Unterschätzt?
Die Bildungsgewerkschaft GEW wirft der Landesregierung unzureichende Prognosen vor - Eisenmann wehrt sich gegen Vorwürfe

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Die Bildungsgewerkschaft GEW wirft der grün-schwarzen Landesregierung vor, eine drohende Zuspitzung des Lehrermangels in Baden-Württemberg systematisch zu unterschätzen. Das Kultusministerium arbeite mit unzureichenden Bedarfsprognosen, sagte GEW-Chefin Doro Moritz bei der Vorstellung einer in ihrem Auftrag erstellten wissenschaftlichen Studie. "Die Berechnungen des Landes zur Bedarfsplanung sind äußerst unzureichend", rügte sie und forderte Grün-Schwarz auf, tausende Lehrerstellen zu schaffen, um die Unterrichtsversorgung zu sichern.
Der Bildungsforscher Klaus Klemm schätzt in der Studie den Lehrerbedarf für weiterführende Schulen im Land bis ins Jahr 2035 ab. Die Landesregierung stützt sich für ihre eigene Prognose auf eine Modellrechnung des statistischen Landesamts. Die blickt aber nur bis ins Schuljahr 2025/26 voraus und verzeichnet bis dahin steigende Zahlen. Klemm erwartet für die darauf folgende Zeit weitere Anstiege der Schülerzahlen an weiterführenden Schulen um mehr als 50.000 Jugendliche. Erst Anfang der 2030er Jahre sei ein leichter Rückgang zu erwarten.
Die Prognose des Landes kranke aber nicht nur am Zeitrahmen, sondern auch an der Datenbasis: Ihr liege "eine Bevölkerungsvorausberechnung zu Grunde, die das Basisjahr 2014 zum Ausgang gewählt hat", schreibt Klemm. Da seit 2015 die Geburtenzahlen ebenso stiegen wie die Einwanderer-Bilanz, sei die Schätzung zu aktualisieren.
"Seit 2014 ist einiges passiert, auch die ganze Flüchtlingswelle war da noch nicht da", sagte Moritz. Die GEW-Chefin forderte die Landesregierung auf, mindestens 6254 zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen, um die steigenden Schülerzahlen aufzufangen. Rechne man Reformen wie den Ausbau von Ganztagsangeboten, der Vertretungsreserve und geplante Stundenerleichterungen für Schulleiter ein, würden in den nächsten 15 Jahren sogar 10.500 neue Stellen nötig.
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Die Landes-SPD schloss sich der Kritik an und forderte einen Stufenplan für eine bessere Lehrer-Ausstattung. SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei nannte einen Versorgungsgrad der Schulen von 106 Prozent und das flächendeckende Zwei-Pädagogen-Prinzip in Klassen mit behinderten Kindern als Ziele.
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) wies den Vorwurf unzureichender Berechnungen und Planung zurück. "Unsere Bedarfsplanungen beruhen auf soliden Zahlen und selbstverständlich werden die anstehenden Pensionierungen dabei angemessen berücksichtigt", teilte sie mit. Sie wolle aber mit Blick auf politische Vorhaben "ein noch genaueres Bild von unserem Lehrkräftebedarf bekommen", kündigte sie an.
Daher erstelle ihr Haus gerade "eine langfristige und aussagekräftige Prognose des Lehrkräftebedarfs unter Einbeziehung verschiedenster Faktoren, darunter der Schülerzahlentwicklung". Auch habe sie unter anderem bereits mehr Lehramts-Studienplätze geschaffen.
Derzeit sind landesweit über alle Schularten hinweg mehr als 500 Lehrerstellen unbesetzt. Eisenmann betont stets, das liege an politischer Fehlplanung früherer Jahre. Besonders sei eine Pensionierungswelle nicht einkalkuliert worden. Es mangele nicht an Stellen, sondern an Bewerbern. Klemm zufolge gäbe es künftig für weiterführende Schulen genug Lehrer. Abgesehen von Mangelregionen und -fächern bestehe "ein hinreichendes Angebot". Grundschullehrer und Sonderpädagogen dagegen fehlten weiter in erheblichem Ausmaß.