oder Shisha-Bars. Es gibt aber auch Gourmetadressen, feine Kosmetikstudios, Start-ups der IT- und Kreativ-Szene - dazu etablierte Unternehmen wie die Bäckerei Widmann oder der Bio-Obstsaftproduzent Gunkel. Mitten drin, am Kaiser-Friedrich, wird der Spielplatz gerade umgebaut.
Yvonne Zajontz sagt, dass die Umfrage-Ergebnisse der DHBW-Studie "keine Momentaufnahmen" seien, wer sie ernst nimmt, muss sie als Handlungsanleitung lesen. Der darin thematisierte preiswerte Wohnraum ist auch für die zum Workshop gekommenen Studenten wichtig, sie sehen hier einen idealen Ort für Studentenwohnheime. Aber nicht die Defizite machen den Workshop mit weit über 50 Interessenten so beachtenswert, es ist die positive Energie, die bei allen Unterschieden verbindet. Welches Potenzial die Bahnhofsvorstadt jetzt schon für ein vitales, urbanes Stadtviertel hat, zeigte die Fotostrecke von Robert Mucha. Im Gegensatz zu einer "öffentlichen" Vermüllung stehen hier die kleinen Höfe, Ecken, Winkel, Balkone, Hauseingänge, von den Bewohnern sorgsam gepflegt und hergerichtet, die sich mit ihrer Umgebung identifizieren.
Weitere Initiativen gibt es schon. In der Gruppe um Susan Barth (Hochschule Heilbronn, forscht zu Innovations- und Gründungskultur) machen auch "Zugezogene" mit, beispielsweise die Theaterpädagogin Katrin Singer, die den Heilbronnern empfiehlt, ihre Stadt mehr zu lieben. Hier will man "niedrigschwellig" bleiben, "Stadtentwicklung von unten" ist das Schlagwort. Thomas Gauss von der Stadtinitiative erinnert, dass der Paragraphendschungel (Stichwort Brandschutz) auch Pop-up-Stores das Leben schwer machen werde, es ohne Stadtverwaltung nicht gehen wird. Er fordert eine "Solidargemeinschaft". Stadtrat Thomas Aurich regt Hausboote auf dem Neckar an, IT-Fachmann Mark Siller ein digitales Camp. Zajontz sagt, man müsse klein anfangen, aber auch an das Große denken.



