700 Millionen Euro extra für die Polizei?
Innenminister Strobl eröffnet den Poker um einen Nachtragsetat.

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Bei der Vorlage der Ergebnisse der Mai-Steuerschätzung für Baden-Württemberg am 15. Mai 2023 sprach Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) von einer "Zäsur". Die Einnahmen sinken – und damit die Spielräume für neue Programme, zusätzliches Personal. Rund 420 Millionen Euro weniger als bislang geplant werden dem Land 2023 und 2024 insgesamt zur Verfügung stehen.
"Wir müssen uns auf eine neue finanzpolitische Realität einstellen, in der zusätzliche Aufgaben nicht mit frischem Geld, sondern mit klaren politischen Prioritäten angegangen werden müssen", sagte Bayaz. "Anders wird es nicht gehen."
Oder doch? Öffentlich widerspricht kein Koalitionspolitiker dem Finanzminister, die Spitzen von Grünen und CDU haben sich jüngst sogar in kleiner Runde darauf verständigt, dass ein Nachtrag zum Doppelhaushalt 2023/24 vor der November-Steuerschätzung kein Thema sein soll. Um keine neuen Begehrlichkeiten zu wecken, wird es vor der politischen Sommerpause auch keine Sitzung der Haushaltskommission, dem wichtigsten finanzpolitischen Gremium der Koalition, mehr geben. Einerseits.
Andererseits ist der Poker um einen Nachtragshaushalt koalitionsintern bereits eröffnet. Erst kürzlich haben die Chefs der Regierungsfraktionen von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Manuel Hagel, die Abschaffung der Studiengebühren für ausländische Studentinnen und Studenten angekündigt. Dadurch fehlen dem Landesetat rund 30 Millionen Euro im Jahr. Wann die Gebühr gestrichen wird, ist indes offen. Der Grund: Noch ist unklar, wie die Einnahmeausfälle kompensiert werden sollen. Ein Fall für einen Nachtragshaushalt?
Auch interessant
Besonders hoch reizt Vize-Regierungschef und Innenminister Thomas Strobl (CDU). Der von seinem Haus auf acht Seiten aufgelistete Finanzbedarf für ein "Zukunftspaket Polizei" hat ein Gesamtvolumen von rund 700 Millionen Euro für die Jahre 2023/24 plus 87 Neustellen. Allein 471 Millionen Euro veranschlagt Strobl in einem "Nachtragshaushalt 2023/24" für den vorgezogenen Neubau des Landeskriminalamts und des dazugehörigen Rechenzentrums. Nach einem sicherheitsrelevanten Kurzschluss im bisherigen LKA-Gebäude vor wenigen Monaten gilt das Vorziehen des Neubaus auch bei den Grünen als gesetzt.
Strobls weitere Anforderungen sorgen beim Koalitionspartner indes für Gesprächsbedarf. So stehen auf der Liste 61 neue Stellen als "Minimum" für den IT-Betrieb. Dabei will die Polizei ein Rechenzentrum an externe Dienstleister auslagern – was aus Sicht der Finanzpolitiker eher einen Stellenabbau als einen Stellenaufbau begründen würde.
Klar scheint jedenfalls, dass Strobl mit einer vorgezogenen Mittelfreigabe für den ursprünglich erst mittelfristig geplanten LKA-Neubau kalkulieren kann. Die Gegenrechnung der Grünen ist relativ einfach: Wenn die CDU einen ordentlichen Zuschlag für ihr Kernthema Sicherheit erhält, will die Ökopartei als Nachschlag mindestens die gleiche Summe für ihre Kernanliegen. Nach Lage der Dinge sind das die von der grünen Kultusministerin Theresia Schopper verantwortete Bildungspolitik und die Ökologie, wo die im Koalitionsvertrag versprochene und vom grünen Verkehrsminister Winfried Hermann umzusetzende Mobilitätsgarantie bei der Grünen-Fraktion die To-do-Liste anführt.
Die Mobilitätsgarantiere, die in den Kernzeiten landauf, landab für ÖPNV-Verbindungen mindestens im Halb-Stunden-Takt sorgen soll, war mal grob mit Kosten in Höhe von 600 bis 800 Millionen Euro veranschlagt worden, soll nun aber in einer Anschubfinanzierungsvariante für 200 Millionen Euro machbar sein. Bei der Bildungspolitik sind die Landesverbände von Grünen und CDU in eine Art Überbietungswettbewerb eingestiegen.
Die Ökopartei forderte jüngst die Stärkung der Grundschulen inklusive einer Besserbezahlung der Grundschullehrer, die sich im Haushalt mit rund 180 Millionen Euro pro Jahr niederschlagen würde. Die CDU sprach sich für eine – natürlich auch finanzielle – Stärkung der vorschulischen Bildung aus.
Die guten Aussichten: Im Doppeletat 2023/24 schlummern noch einige Reserven in Form von Risikopuffern, die die Fachpolitiker für ihre jeweiligen Interessen bei der Aufstellung eines Nachtragshaushalts anzapfen wollen. Im Doppeletat 2025/26 dagegen wird es sehr eng – auch, weil Tariferhöhungen anstehen.