Hitzige Debatte über ein "Zweckentfremdungsverbot" für Wohnraum

Der Hauseigentümerverein Haus & Grund sieht hinter dem Vorschlag des Stuttgarter OBs Fritz Kuhn ein wahltaktisches Manöver.

29.09.2015 UPDATE: 30.09.2015 06:00 Uhr 1 Minute, 31 Sekunden

Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne). Foto: dpa

Von Julia Giertz und Bettina Grachtrup

Stuttgart. Angesichts des Flüchtlingsstroms in den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt Baden-Württembergs greifen Kommunen zu scharfen Mitteln, um die Wohnungsnot zu lindern. Für hitzige Diskussionen sorgt der Vorstoß des grünen Stuttgarter Oberbürgermeisters Fritz Kuhn für ein Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum. Er hat gute Chancen, dafür im Gemeinderat der Landeshauptstadt eine Mehrheit zu finden.

Befürworter wie Gegner dieses 2013 von Grün-Rot ermöglichten Instruments beziehen sich auf das Grundgesetz. So verweisen Kuhn und sein Parteifreund Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf den zweiten Absatz des Artikels 14, in dem es heißt: "Eigentum verpflichtet." Gegner der Regelung, wonach grundloser Leerstand mit Bußgeldern von bis zu 50 000 Euro geahndet werden kann, wie der Verein der Hauseigentümer und der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß akzentuieren den ersten Absatz. Dieser gewährleistet Eigentum und Erbrecht. Zudem bemängeln sie, dass das Verbot dem "Schnüffelstaat" und einem "Bespitzelungssystem" Vorschub leiste. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sprach mit Blick auf die von Kuhn angedrohten "Zwangsmaßnahmen" von einer "linken Panikreaktion aus Hausbesetzerzeiten".

Der Hauseigentümerverein Haus & Grund sieht hinter dem Vorschlag Kuhns ein wahltaktisches Manöver. "Er ist ein von den Leuten aus der Landesregierung Getriebener", sagte der Geschäftsführer Ulrich Wecker. Dabei nehme er die Spaltung der Stadtgesellschaft in Kauf, anstatt als Oberbürgermeister für Ausgleich zu sorgen. Der "Überraschungscoup" löst aus Vereinssicht die Probleme nicht. Denn die Leerstandsquote habe sich in der Landeshauptstadt seit 2011 überdurchschnittlich verringert. Anders als von Kuhn behauptet, stünden nicht 3000, sondern nur 1000 Wohnungen leer. Pikant sei, dass ausgerechnet Wohnungen im Eigentum von Bund oder Land zu zehn Prozent freistünden. "OB Kuhn sollte deswegen erst vor der eigenen Haustüre kehren, bevor er anfängt, private Eigentümer zu kriminalisieren", sagte Vereinschef Klaus Lang.

Dem hielt Kretschmann entgegen: "Der Eingriff, dass man mit seinem Wohneigentum Geld verdient, in dem man es vermietet, ist nicht gerade der schlimmste Anschlag auf die Freiheit des Einzelnen, über sein Eigentum zu verfügen."

Doch wie stellt sich die Lage dar? Nach Daten des Statistischen Landesamtes aus dem Jahr 2011 steht Baden-Württemberg mit einer Leerstandsquote von 4,2 Prozent im Vergleich zu den ostdeutschen Bundesländern gut da, aber verglichen mit den Westländern ist der Wert relativ hoch. Schlechter sind nur noch Rheinland-Pfalz (4,5 Prozent) und das Saarland (5,8 Prozent). Stuttgart kam auf eine Leerstandsquote von 3,7 Prozent.

Unterdessen wurde bekannt, dass die Gemeinde Eschbach (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) einer Mieterin kündigte, um Flüchtlinge unterzubringen. Die 56 Jahre alte Frau wohnt seit 23 Jahren in der gemeindeeigenen Wohnung.