"Wer bei Abschiebungen blockiert, handelt grob fahrlässig"
Innenminister Thomas Strobl fordert einheitliches Vorgehen aller Bundesländer

Thomas Strobl. Foto: dpa
Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin/Stuttgart. Thomas Strobl ist Landesinnenminister und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU.
Herr Strobl, Sie wollen die Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan ausweiten. Ist das angesichts der Sicherheitslage nicht inhuman?
Maßgeblich für unsere Entscheidung, wohin wir abschieben, ist die Lageeinschätzung der Bundesregierung. Für Afghanistan liegt sie auf dem Tisch des Auswärtigen Amtes - konsentiert von der gesamten Bundesregierung einschließlich Bundeskanzlerin und Vizekanzler. Und danach sind Abschiebungen dorthin ohne weitere Einschränkungen möglich. Heißt: Wenn jemand ausreisepflichtig ist, muss er, auch wenn er kein Straftäter, kein Gefährder und kein hartnäckiger Integrationsverweigerer ist, das Land dann auch wieder verlassen. Dass wir hier konsequent im Sinne des Rechtsstaates handeln, ist doch auch eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz unseres Asylsystems.
Die SPD-Innenminister sind gegen die Ausweitung. Sind die Pläne hinfällig?
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Nein. Deshalb besprechen wir das Thema ja auf der Innenministerkonferenz. Und ich für meinen Teil werbe dafür, dass sich die Länder, egal welcher Farbe, der Lageeinschätzung des Bundes anschließen. Nur der Bund hat die Expertise hier eine solide Bewertung vorzunehmen. Und deshalb sollten die Länder das auch einheitlich umsetzen. Es ist ein ungutes Signal, wenn jedes Bundesland hier nach eigenem Gusto vor sich hin laboriert. Und für Syrien möchte der Bund für Herbst eine aktualisierte Lageeinschätzung abgeben.
Im Bundesrat gibt es Widerstand gegen das Abschiebegesetz des Bundesinnenministers. Kippt jetzt das ganze Paket?
Die Verschärfungen bei den Abschieberegeln sind richtig und sehr wichtig - und ein ganz zentraler Baustein des Pakets. Im Übrigen: Sie tragen die baden-württembergische Handschrift. Einige wichtige Punkte, die wir bei der vergangenen Innenministerkonferenz im Winter eingebracht und erfolgreich durchgesetzt hatten, stehen jetzt so im Gesetz. Zum Beispiel die wesentlichen Erleichterungen, um Ausreisepflichtige kurzzeitig in Gewahrsam oder in Abschiebungshaft zu nehmen. Damit können wir etwa verhindern, dass Abschiebungen immer und immer wieder am Untertauchen der Beteiligten scheitern. Freilich sind damit nicht alle Probleme gelöst - aber allen Beteiligten sollte schon klar sein, dass das Paket jetzt schnell auf den Weg gebracht werden muss. Wer hier blockiert, handelt grob fahrlässig - das werden die Menschen nicht vergessen.
Sicherheitsbehörden wollen zur Terrorabwehr und Verbrechensbekämpfung auf Sprachassistenten wie Alexa zugreifen können. Gibt es künftig den Großen Lauschangriff im Wohnzimmer?
Wir sollten die Kirche im Dorf lassen und die Menschen nicht an der falschen Stelle verunsichern. Wir sind hier erst am Anfang und zum jetzigen Zeitpunkt geht es in keiner Weise um die Spurensuche im Kühlschrank oder im Wohnzimmer. Es geht darum, dass wir uns mit dem Thema erst einmal grundsätzlich befassen: Digitale Spuren nehmen nicht nur in ihrer Zahl, sondern auch in ihrer Bedeutung zu. Und deshalb müssen sich die Sicherheitsbehörden auch mit dem Anfall digitaler Spuren auseinandersetzen.
Clan-Kriminalität wurde lange unterschätzt. Wie lässt sie sich bekämpfen?
Für Baden-Württemberg gesprochen: So große Probleme mit kriminellen Großfamilien bzw. großen Familienclans wie beispielsweise in NRW oder Berlin haben wir nicht - und wir tun alles dafür, dass sie erst gar nicht entstehen. Selbstverständlich beobachten wir aber bestehende Clanstrukturen in den anderen Bundesländern und prüfen auch mögliche Verbindungen nach Baden-Württemberg. Und natürlich haben wir den Instrumentenkasten der Ermittlungsbehörden so ausgebaut, dass sie derartige Strukturen auch gezielt bekämpfen können. Mein Motto: Wehret den Anfängen!
Verfassungsfeinde wie etwa "Reichsbürger" sollen entwaffnet werden können. Was planen Sie genau?
Meine Position ist ganz klar: Keine Waffen in die Hände von Extremisten! Wir müssen nun die Grundlage dafür schaffen, das ganz konsequent, systematisch und rechtlich blitzsauber umzusetzen. Dafür ist das bestehende Regelwerk aber derzeit nicht ausreichend. So ist es zum Beispiel aktuell nicht schlüssig, dass wir Mitgliedern von Organisationen, die zwar als verfassungsfeindlich eingestuft, aber nicht verboten sind, nicht systematisch die Waffen entziehen können. Das muss sich ändern. Hier müssen wir im Waffengesetz auf Bundesebene nachsteuern und die gesetzliche Grundlage dafür schaffen, das Sicherheitsrisiko so gering als möglich zu halten. Bei den Reichsbürgern haben wir in Baden-Württemberg begonnen, sie in einem sehr mühsamen Prozess zu entwaffnen - und bereits rund 100 waffenrechtliche Erlaubnisse, konkret: 300 erlaubnispflichtige Waffen, zurückgerufen. Ich bin sehr zuversichtlich, am Ende des Tages alle Innenministerkollegen über Parteigrenzen hinweg vollständig von meiner Position zu überzeugen.
Die CDU debattiert über die K-Frage. Hat Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur?
Wir haben vor gerade einmal einem halben Jahr in einem vorbildlichen Prozess, einen fairen und guten Wettbewerb um den Bundesvorsitz gehabt. Darum beneiden uns viele. Und der Wettbewerb hatte ein Ergebnis. Das war und ist die Grundlage dafür, Deutschland in den wichtigen, anstehenden Fragen voranzubringen. Ich halte wenig davon, sich jetzt weiter in Personaldebatten zu verheddern. An diesen sinnfreien Selbstbeschäftigungsprozessen über Posten und Pöstchen werde ich mich nicht beteiligen, noch in irgendeiner Weise Beiträge leisten. Mein Blick gilt den Problemen, die die Bürger beschäftigen, umtreiben - ihren Sorgen und Nöten.
Union und SPD haben laut Umfragen keine Mehrheit mehr. Wie lange hält die Große Koalition noch?
Das weiß allein nur die SPD. Freilich ist die Lage der Groko schwierig - für die SPD ist die Situation sogar sehr schwierig. Und manche Genossen arbeiten täglich daran, dass es noch schwieriger wird für die SPD. Deutschland braucht eine stabile Regierung. Insofern hoffe ich, dass jeder hier seinen Beitrag dazu leistet. Umgekehrt sage ich aber auch klar: Wenn sich abzeichnet, dass die SPD die Kraft für die Groko und das Regieren nicht mehr aufbringt, sind Neuwahlen nicht die einzige Lösung. Wenn nach Lindners FDP sich jetzt Habecks Grüne hochmütig der Verantwortung und Jamaika verweigern, dann bleibt die CDU die historisch verantwortungsvolle Regierungspartei in Deutschland - und wird, im Zweifel auch in einer Minderheitsregierung, für ihr Programm, ihre Politik entsprechende Mehrheiten organisieren. Vielleicht brächte das dann eher die Stabilität, die Deutschland aktuell, auch international und mit Blick zum Beispiel auf die anstehenden Entscheidungen in Brüssel, braucht.