Ein Denkmal hinter Stacheldraht
Was wird aus dem RAF-Gerichtssaal? - Land will Haftkrankenhaus bauen - Historiker fordern Erhalt

In diesem Saal fanden unter anderem die großen RAF-Prozess statt, die die Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre geprägt haben. Nun ist er nicht mehr in Gebrauch. Foto: Murat
Von Roland Muschel
Stuttgart. Anfang April wurde das neue Prozessgebäude des Oberlandesgerichts Stuttgart auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stuttgart feierlich eingeweiht. Bis dahin fanden noch immer große Verfahren in dem grauen "Mehrzweckgebäude mit Gerichtssaal" gegenüber statt, das in den 1970er Jahren als Provisorium für den ersten großen RAF-Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof errichtet worden war. Der Brandschutz hatte eine weitere Nutzung aber unmöglich und den Neubau für einen zweistelligen Millionenbetrag erforderlich gemacht.
Über 40 Jahre nach der Hochphase des RAF-Terrors ist das alte Mehrzweckgebäude damit für die Zwecke des OLG entbehrlich geworden. Justizminister Guido Wolf (CDU) will die Fläche deshalb anderweitig nutzen: für den Bau eines neuen, zentralen Justizvollzugskrankenhauses. Das bisherige auf dem Hohenasperg mit derzeit 138 Haftplätzen ist seit 1968 in Betrieb. Seither haben sich die Anforderungen verändert. Eine Kommission hat schon vor einigen Jahren mehr Haftplätze für psychisch kranke Gefangene angemahnt. Das neue Justizvollzugskrankenhaus soll rund 200 Haftplätze umfassen. Drei Viertel davon, so die Einschätzung des Ministeriums, werden für Gefangene mit psychischen Störungen oder Auffälligkeiten benötigt. Für den kommenden Doppelhaushalt hat Wolf bereits eine Planungsrate für den Neubau angemeldet. "Das Justizvollzugskrankenhaus auf dem Hohenasperg ist baulich nicht mehr auf dem neuesten Stand und eine Sanierung ist nicht möglich", sagte Wolf unserer Stuttgarter Redaktion. Der Neubau solle die Situation für die Gefangenen, aber auch die Mitarbeiter verbessern.
Ob die Denkmalschutzbehörden bei den Plänen allerdings mitspielen, ist fraglich. Im Hintergrund laufen Gespräche, eine Verständigung ist bislang nicht in Sicht. Insider bezweifeln, dass es sie je geben wird. Aspekte des Denkmalschutzes müssten "andere beurteilen", aber aus Sicht des Justizvollzugs biete sich der Standort der Mehrzweckhalle für den Neubau des Krankenhauses an, sagt Wolf. Denn auch dafür gebe es Sicherheitsanforderungen, die auf einem bestehenden Anstaltsgelände effizienter erfüllt werden könnten als an einem externen Standort.
Aus Sicht des Denkmalschutzes, der unter der Fachaufsicht der Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) steht, ist das Mehrzweckgebäude allerdings "ein Symbol für die wehrhafte Demokratie der Bundesrepublik Deutschland". Gleiches gilt für den benachbarten Gefängnisbaus I aus den 1960er Jahren. In dessen 7. Stockwerk waren führende RAF-Terroristen inhaftiert, erhängte sich im Mai 1976 Ulrike Meinhof und begingen im Oktober 1977 Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe kollektiv Selbstmord. Beides sind "Kulturdenkmäler" im Eigentum des Landes. "Damit gilt für diese Objekte eine sogenannte gesteigerte Erhaltungspflicht nach den Vorgaben der Landesverfassung und den Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes", benennt eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums die hohen Hürden für einen Abriss. Dieser wäre "von den zuständigen Denkmalschutzbehörden nach den hierfür geltenden rechtlichen Anforderungen zu prüfen".
Bislang liegt der Stadt Stuttgart als Genehmigungsbehörde noch kein Antrag auf Abriss vor. Von der Aussicht darauf sollen aber weder die Fachleute der Stadt noch das Landesdenkmalamt begeistert sein. Der Historiker und frühere Leiter des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, Thomas Schnabel, hat sich bereits für den Erhalt des Gebäudes ausgesprochen: Der Gerichtssaal, in dem bis 1997 insgesamt 49 RAF-Verfahren mit 90 Angeklagten stattfanden, sei ein zentraler Bestandteil bundesrepublikanischer Geschichte. In Petitionen an den Landtag wurde schon wiederholt eine Bestandsgarantie gefordert.
Die Entscheidung zieht sich nun wahrscheinlich in die Länge. Denn Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) will den Bau eines neuen Justizvollzugskrankenhauses zu einem jener Topprojekt erklären, für die nach einem aktuellen Kabinettsbeschluss künftig ein zweistufiges Verfahren gelten soll. Danach muss der Landtag erst im Grundsatz klären, ob er einen Bedarf sieht. Nach vertiefter Planung und einem belastbaren Kostenvoranschlag sollen die Abgeordneten dann erst entscheiden, ob zu den angegebenen Konditionen gebaut wird.