Baden-Württemberg

Grün-rote Jahre, die vor allem in der Erinnerung schön waren

Inhaltlich liegen sich SPD und Grüne auch heute noch nah. Die Regierungszeit von 2011 bis 2016 war indes nicht ohne Konflikte.

24.03.2021 UPDATE: 25.03.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 29 Sekunden
Waren „auf Augenhöhe“ in die Regierung gestartet: Winfried Kretschmann (l.) und der damalige SPD-Chef und Vize-Regierungschef Nils Schmid. Foto: dpa

Von Roland Muschel und Jens Schmitz, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Als am Ende des Wahlabends feststand, dass eine grün-rote Mehrheit um einen Sitz verfehlt wurde, war die Enttäuschung bei Politikern beider Parteien groß. Den Frust bekamen in den Folgetagen nicht zuletzt die jungen Aktivisten der Klimaliste zu spüren, die in den sozialen Medien als Sündenbock herhalten musste: Wäre die neue Partei, die 0,9 Prozent erzielte, nicht bei der Landtagswahl angetreten, so der Vorhalt, hätte es für eine Neuauflage für Grün-Rot gereicht. So müssten die Grünen entweder mit der CDU oder in einer Ampel mit der FDP gerade in der Klimapolitik unliebsame Kompromisse eingehen, während man mit Grün-Rot voll hätte durchstarten können. Die Klimaliste habe also dem Klimaschutz mehr geschadet als genutzt.

Die Kritik hat indes zwei Schwachpunkte. Erstens ist sehr die Frage, ob alle Wähler, die ihr Kreuz bei der Klimaliste gemacht haben, bei deren Verzicht, zur Wahl anzutreten, automatisch die Grünen oder die SPD gewählt hätten – oder eher andere Alternativen wie etwa die Linke. Womöglich wären sie auch einfach zuhause geblieben. Ihr Votum zeigt ja, dass sie vom Angebot der Grünen und der SPD nicht überzeugt waren.

Zweitens gilt es als ziemlich unsicher, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf eine Regierung mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur einer Stimme gebaut hätte. Schon die Drei-Stimmen-Mehrheit, die die von 2011 bis 2016 amtierende grün-rote Regierung hatte, hatte immer wieder Probleme bereitet. So musste der jetzige Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz 2012 direkt von der Geburt seiner Tochter aus dem Kreißsaal in den Landtag eilen, da eine wichtige Abstimmung anstand.

So beweist die harsche Kritik an der jungen Klimaliste und die Enttäuschung am Wahlabend über die knapp verpasste grün-rote Mehrheit vor allem, wie nahe sich beide Parteien inhaltlich stehen und wie gerne man wieder, ungestört durch die FDP, zusammen regiert hätte.

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Dabei zeigt der Blick zurück, dass die gemeinsame Vergangenheit durchaus konfliktreich war. Den Beginn überschatteten die gegensätzlichen Positionen zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Der Streit wurde nach dem Volksentscheid zwar formal zu den Akten gelegt, hallte atmosphärisch aber nach. Am Abend des für die S-21-Befürworter erfolgreichen Volksentscheids tanzte der damalige SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel im Stuttgarter Ratskeller auf dem Tisch, angefeuert von CDU-Granden wie der früheren Verkehrsministerin Tanja Gönner, während der grüne Koalitionspartner mit der Niederlage haderte. Grüne Abgeordnete erinnern sich noch heute mit Groll in der Stimme, dass sich ein SPD-Abgeordneter aus der S-21-Fan-Kurve eigens das Geräusch einer Kettensäge als Handy-Klingelton heruntergeladen hatte, als es ums Fällen von Bäumen für den Bahnhofsbau ging.

Legende sind auch Schmiedels Vorstöße, gerne am Wochenende platziert, mit denen er regelmäßig Kretschmanns Regierungszentrale in Wallung brachte. Mal ging es ums neunjährige Gymnasium, mal um den Bau neuer Straßen, immer aber um Geländegewinn auf dem Terrain öffentlicher Wahrnehmung.

Die Kräfteverhältnisse sind mittlerweile klar austariert, inhaltlich gibt es kaum Differenzen. Beide Parteien unterstreichen die Bedeutung von Klimaschutz, Ökonomie und Sozialverträglichkeit. Getreu ihrem Markenkern betonen die Grünen die Ökologie an vorderster Front, die SPD das Soziale. Die Grünen wollen alle finanzpolitischen Entscheidungen und Haushaltsposten auf ihre Vereinbarkeit mit dem 1,5-Grad-Ziel und dem Artenschutz prüfen.

Die SPD nennt als haushaltspolitische Prioritäten Bildung und Weiterbildung, bezahlbaren Wohnraum und Mobilität sowie ein stabiles Gesundheitssystem, aber auch die Energiewende. In finanziell klammen Zeiten werden sich also Gewichtungsfragen ergeben, jedoch kaum unüberbrückbare Gegensätze. Im Bildungsbereich will die SPD Kita-Gebühren abschaffen, die Grünen treten für eine landesweite Staffelung nach dem Familieneinkommen ein. Eine komplette Gebührenfreiheit sei langfristig zwar erstrebenswert, aber derzeit nicht machbar.

Schließlich die Innenpolitik: Da will die SPD die Reformen des Polizeigesetzes aus den Jahren 2016 und 2017 rückgängig machen, weil sie unter anderem den Sicherheitskräften nicht genug Rechtssicherheit böten. Die Grünen haben diese Reformen mitgetragen. Allerdings teilweise zähneknirschend: Die Novellen gingen auf das Betreiben des bislang CDU-geführten Innenministeriums zurück.

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