Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Stuttgart. So sieht er also aus, der "Verfassungsfeind": Braungebrannt. Weiße Haare. Wache Augen. Sympathisches Grinsen. Ein "bald 68er" sei er, Rentner, stellt sich Martin Hornung vor. Beruflich zwar äußerst erfolgreich, Chefsessel im Betriebsrat. Aber, und das ist der Knackpunkt, im Grunde genommen nur Betriebsratsvorsitzender "wider Willen" - wollte er doch ursprünglich Pädagoge werden. Und das ist es, was Hornung und Mitstreiter derzeit umtreibt. Genauer gesagt: "40 Jahre Radikalenerlass", wie die Initiative der Betroffenen heißt, die der streitbare Lehrer Klaus Lipps (Baden-Baden) leitet.
Was nach Randthema klingt, hat durchaus Brisanz. Auch wenn heute wenige demonstrieren, waren doch viele Menschen von der damaligen Gesetzgebung, angestoßen von der Bundesregierung Willy Brandts (SPD), betroffen. Einige konnten sich arrangieren, einige gingen kaputt. Persönlich. Beruflich.
Hornung war vor 40 Jahren ein junger Student in Heidelberg. Politisch interessiert, nicht unbedingt radikal, aber keinesfalls ein Angepasster. Und unglücklicherweise vom Wunsch getrieben, Lehrer werden zu wollen. Im Sommer ’75 legte er an der PH Heidelberg sein Examen ab für Grund- und Hauptschullehramt. Sein Studium hatte er sich selbst durch harte Arbeit finanziert. Doch Hornung sollte nie vor einer Klasse stehen. "Abgelehnt", heißt es in einem Schreiben aus dem Oberschulamt Stuttgart vom 17. Oktober 1975.
Grund war ein Schreiben, das der Student im Mai gemeinsam mit sieben weiteren Prüflingen publiziert hatte. Darin hatten sie bekannt, zwar eine verpflichtende Erklärung ("Schiess-Erlass" nach dem damaligen CDU-Innenminister Karl Schiess) zu unterzeichnen, in der sie sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannten und "hiergegen gerichteten Organisationen" abschworen. Aber gleichzeitig verkündet, sie seien gezwungen zu unterschreiben, um Lehrer werden zu dürfen: "Das ist nichts anderes als Erpressung."
Die Klappe zu halten wäre einfacher gewesen, vielleicht klüger. Doch das kam nicht in Frage. Nicht umsonst lautete das Motto der Bewegung jahrelang "Sei keine Duckmaus". Absehbar folgte der Ablehnungsbescheid: "Bewerber, die diesen Staat und seine Verfassungsordnung bejahen, können sich durch die Unterzeichnung der ,Belehrung und Erklärung’ nicht erpreßt fühlen", heißt es aus dem Oberschulamt. Lehrer Hornung? Niemals.
"Ich habe das geschluckt", sagt er rückblickend. Er wollte ein Zeichen setzen, sich nicht verbiegen lassen. Aber zu prozessieren, das sei undenkbar gewesen. "Ich wusste, das bekomme ich materiell nicht hin." Also verabschiedete er sich vom Traumberuf, gab erst Nachhilfe, lernte dann als Arbeiter an beim Heidelberger Traditionsunternehmen Grau-Bremse (heute Haldex), einem großen Autozulieferer. Dort blieb er und stieg auf.
"Ich habe Glück gehabt", sagt Hornung. Anderen erging es schlimmer. Sie wurden aus einem bestehenden Dienstverhältnis "entfernt", prozessierten - mal erfolgreich, mal nicht. Hornung weiß vom Suizid einer verzweifelten Pädagogin. Viele leben heute von einer minimalen Rente. "561 Euro", nennt Hornung ein Beispiel. Für sie alle geht er heute mit auf die Straße. Ist wieder solidarisch, wie er es sich früher, als es ihn traf, auch gewünscht hätte. "Solidarität unter Lehrern war schwierig", erinnert er sich. "Die Folge war immer Berufsverbot."
Ihr Ziel heute: Die Politik soll reagieren. Eine Entschuldigung erwarten sie vom Land, eine "umfassende Rehabilitierung", gegebenenfalls eine Entschädigung. Gewerkschaften wie die GEW, Verdi oder die IG Metall zeigen Sympathie. "Wir sehen das nicht als Jugendsünden", stellt Hornung klar. Man stehe zu seinen Überzeugungen. "Viele haben darunter gelitten, dass sie als Verfassungsfeinde bezeichnet wurden - dabei ging es ja um die Umsetzung der Verfassung, um Meinungsfreiheit."
Politisch müsste die Lage ausgezeichnet sein. "Die CDU befürwortet nach wie vor die Erlasse, es lohnt sich nicht, die zu fragen", sagt Hornung. Aber die regiere ja auch nicht, sondern Grüne und SPD, viele von ihnen selbst Opfer der Erlasse. Hier etwas in Bewegung zu bringen, müsste doch ein Leichtes sein, dachten die Erlass-Opfer und schrieben Briefe. Von wegen. Erst jetzt, am Freitag, laden erstmals Vertreter der Regierungsfraktionen zu einem "Runden Tisch" ein.
"Es hat ganz sicher zu lange gedauert", entschuldigt sich Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion und Initiator des Treffens. Doch was jetzt geschehe, sei "definitiv keine Alibi-Veranstaltung". Die Koalition wolle sich die Fälle genau anschauen. Am Ende solle eine wissenschaftliche Aufarbeitung stehen, so Sckerl, möglicherweise auch eine politische Erklärung. "Den Anstoß wollen wir in dieser Legislatur auf jeden Fall noch geben. Das haben andere Länder ja auch geschafft", bezieht er sich auf Bremen und Niedersachsen. Ganz sicher gebe es keine "Scheu", sich dem Thema zuzuwenden.
Genau das vermutet aber die Initiative und sieht auch die Rolle des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) kritisch. Bekanntermaßen aktiv für verschiedene kommunistische Hochschulgruppen, drohte auch dem angehenden Biologie-Lehrer 1975 das Berufsverbot. Tatsächlich gelangte er erst über den Umweg einer "Kosmetik-Schule" in den Staatsdienst, doch eine beeindruckende Solidaritätswelle mit ihm lässt sich heute mit Flugblättern und Plakaten belegen. Großer Fürsprecher der Rehabilitierung ist der Ministerpräsident darum aber nicht. Man könnte fast meinen: im Gegenteil. Kritisch betrachtet Kretschmann inzwischen seinen damaligen "Tunnelblick", zieht Sekten-Vergleiche. "Das war einer meiner großen politischen Irrtümer", sagte er in einem Interview.
Initiativen-Sprecher Klaus Lipps verwahrt sich "ganz entschieden" dagegen, dass Kretschmann seinen privaten Anschauungswandel zum Maßstab der Aufarbeitung mache. Das sei schon die Argumentation der CDU "kurz nach Filbinger" gewesen. "Das hätten sie gerne gehabt: Was irgendwelche Sekten vorgeblich vertraten als Rechtfertigung für flächendeckende Bespitzelung und Berufsverbote gegen Demokraten", wettert er. "Rehabilitierung derer, die aufrecht geblieben sind und Nachteile auf sich nehmen mussten", fordert er vehement. Man steht gerade erst am Anfang.