Weniger Straftaten, mehr Gewalt (Update)
Sie werden bespuckt und geschlagen. Immer häufiger lassen Bürger ihren Frust an Polizisten aus. Die Beamten haben ein deutlich gestiegenes Verletzungsrisiko.

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Thomas Strobl (CDU) hatte sichtlich gute Laune: "Baden-Württemberg ist und bleibt bei der Inneren Sicherheit bundesweit Spitze", sagte der Landes-Innenminister gestern bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik. Rückläufige Straftaten, die Kriminalitätsbelastung pro 100 000 Einwohner so niedrig wie seit 1990 nicht mehr, dazu eine Aufklärungsquote von fast zwei Drittel aller Taten: Die Zahlen, die Strobl präsentierte, waren so gut, dass er für diese Behauptung die ausstehenden bundesweiten Vergleichszahlen gar nicht abwartete. Doch im Detail sieht es teilweise anders aus. Ein Überblick:
Eigentumsdelikte: Das ist die größte Gruppe, sie macht rund die Hälfte aller Straftaten aus. Vor allem Diebstahl in allen Schattierungen kommt häufig vor, ein Drittel aller Taten im Land sind Diebstähle – ob Laden-, Fahrrad-, oder Taschendiebstahl. 2018 ist die Zahl um rund zehn Prozent auf 168 828 Straftaten gesunken (2017: 187.899).
Einbrüche: Fremde im Haus, der private Rückzugsbereich durchwühlt: Wohnungseinbrüche sind nicht nur des materiellen Schadens wegen ein großes Problem. Bei den Tätern handelt es sich oft um Profis, arbeitsteilig agierende Banden aus dem Ausland. Die Polizei hat Einbrüche seit Jahren zum Schwerpunkt erklärt. Von 2009 bis 2014 stiegen die Fallzahlen kontinuierlich, seitdem gehen sie zurück. Im Vergleich zu 2014 waren sie letztes Jahr fast halbiert, lagen bei 7126 Taten. Doch die Aufklärungsquote ist niedrig. Zuletzt stieg sie über Jahre bis auf 21,7 Prozent, nun lag sie bei 20,7. Viele Taten, sagt Landespolizeipräsident Gerhard Klotter, würden erst nach der Rückkehr aus einem Urlaub angezeigt, das erschwert die Ermittlungen.
Angriffe auf Polizisten: Gewalt gegen Polizisten hat einen Rekordwert erreicht. Im Jahr 2018 wurden 2390 Polizeibeamte verletzt. Das war gegenüber 2017 eine Zunahme von rund 22 Prozent. Strobl führt die Attacken auf "Verrohungstendenzen in der Gesellschaft" zurück. Eine Senkung erhofft er sich von der flächendeckenden Einführung der "Bodycam". Bis zum Sommer soll jeder Polizist im Land so ein Gerät auf der Schulter tragen. Strobl hofft auf eine bessere Beweissicherung, aber auch auf eine deeskalierende Wirkung.
Öffentlichkeit: Die Straftaten im öffentlichen Raum gingen insgesamt um 3,2 Prozent auf 252 660 Fälle zurück. Delikte im öffentlichen Nahverkehr sanken sogar um 11,6 Prozent (68 138 Fälle). Doch die Zahl sogenannter Aggressionsdelikte in der Öffentlichkeit stieg um fünf Prozent auf 27 444 Fälle. Besonders krass erhöhte sich die Zahl der Sexualdelikte im öffentlichen Raum: Sie stieg um 21 Prozent. Strobl führte das sowohl auf die Einführung des Straftatbestandes der sexuellen Belästigung 2016 zurück, als auch auf eine gestiegene Sensibilität. "Möglicherweise passiert gar nicht mehr, aber es wird mehr angezeigt", vermutete der Minister. Die Polizei hat Sexualdelikte 2019 zum Schwerpunkt erklärt.
Reaktionen: Die Koalitionsparteien Grüne und CDU zeigten sich vor allem stolz auf die guten Entwicklungen und lobten die Arbeit der Polizei. Dagegen hob die Opposition besonders die Gewalt im öffentlichen Raum sowie die Übergriffe gegen die Polizei hervor und nutzte die Gelegenheit zur Kritik an der Regierung. SPD-Innenpolitiker Sascha Binder erklärte: "Wenn die Menschen in unserem Land das Gefühl haben, sich nicht mehr sicher im öffentlichen Raum bewegen zu können, ist das fatal." Strobl habe das Thema Prävention im öffentlichen Raum vernachlässigt.
Update: Freitag, 22. März 2019, 19.53 Uhr