Der Wochenmarkt auf dem Heilbronner Rathausplatz ist geöffnet, viele Geschäfte sind hingegen wieder zu. Das „Tübinger Modell“ weckt da Begehrlichkeiten. Foto: Brigitte Fritz-Kador
Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Erst am späten Donnerstagnachmittag kam die Meldung: Oberbürgermeister Harry Mergel hatte so etwas Ähnliches wie ein Machtwort gesprochen und klargestellt, nicht dem Antrag der beiden CDU-Fraktionsmitglieder Thomas Aurich und Christoph Troßbach folgen zu wollen, Heilbronn nach Tübinger Muster zur Testregion zu machen. Die Gemengelage ist diffus, erkennbar wird Druck von vielen Seiten aufgebaut, aber Aurich und Troßbach sind nicht die einzigen Mitglieder des Gemeinderates, die das fordern (wir berichteten). Stadtrat Herbert Burkhardt braucht dazu für die Freien Wähler beispielsweise nur drei Worte: "Wir machen mit!"
Das "Tübinger Modell" macht Schule, weit über die Landesgrenzen hinaus, und das, noch bevor am Montag die Ergebnisse der universitären Studie dazu veröffentlicht werden. In der Stadt Tübingen liegt die Inzidenz seit Tagen und eben auch während des Versuchsverlaufes, also auch gut zwei Wochen nach Öffnung der Geschäfte, unter 50, im Landkreis zwar höher, aber auch deutlich unter 100, während sie in Heilbronn in den vergangenen Tagen wieder sprunghaft gestiegen ist. Inzwischen will unter anderem das ganze Saarland nach Tübinger Muster verfahren, und Kanzlerin Merkel sagte am Donnerstag in Berlin, es sei keinem Oberbürgermeister und keinem Landrat verwehrt, das zu tun, was Tübingen und Rostock tun.
Die OB-Verlautbarung indes lässt keinen Zweifel an seiner Position zu. Er schließt sich beim Thema "Öffnen mit Sicherheit" voll der Argumentation des baden-württembergischen Städtetages an. Vor gut einem Jahr wurde Mergel in dessen Vorstand gewählt. Dass der Umgang mit der Corona-Situation auch in Heilbronn politischen Erwägungen unterliegt, gelegentlich auch sachfremden, ist aber längst offensichtlich. So ist Mergel wohl zunächst dem Aurich-Troßbach-Antrag eher zustimmend begegnet (der E-Mail-Verkehr dazu liegt der RNZ vor), jetzt ist man aber enttäuscht von seiner Stellungnahme: "Mit der formalen Begründung, dass es sich beim ’Tübinger Modell’ um ein Modell handeln würde, und somit eine Teilnahme nicht mehr möglich sei, lehnt der Oberbürgermeister die Teilnahme ab. Dabei hat am Vortag der Oberbürgermeister noch seine Unterstützung bei einer Teilnahme zugesagt." Wie die Meinungen differieren, zeigt auch Troßbachs Aussage, nach der gerade die gefährliche Entwicklung Anlass sei, die Strategie Tübingens "schnellstmöglich" zu übernehmen.
Beim Städtetag ist man der Ansicht, ein zweiter Modellversuch sei unnötig. Mergel beruft sich darauf und sagt: Denselben Versuch ein zweites Mal zu starten sei weder logisch noch zielführend. Wegen der Pannen der Vergangenheit und der steigenden Inzidenz müssten künftigen Maßnahmen eine hohe Qualität haben. "Aktionismus bringt uns da nicht weiter."
Nun sitzen aber auch in anderen Rathäusern und Landratsämter kluge Mandatsträger, die ganz andere Schlussfolgerungen ziehen. Neben Neckarsulm, Ravensburg, Calw, Ludwigsburg, Böblingen und weiteren wollen immer mehr das "Tübinger Modell" übernehmen. Der SWR zitiert Gemeindetagspräsident Steffen Jäger so: "Allein in den letzten drei Tagen hat sich eine dreistellige Zahl an Städten und Gemeinden bei mir gemeldet, die solche Modelle umsetzen wollen. Dem Sozialministerium liegen zahlreiche Anträge nach dem Vorbild von Tübingen vor." Ein Ministeriumssprecher sagte, ebenfalls dem SWR, man sei dabei, eine Liste dieser Kommunen zu erstellen. Zitiert wird auch der Ravensburger OB Daniel Rapp (CDU), der unter Hinweis auch auf Kultur, Sport und Handel sagt, er wolle vor allem "der schwer gebeutelten Gastronomie auf die Beine helfen". Auch OB Mergel hat in einer Video-Botschaft ein Konzept beziehungsweise ein "Szenario" angekündigt, allerdings ohne auf dessen Inhalt einzugehen: Die Pläne für eine Öffnungsstrategie auf der Basis des Tübinger Modellversuchs, aber "hinterlegt mit klaren Kriterien", lägen in der Schublade.
Zu ebendiesem Versuch gab das Sozialministerium in Stuttgart am Freitagabend bekannt, dass er auf Antrag der Stadt Tübingen bis zum 18. April verlängert wird. Die Inzidenz liege seit mehreren Wochen durchgängig unter 35, und es gebe keine Anzeichen, dass die kontrollierten Öffnungen zu einem Anstieg der Infektionen geführt hätten. "Das von der Stadt aufgebaute System regelmäßiger Testungen in Betrieben, Schulen, Kitas und das leistungsfähige Netz von Teststationen funktionieren", sagte Dr. Uwe Lahl, der Chef des Ministeriums. Die wachsende Zahl von Tagestouristen, die es vor allem am Wochenende nach Tübingen zieht, wird in der Stadt allerdings zunehmend zum Problem. Von Karfreitag bis Ostermontag soll die Nutzung der geöffneten Angebote daher nun auf Personen beschränkt werden, die im Landkreis Tübingen wohnen oder arbeiten.