Heilbronner Waldheide

Vom Raketenstützpunkt zum Naherholungsgebiet

Seit 25 Jahren ist der einstige Raketenstützpunkt ein beliebtes Naherholungsgebiet - Geheimniskrämerei bis zum tödlichen Unfall

27.07.2017 UPDATE: 30.07.2017 06:00 Uhr 3 Minuten

Susanne und Alfred Huber erinnern sich auf der Waldheide an jene Tage, als sie mit der Heilbronner Friedensbewegung gegen die Anwesenheit der US-Armee und ihre Atomraketen protestierten. Foto: Frank

Von Hans Georg Frank

Susanne Huber (70) bleibt immer wieder stehen, blickt nach vorne, nach links und rechts, dreht sich um, schaut im doppelten Wortsinn zurück. "Das hier ist jetzt das Wunder von der Waldheide", sagt die Gymnastiklehrerin im Ruhestand. Privat gehörte ihre Leidenschaft dem Frieden, dem Kampf gegen die Aufrüstung, dem Widerstand gegen die Abschreckung mit immer mehr Massenvernichtungsmaterial. Susanne Huber und ihr Mann Alfred (73) gehörten zum harten Kern der Heilbronner Friedensbewegung, der sich Friedensrat nannte - und bis heute existiert, wenn auch stark dezimiert.

Das Militärgelände am Rand der Großstadt Heilbronn war die Heimat von US-Einheiten, die sich wappneten für einen Angriff auf und vom Warschauer Pakt, dem Gegenpart der NATO. Offiziell durfte die Bevölkerung nichts wissen von der Existenz der Atomraketen des Typs "Pershing II". Wenige Meter vom Army-Areal entfernt, in einem Waldheim der Arbeiterwohlfahrt, erfuhren Susanne und Alfred Huber bei einer "Friedenswoche", dass diese Langstreckenwaffen quasi nebenan stationiert sein sollen. "Das war mir unheimlich", erinnert sich Susanne Huber.

Hintergrund

> Die Waldheide wurde schon am Ende des 19. Jahrhunderts militärisch genutzt. 1883 wurde auf 16 Hektar Fläche ein Exerziergelände angelegt. Ab 1935 beanspruchte die Wehrmacht für ihre Übungen insgesamt 416 Hektar, auch ein Flugplatz wurde auf dem Gelände

[+] Lesen Sie mehr

> Die Waldheide wurde schon am Ende des 19. Jahrhunderts militärisch genutzt. 1883 wurde auf 16 Hektar Fläche ein Exerziergelände angelegt. Ab 1935 beanspruchte die Wehrmacht für ihre Übungen insgesamt 416 Hektar, auch ein Flugplatz wurde auf dem Gelände angelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg requirierte die US-Armee das Gelände; ab 1977 werden Atomraketen stationiert. Trotz Verhandlungen über die Abrüstung nuklearer Mittelstreckenraketen investierten die USA bis 1990 noch mehr als 25 Millionen Euro in die Befestigung von "Camp Redleg", wie der Brennpunkt der Weltpolitik am Heilbronner Stadtrand in Jargon der Army heißt. Heilbronn kaufte 1992 das geräumte Gelände, das einmal ein atomares Pulverfass war. Neben dem Preis von 430.000 Euro gab die Stadt 1,1 Millionen Euro für die Rekultivierung aus. Entstanden ist ein Landschaftspark mir raren Pflanzen, der einstige Waschplatz für Panzer ist eine Spielwiese geworden, statt der Feuerstellung für Tötungsmaschinen gibt es eine Feuerstelle zum Grillen. Alljährlich tragen Heilbronner Schulklassen dort ihre Umwelt-Olympiade aus. (hgf)

[-] Weniger anzeigen

Ihr Mann, Betriebswirt an der örtlichen Hochschule, verschaffte sich durch hartnäckige Recherche jene Gewissheit, die 1982 für einen aufrüttelnden Vortrag bei der Volkshochschule reichte: "Hier lagern hochgefährliche Raketen." Im Jahr darauf war das pazifistische Paar bei der Gründung des Friedensrates dabei, einer Gruppe von etwa 30 Gleichgesinnten.

Das Echo ihrer Appelle war zunächst eher bescheiden. Als 1983 Schriftsteller wie Günter Grass zu einer "Heilbronner Begegnung" anreisten, empfahl der damalige Oberbürgermeister Manfred Weinmann (CDU) den besorgten Literaten, sich lieber "einen anständigen Trollinger hinter die Binde zu gießen". Im Rathaus waren die Raketen tabu. Die Spitze wusste angeblich nicht, wie die Waldheide genutzt wird. Erst von Richtern musste die Stadtverwaltung gezwungen werden, die Bedrohung durch den vielfachen Overkill auf die Tagesordnung zu setzen.

Am 11. Januar 1985 sollte die Geheimniskrämerei auf tragische Weise mit einem Brandunglück beendet werden. Drei Soldaten, die neben der Pershing II gestanden hatten, waren tot, etliche schwer verletzt. Nun musste die Existenz der Waffen offiziell zugegeben werden. Die Friedensbewegung erfuhr bald jene Unterstützung aus bürgerlichen Kreisen, auf die sie lange gewartet hatte.

Hubers waren immer dabei, wenn blockiert und protestiert wurde gegen "die immer maßloser werdende Rüstung, die in der Lage ist, Millionen zu töten, ganze Landstriche zu verheeren und unbewohnbar zu machen". Sie schickten ungezählte Briefe an Politiker und wollten den "organisierten Wahnsinn der Hochrüstung" auch im Interesse ihrer beiden Kinder beenden. Deshalb organisierten sie einen Sonderzug mit 1069 Friedensbewegten nach Bonn sowie eine "zweite Heilbronner Begegnung" und die größte Demonstration in der Geschichte der Stadt. Gut 10.000 Männer und Frauen, Kinder, Greise versammelten sich am 2. Februar 1985 hinter Parolen wie "Wir wollen nicht zu Tode geschützt werden". Beim Ostermarsch, zwei Monate später, bekräftigten sogar 30.000 Demonstranten ihre Ablehnung der US-Präsenz: "Wir trauen euch nicht mehr, haut ab!"

Nach dem Unfall auf der Waldheide kam zügig Bewegung in die Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion. Vor Ort setzten sich die "Frieden-schaffen-ohne-Waffen"-Sympathisanten noch vor die Eingänge des Standortes, auf höchster Ebene waren sich Ronald Reagan und Michael Gorbatschow schon einig geworden, bis 31. Mai 1991 die Vernichtungssysteme zu verschrotten. Doch bereits am 1. September 1988, ausgerechnet am Antikriegstag, schafften die Amerikaner die erste Pershing-Batterie weg. Hubers und Co. feierten mit spanischem Sekt. Mit Freibier und Jazzmusik zogen die Amerikaner 1990 ganz ab. Die Waldheide war die erste Militäranlage, die im Zuge der Abrüstung komplett geräumt wurde. Martha Kuder, eine der fleißigsten Mitstreiterinnen, erklärte dem US-General: "Ohne den Druck der weltweiten Friedensbewegung hätte sich in der Politik nichts bewegt." Und: "Wir wollen nicht sterben wie die Menschen in Hiroshima und Nagasaki."

Seit 25 Jahren ist die militärfreie Waldheide ein beliebtes Naherholungsgebiet. Nur Insider wie Susanne und Alfred Huber wissen, dass sich unter einer Anhöhe die gesprengten Reste der Raketenbunker befinden, zugedeckt mit 50.000 Kubikmeter Bauschutt. Sichtbare Erinnerung an die militärische Vergangenheit ist ein Gebäude mit der aufgemalten Nummer 901, mit Hinweisen wie "Exit" und "No smoking". Der letzte Rest der Army-Immobilien dient als Schafstall.

Vom Erfolg ihrer Mission waren Susanne und Alfred Huber nicht wirklich überzeugt: "Aber wir hatten eine gewisse Hoffnung, sonst würde man ja nicht kämpfen." So erholsam ein Spaziergang über die Waldheide heute auch ist, zufrieden ist das Paar nicht: "Wenn es nicht auf der Welt so viele Kriege gäbe, könnte man das hier entspannter genießen." Wenn sich der auf ein Dutzend Mitglieder geschrumpfte Friedensrat im Nebenzimmer der Gaststätte "Kernerhöhe" trifft, wird über eine neue Aktion geredet. Ziel soll Büchel sein, ein Fliegerhorst in der Eifel, wo Atomsprengköpfe für die "nukleare Teilhabe" der Bundeswehr lagern. "Dort sieht es so aus wie früher bei uns", sagt Alfred Huber, der schon als Junger den Dienst mit der Waffe verweigerte. "Deshalb habe ich ihn geheiratet", verrät seine Frau, "ich war von Kind auf gegen das Militär."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.