Das Auto, in dem ein potenzieller Zeuge zum Mord an der Polizistin Kiesewetter verbrannt war, im September 2013 auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart. Nun verstarb eine Zeugin des NSU-Untersuchungsausschusses - laut Obduktion ohne Fremdeinwirkung. Foto: Andreas Rosar
Von Julia Giertz
Stuttgart. Dass eine 20-Jährige nach einem leichten Motorradunfall trotz Thrombose-Vorsorge an einer Lungenembolie stirbt, ist ungewöhnlich. Dass die Frau jüngst vor dem Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss als Zeugin unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen wurde, weil sie sich bedroht fühlte, lässt ihren Tod noch ominöser erscheinen. "Als ich das gehört habe, habe ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen", beschreibt Nikolaos Sakellariou, SPD-Obmann in dem Gremium, seine erste Reaktion auf die Nachricht.
Wenig später bringt das Obduktionsergebnis zunächst Entwarnung: Anzeichen für eine wie auch immer geartete Fremdeinwirkung gebe es nicht. Aber die Staatsanwaltschaft Karlsruhe weiß um die Brisanz des Falles und lässt die Leiche nun zusätzlich toxikologisch und mikroskopisch untersuchen. Staatsanwalt Tobias Wagner betont: "Da wollen wir es ganz genau wissen."
Jeder weitere Todesfall im engeren oder weiteren Umfeld der NSU-Mordserie macht hellhörig, denn es gibt mehrere davon: den Tod des V-Manns Corelli an einem Zuckerschock infolge einer unerkannten Diabeteskrankheit und des mutmaßlichen Augenzeugen des Mordes an der Polizistin Michèle Kieswetter 2007 in Heilbronn, Arthur Christ. Dieser wurde 2009 mit tödlichen Verletzungen vor seinem ausgebrannten Auto nahe Heilbronn entdeckt. Der Ex-Freund der nun verstorbenen Frau aus Kraichtal (Kreis Karlsruhe), Florian H., zählt ebenfalls zu den Menschen, die auf mysteriöse Weise ums Leben kamen.
Wegen ihrer kurzen Beziehung zu Florian H., einem Ex-Neonazi, war die Zeugin Anfang März vom Ausschuss vernommen worden. Sakellariou schildert sie als "absolut nettes und sympathisches Mädchen". Der 21-Jährige war im Herbst 2013 in seinem Auto verbrannt aufgefunden worden, genau an dem Tag, an dem er von der Polizei befragt werden sollte. Er soll gewusst haben, wer Kiesewetter erschossen hatte. Am Abend vor seinem Tod hatte der junge Betonbauer Florian H. noch per SMS die Verbindung mit der Krankenschwesternschülerin beendet.
Dass die Frau Opfer dunkler Mächte geworden sein könnte, ist für Sakellariou schwer vorstellbar. "Der Aufwand, einen etwaigen Mord so komplex zu verdecken, dass sich dieses Krankheitsbild ergibt, wäre enorm", meint der Sozialdemokrat. Sie habe zwar auf einer nicht-öffentlichen Vernehmung des Ausschusses bestanden, aber nie eine konkrete Gefahr benannt.
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft handelt es sich um den tragischen Tod infolge eines leichten Motorradunfalls: Die Frau zog sich bei einer Fahrt mit der Maschine ihres Lebensgefährten eine Prellung am Knie zu. Am Abend desselben Tages ließ sie sich ambulant im Krankenhaus versorgen. Zwei Tage später besuchte sie ihren Hausarzt. Obwohl sie in beiden Fällen Medikamente gegen Thrombose erhielt, löste sich nach Erkenntnissen der Rechtsmedizin in Heidelberg aus dem Bluterguss im Knie ein Blutgerinnsel und verursachte eine Embolie.
Im U-Ausschuss werden trotz der Panne bei der Durchsuchung des ausgebrannten Fahrzeugs von Florian H. keine Zweifel an den Ermittlern laut. Aus Sicht des Vorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) und des Grünen-Obmannes Jürgen Filius gibt es keinen Anlass, die Arbeit der der Behörden infrage zu stellen. Das war zuvor schon anders: Drexler war es, der kürzlich der Öffentlichkeit Dinge präsentierte, die die Polizei bei der Durchsuchung des Autos von Florian H. übersehen, dessen Familie aber gefunden hatte.
Gerade diese jüngste Schlamperei gewährleiste, dass Polizei und Staatsanwaltschaft jetzt fehlerfrei arbeiteten, glaubt CDU-Obmann Matthias Pröfrock. "Jetzt gilt es, die Aufregung runterzufahren."