Landesfinanzen: Der Sicherheitspuffer reichte nicht
Im Nachtragsetat muss Grün-Rot bei der Flüchtlingsunterbringung nachlegen - 400 Millionen Euro werden zusätzlich eingeplant

Insgesamt wolle die Landesregierung rund 550 Millionen Euro zusätzlich in Bildung, Digitalisierung, innere Sicherheit und Flüchtlingsunterbringung investieren, verkündeten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne, rechts) und Finanzminister Nils Schmid (SPD). Archivfoto: dpa
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Der erste Nachtrag für den Doppeletat 2015/16 wird von Zusatzausgaben für die Unterbringung von Flüchtlingen dominiert. Insgesamt wolle die Landesregierung rund 550 Millionen Euro zusätzlich in Bildung, Digitalisierung, innere Sicherheit und Flüchtlingsunterbringung investieren, verkündeten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Finanzminister Nils Schmid (SPD) gestern. Zuvor hatten sich die Spitzen der Koalition auf Eckpunkte für einen Nachtragsetat geeinigt.
Mit rund 400 Millionen Euro entfällt der mit Abstand größte Brocken auf Zusatzkosten infolge der steigenden Flüchtlingszahlen. Aufgrund der rasanten Entwicklung der letzten Jahre hatte Grün-Rot bei der Verabschiedung des ursprünglichen Doppeletats im Dezember 2014 neben den absehbaren Ausgaben für dieses und das nächste Jahr in diesem Bereich bereits 300 Millionen Euro als Sicherheitspuffer zurückgestellt. Nun zeigt sich schneller als erwartet, dass diese Rückstellung nicht ausreichen dürfte.
Hintergrund sind neue Prognosen. Auf Basis der jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht die Landesregierung für das laufende Jahr nun von mindestens 33 000 neuen Asylbewerbern in Baden-Württemberg aus. Zunächst hatte die Behörde damit kalkuliert, dass wie im Vorjahr wieder rund 26 000 Flüchtlinge in Baden-Württemberg einen Erstantrag auf Asyl stellen. Zum Vergleich: 2013 lag die Zahl noch bei knapp 14 000, 2012 bei knapp 8000 und 2007 sogar bei lediglich 1600. Anfang der 1990er Jahre waren die Zahlen aber auch schon wesentlich höher - mit dem bisherigen Rekordwert von 51 000 Erstantragstellern im Jahr 1992.
Bei den Zusatzkosten schlagen verbesserte Sprachangebote genauso zu Buche wie der Bau neuer Erstaufnahmestellen und die - im Detail mit den Kreisen noch nicht ausverhandelten - Pauschalen für die weitere Unterbringung. Noch völlig unklar sind die Kosten für ein baden-württembergisches Sonderkontingent für von Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sexuell missbrauchte Mädchen und Frauen aus dem Nordirak. Insgesamt, sagt Schmid, habe das Land seit 2011 die Ausgaben für Flüchtlinge verfünffacht. Dabei handelt es sich vorrangig um Pflichtausgaben.
Eigene Akzente setzt die Koalition nicht zuletzt auf Druck der SPD im Bildungsbereich mit zusätzlichen Investitionen von 110 Millionen Euro. So sollen zur Stärkung der Realschulen in den beiden kommenden Schuljahren insgesamt 350 zusätzliche Stellen geschaffen werden, für die Inklusion weitere 400. Damit sind nun die Zahlen offiziell, die Kretschmanns Sprecher nach einem Vorab-Bericht unserer Zeitung über die neuen Stellen Ende Januar noch tapfer dementiert hatte.
Weitere Investitionen fließen in ein Anti-Terror-Paket, das die Regierung nach den Anschlägen von Paris beschlossen hatte. Es umfasst 130 Stellen bei Polizei, Verfassungsschutz und Justiz und wird im Nachtrag mit 27 Millionen Euro finanziert. Mit rund 13 Millionen Euro wird ein Programm für digitales Lernen an Schulen und Hochschulen gespeist.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf Grün-Rot vor, mit dem Nachtragsetat "erste Wahlgeschenke" zu verteilen anstatt die Neuverschuldung zu stoppen. Die Mehrausgaben im Nachtrag werden aus Rücklagen im Doppeletat finanziert. Damit bleibt es dabei, dass das Land 2015 rund 780 Millionen Euro neue Schulden aufnimmt, um dann im Wahljahr 2016 einen ausgeglichenen Jahresetat vorzulegen. Der Doppelhaushalt hat ein Gesamtvolumen von rund 88 Milliarden Euro.
Schmid deutete an, dass ein weiterer Nachtrag notwendig werden könnte: Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und die Flüchtlingszahlen blieben "Herausforderungen".