Luftfilter-Studie falsch interpretiert?
Eltern- und Lehrervertreter drängen auf Einsatz der Geräte im Unterricht. Ministerpräsident Kretschmann will ein Förderprogramm noch vor der Sommerpause auf den Weg bringen.

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Im Zuge der Debatte um die Ausrüstung von Schulen mit mobilen Luftreinigungsgeräten hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine zügige Umsetzung angekündigt. "Das wird jetzt endverhandelt, sodass ich hoffe, dass das auch in Gang kommt", sagte er über ein angekündigtes Förderprogramm der Landesregierung für Kommunen. Er nehme an, "dass wir das vor der Sommerpause in trockene Tücher bekommen".
An den Schulen im Südwesten beginnen kommende Woche die Sommerferien, die bis Mitte September dauern. Angesichts auf niedrigem Niveau steigender Corona-Inzidenzen blicken viele am Schulleben Beteiligte mit Sorge auf den Herbst. Da die meisten Schüler voraussichtlich nicht geimpft werden, fordern Eltern-, Schüler- und Lehrerverbände sowie Oppositionspolitiker eine flächendeckende Ausstattung von Unterrichtsräumen mit mobilen Raumluftfiltern.
Viele Städte, Kommunen und Landkreise, die als Schulträger zuständig sind, fürchten die Kosten der Anschaffung. Zudem zweifeln sie angesichts verschiedener Studien an der flächendeckenden Notwendigkeit und einer effizienten Wirkung der Geräte.
Kretschmann hatte kürzlich angekündigt, ein neues Förderprogramm für Schulträger aufzulegen. Mit 60 Millionen Euro für Schulträger sowie 10 Millionen für Träger von Kindertagesstätten werde das Land Anschaffungen mitfinanzieren. Auch der Bund kündigte ein 200 Millionen Euro schweres Förderprogramm an. Davon entfallen voraussichtlich 26 Millionen auf Baden-Württemberg. Geeignete Geräte kosten pro Stück etwa zwischen 3000 und 7000 Euro. Im Land gibt es laut Städtetag rund 67 000 Unterrichtsräume.
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Details zu Ausschreibungs- oder Beschaffungsrichtlinien beider Programme liegen noch nicht vor. Im Landes-Programm werde es "schlanke technische Vorgaben" geben, sagte Kretschmann. Landes-Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) kündigte an, Kommunen bei der Auswahl mit einer Liste zu helfen. Die Geräte müssten gewisse Kriterien erfüllen, etwa zu der Luftreinigungsqualität oder dem Geräuschpegel.
Der Schalldruck, den die Geräte erzeugen, gilt Kritikern als stärkstes Gegenargument. Wissenschaftler der Universität Stuttgart, die im Auftrag der Landeshauptstadt eine Studie zum Thema erstellt haben, warnten vor Grenzwerte-überschreitendem Lärm sowie einem "Luftzug, der stark darüber hinausgeht, was Menschen als ,behaglich’ empfinden", wie der verantwortliche Professor Konstantinos Stergiaropoulos im RNZ-Interview sagte. Daher, und weil Lüften über Fenster ähnlich gut die Aerosolbelastung reduziere, riet er von einer flächendeckenden Ausstattung ab; zumal Luftfilter weder CO2 noch Luftfeuchtigkeit abtransportierten.
Eltern- und Lehrervertreter ziehen die Schlussfolgerungen der Studie inzwischen in Zweifel. Aus den Ergebnissen der Experimente ließen sich die Empfehlungen nicht ableiten, kritisierte der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Michael Mittelstaedt. Die Studie ergebe eindeutig, dass mobile Luftfilter das Infektionsrisiko stärker mindern als das Lüften über Fenster. Zudem äußerten sich laut einer in der Studie enthaltenen Umfrage unter Nutzern diese tolerant über die Geräusch- und Zugluftbelästigung. "Es erweckt schon den Eindruck, dass der Auftraggeber ganz klar gesagt hat, was er rausbekommen möchte", sagte Mittelstaedt über die Studie. "Betrug ist ein hartes Wort, aber es geht schon in die Richtung", befand er.
Ähnlich kritisch äußerte sich der Landesvorsitzende des Philologenverbands, Ralf Scholl. Die Diskrepanzen zwischen den Ergebnissen von Experimenten wie Befragungen und den Empfehlungen der Studien-Autoren empfinde er als frappierend. "Das geht nicht, das ist unredlich", sagte Scholl.
Update: Mittwoch, 21. Juli 2021, 20 Uhr
Warum der Experte skeptisch bei Luftfiltern ist
Aerosol-Forscher Konstantinos Stergiaropoulos im RNZ-Interview: Wirksame Geräte seien meist zu laut, weshalb die Nutzer dann oft die Leistung senken oder die Geräte ganz abschalten.
Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Sechs Monate lang hat sich ein Team der Uni Stuttgart um Professor Konstantinos Stergiaropoulos (51) mit der Frage beschäftigt, wie man Schulräume am besten durchlüftet. An zehn Schulen führten sie in mehreren Zimmern Versuche durch, bauten Experimente auf, versprühten Aerosole und Gase, analysierten Luftströme. Immer auf der Suche nach der besten Technik und Methode, um bei möglichst geringer Infektionsgefahr Unterricht abhalten zu können.
Prof. Stergiaropoulos, Deutschland debattiert über Luftfilter für Schulräume. Sie raten nach monatelangen Experimenten vom flächendeckenden Einsatz ab. Warum?
In unserer Studie haben wir in mehreren Stuttgarter Klassenräumen verschiedene Formen der Lüftung untersucht: über die Fenster, mit fest verbauten raumlufttechnischen Anlagen und mit mobilen Luftreinigungsgeräten. Dabei haben wir festgestellt, dass diese mobilen Geräte zwar eine gewisse Wirkung in Bezug auf die Abscheidung von Partikeln und Aerosolen haben, die als Vehikel für SARS-CoV-2-Viren gelten. Aber die anderen Lüftungsmöglichkeiten waren nicht schlechter.

Aber in Bezug auf das Infektionsrisiko weisen Luftreiniger in Ihrer Studie doch deutlich die besten Werte auf?
Ja, die Werte sind niedriger, aber "deutlich" würde ich nicht sagen. Sie liegen im gleichen Bereich. Außerdem haben unsere Untersuchungen ergeben, dass Luftreiniger bei einem ausreichend hohen Volumenstrom zwar die positive Wirkung der Aerosolabscheidung erbringen. Sie führen dann aber auch zu einem hohen Schalldruck im Raum, der weit über dem geltenden Grenzwert liegt. Und es entsteht ein Luftzug, der stark darüber hinausgeht, was Menschen als "behaglich" empfinden.
Zugluft und ein Brummen: Sind das in der Abwägung nicht relativ kleine Übel?
Nein, wir erwarten, dass Nutzer das nicht hinnehmen. Vielleicht kurzzeitig, aber nicht dauerhaft. Erfahrungsgemäß schalten Menschen dann die Geräte ab oder regeln den Volumenstrom herunter, um Schalldruck und Luftzug zu senken. Bei niedrigem Volumenstrom steigt wiederum die Infektionswahrscheinlichkeit.
Die Alternative ist normales Lüften. Sie raten zu Stoßlüften alle 20 oder besser alle 10 Minuten. Das stört Unterricht doch auch.
Ja und nein. Jedenfalls muss man wissen: Auch beim Einsatz von Luftreinigern muss man lüften, denn die Geräte wälzen die Luft nur um. Sie transportieren weder CO2 aus dem Raum noch die Wärme und Feuchtigkeit, die Menschen abgeben. Um das Fenster-Lüften kommt man nicht herum.
Das sagt doch auch niemand. Man kann ja trotzdem lüften, aber vielleicht in den Pausen und nicht alle zehn Minuten?
Das reicht aber nicht. Die CO2-Konzentration in voll besetzten Klassenräumen ist oft deutlich zu hoch. Das hat mit guter Innenraum-Luftqualität nichts mehr zu tun. Nur alle 45 Minuten in der Pause zu lüften genügt nicht. Klassenräume müssten auch ohne Pandemie alle 20 Minuten gelüftet werden.
Sie empfehlen den Einsatz von Luftreinigern für "schlecht zu lüftende Räume". Was ist damit genau gemeint?
Letztlich geht es um die Frage, wie viel Quadratmeter zu öffnende Fensterfläche pro Kubikmeter Raum zur Verfügung steht. Für diese Berechnung haben wir ein Tool entwickelt und der Stadt Stuttgart zur Verfügung gestellt. Da sieht man, ob der Volumenstrom über die Fensterlüftung für das Zimmer ausreicht.
Spielten die Kosten der Geräte für Ihre Empfehlung eine Rolle?
Nein.
Der Staat gibt nun Millionen für Luftfilter aus, aber eine Maskenpflicht im Unterricht ist nur für die ersten zwei Wochen nach den Ferien vorgesehen. Leuchtet Ihnen das ein?
Das kann ich nicht nachvollziehen. Masken wirken erwiesenermaßen sehr gut. Sie filtern Aerosole sowohl beim Aus- als auch beim Einatmen und scheiden dabei Viren ab. Die Diskussion über die Luftreiniger scheint mir stark politisch dominiert zu sein. Da herrscht Druck von Eltern, Schülern und Lehrern. Viele denken, man kauft mit so einem Gerät 100-prozentige Sicherheit. Das ist ein Trugschluss.
Nun gibt es die Förderprogramme und viele Städte wollen bestellen: Was muss man bei der Auswahl der Geräte beachten?
Es gibt ja unzählige Angebote. Auch bei Ebay oder Amazon findet man Luftreiniger, die irgendwo hergestellt und für wenig Geld angeboten werden. Aber natürlich gibt es seriöse Angebote von Herstellern, die seit Jahrzehnten in der Raumlufttechnik tätig sind. Deren Geräte sind natürlich wesentlich teurer. Sie sind auch größer, denn für große Räume mit vielen Personen braucht man einen hohen Volumenstrom. Kleine Geräte sind meist auch noch lauter.
Wie ist es mit den Filtern?
Es sollten immer zwei Filterstufen eingebaut sein: eine Vorfilterung und ein Hepa-Filter (Anm. d. Red.: Hepa steht für "High Efficiency-Particulate Airfilter", dt.: Hocheffizienter Partikelfilter). Denn ohne Vorfilter verstopft der Hepa-Filter schnell mit Staub und anderen Partikeln.
Ihre Studie lief in Schulräumen. Hat sie auch Aussagekraft für Kitas und Kindergärten?
Im Prinzip schon. Wie gesagt: Es geht immer um die Fensterfläche pro Raumvolumen und Personenzahl. Aber natürlich spielen kleine Kinder und bewegen sich mehr, sind auch mal sehr nah beieinander. Virusübertragung kann nicht nur durch Aerosole stattfinden, sondern auch durch ballistische Übertragung über Tröpfchen. Solche Tröpfchen, die beim Sprechen oder Schreien entstehen, können natürlich mehr Viren tragen als die kleineren Aerosole. Das erhöht die Übertragungswahrscheinlichkeit.