Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. So macht das Spaß!", schwärmt der FDP-Landtagsabgeordnete Andreas Glück, während sein Blick aus einer dänischen Windradnabe 60 Meter über dem Meer gen Schweden schweift. "So macht das Sinn!" CDU-Kollege Paul Nemeth ist ähnlich begeistert. "Ich bin noch überzeugter als vorher, dass die Energiewende gelingen wird. Wir werden Strom haben, dass es uns zu den Ohren rauskommt!" Der Trip in einen Windpark vor Kopenhagen beschloss im Mai eine Reise des Umweltausschusses, der sich in Skandinavien mit Minister Franz Untersteller (Grüne) über Chancen einer klimafreundlichen europäischen Energiearchitektur informierte. Hauptgrund für den Optimismus: Der Norden will sich als wiederaufladbare Pufferbatterie bei Schwankungen in der Wind- und Solarproduktion anbieten.
Die Idee dahinter basiert vor allem auf Norwegens Speicherseen. Deren Kapazitäten sind gigantisch: Derzeit sind 84 Terawattstunden erschlossen; Deutschland kommt mit Pumpspeicherkraftwerken gerade mal auf 0,04 Terawattstunden.
Norwegens Stauseen füllen sich auf natürliche Weise. Wenn Ökostrom wegen Überkapazität der deutschen Nordsee-Windparks billig ist, wollen die Norweger künftig zukaufen, um ihre Reserven nicht antasten zu müssen. Bei Verbrauchsspitzen in Deutschland, bei denen Windflaute herrscht oder die Sonne nicht durchkommt, kann Norwegen dann seine Schleusen öffnen und den gespeicherten Ökostrom mit Gewinn zurückverkaufen. "Das ist ein Geschäftsmodell, und da habe ich auch gar nichts dagegen", sagte Baden-Württembergs Umweltminister Untersteller. "Für uns erhöht das nämlich die Versorgungssicherheit." In dem Maß, in dem der Anteil regenerativer Energien an der Versorgung wächst, muss auch die Pufferreserve für Schwankungen steigen.
Um die Strommärkte zu verbinden, wird seit 2017 ein Unterseekabel von Norwegen nach Deutschland verlegt. Das 623 Kilometer lange Hochspannungs-Gleichstromprojekt "NordLink" wird eine Kapazität von 1400 Megawatt haben, das liegt deutlich über derjenigen eines großen konventionellen Kraftwerks.
Verantwortlich ist ein Konsortium, das von dem norwegischen Staatskonzern Statnett (50 Prozent), der niederländisch-deutschen TenneT und der KfW-Bank (je 25 Prozent) finanziert wird. "Wir rechnen mit der Fertigstellung im Jahr 2020", sagt NordLink-Sprecher Mathias Fischer. "Das wird das längste Gleichstrom-Unterseekabel der Welt." Bislang ist "NorNed" Rekordhalter, das schon seit 2008 Norwegen mit den Niederlanden verbindet. Statnett plant eine entsprechende Leitung auch nach Großbritannien und eine weitere nach Deutschland. Innerhalb der Bundesrepublik sollen mehrere Trassen den Strom später nach Süden bringen. "Wenn SüdLink mal steht, dann rückt Norwegen an Baden-Württemberg ran", sagt Untersteller über das längste dieser Projekte. "Und damit ist es für uns dann auch nutzbar."
SüdLink krankt allerdings an schleppenden Genehmigungsverfahren. Proteste in den betroffenen Regionen haben zu immer neuen Planungsvarianten geführt. "2025 ist derzeit das ambitionierte Ziel", sagt Pressesprecher Alexander Schilling von TransnetBW. Die EnBW-Tochter realisiert das Projekt zusammen mit TenneT.
"Mich beeindruckt, wie engagiert Norwegen das Thema Energiewende angeht, obwohl die ja schon sehr weit sind", sagt die Obfrau der Grünen im Umweltausschuss, Bettina Lisbach. Die Landes-Delegation staunt über die umstandslose Entschlossenheit des Gastlands, beim Fördern wie beim Verbieten. Referenten aus Industrie, Politik und Wissenschaft berichten über Rekorde und Premieren mit massiver Staatshilfe, von Europas größtem Windpark auf Land bis zum ersten schwimmenden Windpark, von der ersten E-Autofähre bis zu neuer Antriebstechnologie für Ozeanriesen.
Käufern von E-Mobilen winken kräftige Nachlässe bei Steuern und attraktive Privilegien im Alltagsverkehr: Sie dürfen in Busspuren fahren, Mautstraßen und Fähren kostenlos nutzen, vielerorts gratis parken und nachtanken. Im Januar 2017 überstieg der Verkauf von E- und Hybridmobilen erstmals denjenigen von Wagen mit konventionellen Benzin- oder Dieselmotoren. Da mehr als 98 Prozent des norwegischen Stroms aus Wasserkraft stammt, erfolgt der Antrieb eines E-Mobils CO2-neutral. Entsprechend ist es auch kein Problem, dass in dem Land überwiegend mit Strom geheizt wird - im Gegenteil. Der größte Teil der CO2-Emissionen in Norwegen rührt immer noch aus dem Transportwesen. Bis 2030 sollen 67,5 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Bis 2050, idealerweise bis 2030 will das Land CO2-neutral sein.
Umweltverbände kritisieren, dass dabei auch Emissionshandel als Option gilt und Norwegen seine Rolle als einer der größten Öl- und Gasexporteure nicht einrechnet. Die größtenteils staatlich kontrollierte Energiebranche setzt ihre Mittel allerdings gezielt dazu ein, Wege aus dem Fossilzeitalter zu finden. Norwegen gehört zu den führenden Nationen bei Gezeitenkraftwerken und wagte sich als eines der ersten Länder im industriellen Stil an die Abscheidung und Speicherung von CO2.
Nun sollen Vorschriften den Zeitenwandel beschleunigen. Bis Ende des Jahres müssen nicht nur Häuser, sondern auch Hütten über intelligente Zähler verfügen, wenn sie einen Stromanschluss haben. Die Sende- und Empfangsgeräte sollen eine effizientere Ressourcensteuerung ermöglichen. Von 2020 an will die Regierung die Verwendung von Ölheizungen in allen Gebäuden verbieten. Fünf Jahre später sind dann, wenn alles glattgeht, auch Autos mit Verbrennungsmotor illegal.
FDP-Mann Glück nimmt vor allem die Erkenntnis mit, dass für eine europäische Energiewende jedes Land seine Stärken einsetzen müsse. Baden-Württemberg sei nicht das Land der Windkraft, sondern der Energieeffizienz und der Forschung. "Als windschwächstes Land ist es falsch, sich auf die Windenergie zu versteifen."
Mit dieser Meinung steht er auf der Reise weitgehend allein; Grüne, CDU und SPD halten eine eigene umweltfreundliche Stromproduktion in Baden-Württemberg schon aus Gründen der Netzstabilität für unverzichtbar. "Ich muss mich nicht mehr für jedes Windrad verkämpfen, wenn die Leute das nicht wollen", hofft Nemeth allerdings.