Schwimmfix-Festival zur Halbzeit 2010: Mit im Becken am Olympiastützpunkt zwischen Klaus Reischle (l.) und Manfred Lautenschläger die Olympionikin Petra Dallmann. Archivfoto: Kresin
Von Ingrid Thoms-Hoffmann
Heidelberg. Eigentlich sollten diese Tatsachen elektrisieren: In Baden-Württemberg ertranken im letzten Jahr 62 Menschen. Immer weniger Kinder können schwimmen. Viele Schwimmbäder schließen. Und obwohl im Bildungsplan der Grundschulen der Anspruch steht, dass jedes Kind sicher schwimmen können soll, gehen die Schülerinnen und Schüler im übertragenen Sinne baden.
Wenn dann noch Kultusministerin Susanne Eisenmann sagt, es sei nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, sondern der Eltern, dass sich ihr Nachwuchs im Wasser sicher bewegen kann, dann verstehen Sportwissenschaftler die Welt nicht mehr. Und noch einer empört sich lautstark: Manfred Lautenschläger, der Mäzen aus Heidelberg, der ab 2005 zehn Jahre lang das von ihm initiierte Projekt "Schwimmfix" mit einer halben Million Euro unterstützte. Über 5000 Grundschulkinder lernten dank "Schwimmfix" schwimmen. Der Heidelberger Initiative schlossen sich unter anderem Mannheim, Karlsruhe und Ludwigsburg an.
Mit Lob sparte damals auch Volker Schebesta, Staatssekretär im Kultusministerium, nicht. Als die Lautenschläger-Stiftung sich aus dem Projekt zurückzog, versprach er: Es wird so weitergehen, denn das Schwimmen habe in seinem Ministerium einen "hohen Stellenwert". An dieses Versprechen wollen Lautenschläger und der renommierte Sportwissenschaftler Klaus Reischle nicht mehr glauben. Denn die Praxis sieht anders aus.
Dabei war das innovative Konzept einmalig: Am Entwicklungs- und Forschungsprojekt zum "Anfängerschulschwimmen" waren neben der Stiftung das Institut für Sport und Sportwissenschaften der Universität Heidelberg, die Pädagogische Hochschule sowie alle Heidelberger Grundschulen beteiligt. Die Bilanz: Waren es zu Beginn exakt 62,5 Prozent der Zweitklässler, die nicht schwimmen konnten, so sank die Zahl binnen sechs Jahren auf 9 bis 15 Prozent. Möglich war dies geworden, weil alle zweiten Klassen mitmachten, weil bis zu dreimal pro Woche die Kleinen von der Schule in Bussen zum Zusatzschwimmunterricht abgeholt wurden (über einen Zeitraum von sechs Wochen) und weil jeweils vier bis sechs Kinder von einem Lehrassistenten, ausgebildeten Sportstudenten, unterrichtet wurden. Was noch dazukam: 300 Lehrer wurden in Ludwigsburg speziell auf den Anfängerschwimmkurs vorbereitet. Zwar engagierte sich nach dem Auslaufen des Lautenschläger-Projekts Schwimmweltmeisterin Franziska von Almsick mit ihrem "Heidelberger Kids auf Schwimmkurs". Alleine: "Das bringt so gut wie nichts", sagt Klaus Reischle. "Einmal die Woche im regulären Schwimmunterricht, das ist entschieden zu wenig, um Schwimmen zu lernen."
Was Lautenschläger wie auch Reischle auf die Palme bringt, ist, dass der Sport gerade an Schulen nicht den Stellenwert erfährt, den er zwingend haben müsste: "Sport ist so wichtig wie ein intellektuelles Fach", sagt der Unternehmer und Sportsmann Lautenschläger und verweist auf Studien, die belegen, dass Bewegung die schulischen Leistungen verbessert. "Warum", so fragt der Mäzen, "gibt es keinen Blockunterricht: zwei Stunden lernen, eine Stunde Sport, um dann wieder den Kopf anzustrengen?"
Und er verweist dabei auf ein weiteres großes Thema: die zunehmende Fettleibigkeit der Kinder, die sich kaum noch bewegen. 1976 litten vier Prozent aller Schulkinder unter Adipositas, dem krankhaften Übergewicht. 2016 waren 20 Prozent fettleibig. Aber nicht nur das Kultusministerium steht bei Lautenschläger in der Kritik: "Auch an der Heidelberger Universität wird der Sport nicht ernst genommen". So plädiert er dafür, dass die Sportmedizin mit den Sportwissenschaften zusammengelegt wird. "Das könnte europaweit ein Leuchtturmprojekt werden", ist er sich sicher. Unterstützt wird er dabei von Dirk Jäger, dem Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT). Der erfahrene Onkologe weiß: Sport ist für Krebskranke "so wirksam wie eine Chemotherapie".
Lautenschläger und Reischle werden sich weiterhin am Bohren sehr dicker Bretter üben müssen. Aufgeben wollen sie nicht. "Dann müssen wir uns eben weiterhin privat engagieren", sind sie sich einig. Zum Beispiel mit Ferienkursen. Lautenschläger hat schon seine Unterstützung zugesagt. Dann dürfen die Kleinen jeden Tag für eine Stunde ins Schwimmbecken. Nach 14 Tagen steigen sie selbstbewusst aus dem Wasser. Sie haben Grenzen überwunden.