Wie Kretschmann und Stoch "Gemeinsam gute Schule machen" wollen
Kretschmann bricht das Eis in Mannheim - Kultusminister Stoch stimmt die Lehrer auf Reformen ein

Mannheim. Ach, wenn doch nur alles wie früher wäre: Der Biolehrer brachte damals einen Karton mit Kröten in den Unterricht - für die Schüler, zum Ablecken. Damit blieb die Schulstunde nicht nur ganz sicher in Erinnerung, aus der Veränderung des Herzschlags ließen sich auch interessante wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen. Doch: "Heute stehen Sie mit einem Bein im Gefängnis", klagt der Lehrer, schimpft auf das "Sicherheitsdenken", das spannenden Unterricht so schwer mache.
Ganz normale Schulanekdoten? Nicht ganz: Hier schwärmt nicht irgendwer von der guten alten Zeit, sondern Winfried Kretschmann, amtierender Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Und sein Ziel ist ganz sicher nicht die Verklärung der Vergangenheit. Eher im Gegenteil: Er muss gute Stimmung machen an diesem Vormittag im Mannheimer Rosengarten vor rund 450 Lehrern aus der ganzen Region, damit sich der Blick dann in die Zukunft richten kann, auf die großen Reformen im Schulwesen, die die grün-rote Landesregierung den Pädagogen beschert.
"Gemeinsam gute Schule machen" steht über der Veranstaltung, bei der sich nicht nur der grüne Regierungschef, sondern vor allem sein Kultusminister Andreas Stoch (SPD) der Diskussion stellt. Doch mit dem "gemeinsam" ist das so eine Sache: Viele Lehrer fühlen sich allein gelassen, wenn es um die neuen Herausforderungen geht. Hauptschulen laufen die Schüler weg, Realschulen müssen plötzlich als "Quasi-Gemeinschaftsschulen" agieren, aus den Gymnasien wird geklagt, ohne verpflichtende Grundschulempfehlung gehe es drunter und drüber. Dazu haben viele noch die - inzwischen von der Politik abgeräumten - massiven Kürzungsankündigungen bei den Lehrerstellen im Hinterkopf. Und nicht zuletzt: die Inklusion.
Der Einbezug behinderter Schüler in den normalen Unterricht an Regelschulen stellt sich als das zentrale Thema in Mannheim heraus. Die Modellregion Rhein-Neckar hat schon einige Erfahrungen sammeln können - doch die fallen sehr unterschiedlich aus. "Die behinderten Schüler bringen sehr viel Emotionalität in den Unterricht", berichtet zum Beispiel Klaus Gürtler, Realschullehrer aus Mannheim-Feudenheim aus der Praxis. Eine "neue Dimension" gebe das dem Unterricht, "es ist keiner mehr das schwächste Glied". Er wirkt euphorisch. Im Publikum spotten einige.
Im Lauf der Diskussion zeigt sich: Im Alltag fühlen sich die Pädagogen zu oft nur unzureichend vorbereitet. Für die erfolgreiche "Teamarbeit" mit Sonderpädagogen, die die Heidelberger Förderschullehrerin Sabine Essig-Dehner beschwört, vermissen viele die personelle Ausstattung. Wieder andere fordern mehr Fortbildungen. Und wie man den Ressentiments von Eltern nichtbehinderter Kinder begegnet, erscheint auch unklar.
Fest steht hingegen: Der Rechtsanspruch auf Inklusion wird in Gesetzesform gegossen werden, daran lässt der Kultusminister keinen Zweifel. Warnt aber: "Wir sollten alle nicht der Illusion erliegen, dass wir in kurzer Zeit an allen Schulen Inklusion ermöglichen können." Schrittweise werden man vorgehen, wo es möglich ist, sagt Stoch. Und gesteht: "Wir werden an Grenzen stoßen" - personell und räumlich. Sorgen ausgeräumt sind dadurch natürlich nicht. Doch die Lehrerschaft goutiert hinterher, dass sich Stoch der Diskussion gestellt habe.
Andere Themen fahren ein wenig im Windschatten der Inklusions-Debatte. Fortbildungsbudgets etwa liegen den Schulen am Herzen, sie würden gerne auch externe Experten zu Rate ziehen dürfen. Für die Schulleiterfortbildung verspricht Stoch zumindest jährlich 300.000 Euro extra im Doppelhaushalt.
Und zur Frage der verbindlichen Grundschulempfehlung, die der Landes-Philologenverband Anfang der Woche noch einmal aufgeworfen hatte, findet der Ministerpräsident klare Worte. "Eine Grundschulempfehlung ist schon ernst gemeint", erklärt Kretschmann unter Applaus, "ich kann den Eltern schon empfehlen, dieser zu folgen." Und verkündet: "Seien Sie versichert, wir werden die Schulen entlasten." Konkrete Reformpläne werden vom Kultusministerium aber nicht bestätigt.
Nach zweieinhalb Stunden endet die Debatte über "högschd brisante" Fragen, wie Kretschmann zwischendurch feststellte. Ob sie ein Erfolg für die Landespolitiker war? Zumindest könnte sich der Puls der Lehrerschaft ein wenig beruhigt haben. Übrigens: Gegenteiliges passiert beim Kröten-Lecken. Deren Gift beschleunigt den Herzschlag.