Der Protest gegen den "Dinosaurier auf der Kreuzung"
Carola Eckstein gehört zu den S21-Gegnern der ersten Stunde

Glaubt weiterhin an einen Erfolg des Protests: Mathematikerin Carola Eckstein. F.: Schmitz
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Carola Eckstein staunt selbst, wenn sie zurückblickt: Zum zehnten Mal jährt sich die erste Montagsdemonstration gegen das Megaprojekt "Stuttgart 21". Die Mathematikerin ist eine Aktivistin der ersten Stunde. Man könnte es gut sein lassen. Doch für Eckstein kommt das nicht in Frage. "Da müsste ich aus Stuttgart wegziehen", sagt sie und blickt über die ungeheure Baustelle hinter dem Bahnhof. "Das Ding sitzt wie ein Dinosaurier auf der Kreuzung."
"Stuttgart 21" ist für die 46-Jährige nicht nur eine Fehlentscheidung aus der Vergangenheit. Sie glaubt, dass das milliardenteure Projekt nie funktionieren wird. "Das größte Drama ist, dass es jede sinnvolle Entwicklung für die Stadt blockiert. Es gäbe so viele Dinge, die man anpacken müsste, vom Verkehr bis zur Wohnungspolitik. Es traut sich aber keiner dran. Dann müsste man nämlich im zweiten Halbsatz schon feststellen, dass S21 alles verhindert."
Eckstein ist in München aufgewachsen und nach einer Mathematik-Promotion in Straßburg 2005 in Stuttgart gelandet, als Ingenieurin für Bosch. "Ich hatte von diesem Projekt gehört und habe dann von diesem Verein ,Leben in Stuttgart‘ erfahren, der sich dagegen engagiert hat. In Stuttgart hat man schon viele Leute, die ein bisschen technisches Verständnis mitbringen."
Eckstein half, den Widerstand zu professionalisieren. Bis heute leitet sie regelmäßig Veranstaltungen und Demonstrationen. Sie engagiert sich aber auch in einer der zahlreichen Fachgruppen der Bewegung, den "Ingenieuren 22". Viele Probleme sind heute offiziell anerkannt. Die Aktivisten arbeiten das auf, unterbreiten aber auch Alternativvorschläge: "Was kann man jetzt sinnvoll draus machen, wo man die Löcher schon hat?" Einen Busbahnhof vielleicht oder eine Infrastruktur für Paketdienste?
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Dezentralität gehört für Eckstein zu den Stärken des Protests. "Es ist organisiert wie das Internet. Da sind ganz viele Leute, die extrem gut vernetzt sind, aber keine klassisch hierarchische Struktur haben." Die Ingenieurin hat Freude an der Sacharbeit. Politisch wurde sie schnell ernüchtert: Die Bahn mache Bögen um die Knackpunkte, und die Politik lasse sie gewähren. "Ich bin zäh", sagt sie. Verbitterung ist bei ihr keine zu spüren: "In Einstellungsportalen heißt es immer, Mathematiker würden gerne eingestellt, weil sie eine sehr hohe Frustrationstoleranz hätten."
Auch die Volksabstimmung aus dem Jahr 2011 hat die Kämpferin nicht entmutigt: Es sei ja nicht über den Bahnhof abgestimmt worden, sondern darüber, ob das Land aus der Finanzierung aussteigen sollte. "Ich würde nach wie vor viel drauf wetten, dass das Ding nie fertig wird", sagt sie.