"Rajoy und Puigdemont haben versagt"
Der Heidelberger Völkerrechtler Armin von Bogdandy fordert einen Neuanfang auf beiden Seiten

Von Daniel Bräuer
Heidelberg. Armin von Bogdandy ist seit 2002 Direktor am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Parallel lehrt er öffentliches Recht an der Universität Frankfurt.
Herr von Bogdandy, Carles Puigdemont ist wieder auf freiem Fuß. Heißt das, er muss nicht damit rechnen, nach Spanien ausgeliefert zu werden?
Nein, das hat damit überhaupt nichts zu tun. Die Frage ist, ob man befürchten muss, dass er sich dem Zugriff des Rechts entzieht. Dass er jetzt in Russland untertaucht, ist nicht wahrscheinlich.
Denken Sie, Belgien wird ihn ausliefern?
Davon gehe ich aus. Es ist eine Frage des belgischen Rechtes, inwiefern dort der Hochverrat, dessen er in Spanien angeklagt ist, auch strafbar ist. Die Voraussetzung, dass er in Belgien politisches Asyl bekommt und deshalb nicht ausgeliefert wird, das halte ich für unwahrscheinlich.
Puigdemont hatte Garantien verlangt, dass es in Spanien einen fairen Prozess gibt. Gibt es daran berechtigte Zweifel? Spanien, ein EU-Staat, aber kein Rechtsstaat?
Wir haben Staaten in der Europäischen Union, wo man in dieser Hinsicht leider inzwischen tatsächlich Zweifel haben muss, etwa Polen oder Ungarn. Nach aller Kenntnis, die ich habe, ist die Justiz in Spanien aber unabhängig.
Die Katalanen sprechen von "politischen Gefangenen".
Das ist so nicht richtig. Ich habe gerade mit einigen katalanischen Gästen hier am Institut gesprochen. Es gibt viele Katalanen, wahrscheinlich sogar die Mehrheit, die nicht der Auffassung sind, dass in Spanien politische Prozesse stattfinden.
Ist es denn keine Art politischer Prozess? Sie werden für ein politisches Vorhaben angeklagt.
Nein, sie werden angeklagt dafür, dass sie den Bestand des Landes mit Gewalt oder mit Drohung von Gewalt beeinträchtigen. Es ist klar, dass dieses angebliche Referendum nicht mit der Verfassung in Übereinstimmung steht. Die Frage wird sein, ob seitens der Separatisten Gewalt oder Drohung von Gewalt ausgeübt worden ist. Da muss man sich sehr genau anschauen, ob das, was die dort im Einzelnen veranlasst haben, Gewalt darstellt. Da kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Aber das alleine macht einen Prozess nicht zu einem politischen Prozess. Das wäre es erst, wenn die Regierung den Richtern vorgeben würde: "Ihr habt jetzt mit diesem bestimmten Ergebnis rauszukommen." Es würde mich sehr überraschen, wenn irgendjemand in der spanischen Regierung so dumm wäre, das zu versuchen.
Ist nicht der Hauptvorwurf, das Referendum überhaupt abgehalten zu haben - unabhängig vom Gewaltvorwurf?
Das Referendum und die spätere Erklärung der Unabhängigkeit sind ein Teil des Straftatbestandes, aber es muss für den Hochverrat hinzukommen, dass mit Gewalt oder mit Drohung von Gewalt gearbeitet worden ist.
Wird die Neuwahl zu einer Art Ersatzreferendum über die Unabhängigkeit?
Es wird bestimmt den Versuch geben, das so zu deuten. Man kann nur hoffen, dass die anderen politischen Kräfte, aber auch die Separatisten, genügend politische Vernunft haben, das Ganze wieder in ein konstruktiveres Fahrwasser zu bringen. Man darf nicht vergessen, dass wohl über die Hälfte der Katalanen gegen die Unabhängigkeit sind. Der eigentlich kritische Riss geht durch Katalonien. Es wäre falsch, anzunehmen, es gehe sei nur um "Spanien gegen Katalonien".
Wie kommt das Land aus dieser Spaltung wieder heraus?
Das ist eine Frage großer Staatskunst. Ich meine, dass es ein großer Schritt wäre, wenn die Protagonisten, die ganz Spanien in diese verfahrene Situation gebracht haben, sich zurückziehen.
Nämlich?
Das sind insbesondere Puigdemont und Rajoy! Die Führungen auf beiden Seiten haben ein unglaublich großes politisches Versagen an den Tag gelegt. Dafür sollten sie die politische Verantwortung übernehmen. Beide Seiten sollten Persönlichkeiten beauftragen, die klüger, weitsichtiger und auch umgänglicher sind, um zu Kompromissen zu kommen - die es ja auch schon mal gegeben hat! Daran kann man doch bestimmt anknüpfen.
Stellen wir uns aber vor, die Separatisten erhalten am 21. Dezember eine absolute Mehrheit. Haben die Katalanen dann ein Recht auf einen eigenen Staat?
Das haben sie weder unter dem spanischen Recht noch unter dem europäischen Recht noch unter dem Völkerrecht. Das ist ganz klar. Es gibt nach keiner Rechtsordnung, die hier irgendwie einschlägig ist, ein Recht der Katalanen auf einen eigenen Staat. Zugleich muss man aber auch festhalten, dass dies für die politisch Verantwortlichen nicht das Ende der Diskussion sein kann. Dass man eine Rechtsposition hat, bedeutet ja nicht, dass es immer klug ist, darauf zu verharren.
Was ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker?
Das Selbstbestimmungsrecht im Sinne, dass hier ein Recht besteht, einen eigenen Staat einzurichten, das greift hier nicht.
Warum nicht - wenn etwa die Schotten ihr Referendum abhalten durften und fast ganz Europa das Kosovo anerkennt?
In Schottland wurde in keiner Weise argumentiert, dass die Schotten ein Recht darauf hatten, dieses Referendum abzuhalten. Das war eine Einigung zwischen Schottland und dem Vereinigten Königreich. Das ist eine politische Option. Die damalige britische Regierung war eben der Auffassung, dass es politisch klug war, das zu machen. Und das hätten die Spanier auch machen sollen!
Beim Kosovo liegt die Situation insofern anders, als die albanische Minderheit in Serbien, die im Kosovo ja die Mehrheit war, durch das serbische Regime hochgradig malträtiert wurde und Menschenrechte dort nicht gewahrt wurden. Vor diesem Hintergrund gibt es einige Völkerrechtler - keineswegs alle -, die sagen, dass es dann ein Recht auf Unabhängigkeit aus dem Recht aus Selbstbestimmung heraus gebe. Aber auch nur in einer solchen Situation.
Und die liegt in Spanien nicht vor?
Das liegt auf keinen Fall vor.
Ein Gedankenexperiment: Im Jahr 2018 will die CSU unter Ministerpräsident Markus Söder die Unabhängigkeit Bayerns ausrufen. Würde Berlin so reagieren wie jetzt Madrid?
Da will ich doch hoffen, dass wir in Berlin ein besseres politisches Personal haben und dass wir auch ein klügeres Verfassungsgericht haben und deshalb mit einer solchen Situation anders umgegangen würde. Ich glaube auch, dass die bayerische Regierung dauerhaft klüger sein wird als das, was jetzt in Katalonien aufgefahren wird.
Aber es wäre ebenso illegal und juristisch Hochverrat?
Das kommt darauf an, was die Beteiligten konkret machen. Es ist in keiner Weise klar, dass das, was in Katalonien bislang passiert ist, diesen Tatbestand erfüllt. Dazu muss es zu Gewalt gekommen sein. Alleine das Projekt, aus der Bundesrepublik auszutreten, das ist kein verfassungswidriges Verhalten.
