Winfried Kretschmann fährt einen Kurs sehr vorsichtiger Öffnungen. Fotos: Gollnow/Weissbrod
Von Roland Muschel und Bettina Grachtrup
Stuttgart. Innerhalb der Landesregierung gibt es erhebliche Differenzen über die weitere Corona-Politik. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte am Dienstag vorsichtige Lockerungen für private Feiern wie Hochzeiten oder Geburtstage angekündigt. Danach sollen ab Juni private Veranstaltungen im Freien mit maximal 20 Personen, in geschlossenen Räumen mit maximal zehn erlaubt sein. Öffentliche Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen sollen für bis zu 100 Personen möglich sein. Eine interministerielle Arbeitsgruppe hatte auch für private Feiern die Grenze von 100 empfohlen.
Die CDU will nicht Kretschmann, sondern der Empfehlung folgen und lehnt eine unterschiedliche Behandlung von öffentlichen und privaten Veranstaltungen ab. Vor allem die CDU-Fraktion bestreitet, dass Kretschmanns Ankündigung abgesprochen gewesen sei, und drängt auf mehr Freiheiten.
Susanne Eisenmann fordert den Ministerpräsidenten in mehrerlei Hinsicht heraus.Nun soll der Koalitionsausschuss am Freitag eine Lösung finden. Im Vorfeld macht sich Kultusministerin Susanne Eisenmann für einen "Wechsel der Systematik der Corona-Verordnungen" stark. Es gebe ein "unüberblickbares Sammelsurium an Ausnahmen und Widersprüchlichkeiten", das viele Bürger nicht mehr verstünden. Es gehe nicht darum, alles zu erlauben, als ob es keine Pandemie mehr gebe, sondern um "eine bessere und verständlichere Rechtsgrundlage" ab dem 15. Juni. "Statt mit pauschalen Verboten und unzähligen Ausnahmen zu operieren, sollten wir rechtstechnisch von der Erlaubnis her kommen". CDU-Generalsekretär Manuel Hagel erklärte: "Das bedeutet, dass wir nicht mehr definieren, was erlaubt ist, sondern jetzt wieder definieren, was nicht erlaubt ist."
An der Maskenpflicht will Eisenmann beispielsweise festhalten. "Eine zweite (Corona-)Welle, die uns umso heftiger in allen Bereichen treffen kann, müssen wir unbedingt verhindern", so die Ministerin, die 2021 als Spitzenkandidatin für die CDU und damit als Kretschmanns Herausforderin in den Landtagswahlkampf ziehen soll.
Am 15. Juni läuft die wesentliche Corona-Verordnung für Baden-Württemberg aus, die mehrfach geändert worden war. Zudem gibt es zahlreiche Unterverordnungen – etwa für den Spitzensport, für Heimbewohner, für den Einzelhandel und für Kosmetik und medizinische Fußpflege. Viel Kritik hatte es zum Beispiel für die 800-Quadratmeter-Regelung für den Einzelhandel gegeben, die die Landesregierung nach einer gerichtlichen Entscheidung aufhob.
Justizminister Guido Wolf (CDU) unterstützte Eisenmanns Vorschlag und sprach von einem "unübersichtlichen Dickicht an Regelungen". Es müsse die Praxis beendet werden, dass Vorschriften über Nacht und unter enormem Zeitdruck ergänzt, geändert oder gestrichen würden. Auch der FDP-Politiker Erik Schweickert forderte widerspruchsfreie, durchdachte Vorschriften.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach von einem Regelungschaos, das Grünen und CDU angerichtet hätten. "Dass sich mit Kultusministerin Eisenmann nun ausgerechnet eine der Hauptfiguren der Corona-Politik des Landes zur Chefkritikerin ihrer eigenen Strategie aufspielt, kann man nur noch als schlechtes Schauspiel bezeichnen."
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erklärte, nicht die Verordnungen seien das Hauptproblem, sondern dass etwa Eisenmann über die Medien eine Öffnung der Grundschulen bis Ende Juni verkünde und die Schulleiter nicht zeitgleich informiert würden.