KIT-Professor Erix Sax im Gespräch mit der RNZ

"Automatisiertes Fahren bringt Sicherheit"

Davon bleibt der Experte überzeugt - Vom komplett fahrerlosen Verkehr "noch unglaublich weit entfernt"

20.03.2018 UPDATE: 21.03.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 17 Sekunden
Foto: privat

Von Daniel Bräuer

Heidelberg. In wenigen Wochen ist es so weit: Am 5. Mai soll in Karlsruhe auf einigen Straßen und Autobahnstücken das autonome Fahren getestet werden. Dabei bleibe es auch nach dem Unfall von Tempe, betont Eric Sax. Der Professor am Karlsruher Institut für Technologie ist Direktor am Forschungszentrum Informatik, das den Aufbau des "Testfeldes" koordiniert. Die RNZ sprach mit ihm über Chancen und Risiken der Technologie.

Ein autonom fahrender PKW hat einen Menschen überfahren - ein Rückschlag für Ihren Forschungsbereich?

Zunächst einmal ist es bedauerlich! Um es vorsichtig zu sagen: Es ist insofern nicht förderlich, weil wir jetzt eine öffentliche Diskussion kriegen, die vielleicht ein Stück weit am Thema vorbei geht. Für unsere Wissenschaft sehen wir, und auf der Linie bleibe ich auch, dass autonomes Fahren einen großen Beitrag zur Verkehrssicherheit liefern wird. Wir hatten schon im Juli 2016 einen schlimmen Unfall mit einem Tesla. Und wir werden weitere haben, weil die Physik nicht außer Kraft zu setzen ist, auch nicht durch autonome Fahrzeuge.

Was tun Sie beim Testfeld in Karlsruhe für die Sicherheit?

Auch interessant
Autonomes Fahren: Der Mensch hält das Steuer weiter in der Hand
Auto allein unterwegs: Unis wollen autonomes Fahrzeug entwickeln

Ich möchte ganz klar darauf hinweisen, dass das keine Experimentierräume sind, sondern dass da Fahrzeuge unterwegs sind, die zwar Funktionen haben, die in Level 4 und 5 hineinreichen, aber immer mit hochausgebildeten Sicherheitsfahrern, die immer die Hoheit übernehmen können. Um das ganz deutlich zu sagen: Wir werden mit einem Testfeld nie alle Situationen ertesten. Das machen wir im Labor oder auf den Teststrecken in ganz sicheren Umgebungen. Wir sichern nicht im Straßenverkehr die Funktionen ab. Wir machen sie erlebbar im Straßenverkehr, aber mit doppeltem Boden. Dieser Sicherheitsfahrer heißt nicht ohne Grund so. Den haben wir immer an Bord, er ist immer Herr des Geschehens. Er hat einen großen Not-Aus-Button an Bord, wenn Sie so wollen.

Wie viele Autos werden da in Karlsruhe unterwegs sein?

Das Testfeld ist projektabhängig gestaltet. Es sind Projektpartner, also Lieferanten von Elektronik wie Bosch oder Conti oder ein Automobilhersteller, mit uns projekthaft mit uns im Testfeld unterwegs. Wir selbst haben auch nur einige wenige Fahrzeuge, die unterwegs sein werden, aber auch nicht aus Jux und Dollerei, sondern mit dem Auftrag, eine konkreten Situation im urbanen Verkehr zu erfassen. Auch hier: Wir wollen ganz viele Daten sammeln, und diese Daten mit ins Labor zurücknehmen. Wir werden nie eine Funktion im Straßenverkehr frei testen. Wir brauchen die Daten, um sie ins Labor zu nehmen und dort simulativ die Funktion bis an ihre Grenzen zu testen. Die Unfälle, die man jetzt vielleicht im Kopf hat, die werden wir maximal im Labor erzeugen. Aber wir brauchen die Daten aus dem realen Verkehrsgeschehen: Sensordaten, Radardaten, Verkehrsdaten, Ampeldaten.

Sie wollen also nicht testen: Wie verhält sich das Auto in dieser oder jener Gefahrensituation?

Nein!

Es sind Situationen denkbar, in denen sich ein Auto zwischen zwei Übeln entscheiden müsste: Der Gefahr für das Kind vor sich oder für das dicht auffahrende Auto hinter sich.

Es geht um Menschenleben. Ich bitte zu entschuldigen, wenn jetzt der sachliche Wissenschaftler in mir durchbricht. Nach meinem Kenntnisstand ist der Algorithmus auch so, dass er diese Entscheidung gar nicht mehr treffen kann, weil er ganz schnell abstrahiert in Objekte. Wenn es nun wirklich den Point of no return gibt und es zur Kollision kommt, dann wird voll in die Eisen getreten. Jetzt packen wir mal nicht in die Funktion mehr, als wir dem Autofahrer zumuten würden. Wer bei einer Vollbremsung, wenn er das Hindernis sieht, noch dreimal in den Rückspiegel schaut, ob dahinter ein Schulbus ist... Das Fahrzeug wird nach Objektivierung der Situation eine Reaktion zeigen, da bin ich mir ganz sicher, die dem menschlichen Fahrer überlegen sein wird.

Wodurch macht autonomes Fahren den Verkehr sicherer?

Das erleben wir schon heute. Wir haben tolle Assistenzsysteme, die uns ein Stau-Ende-Bremsen bringen, Einsicht in die Kurve hinein, ein automatisches Bremsen, wenn der Fahrer eingeschlafen ist. Das alles ist für mich automatisiertes Fahren. Man denkt ja gleich, dass alle Autos selbständig über die befahrenste Kreuzung der Stadt fahren. Aber davon sind wir noch unglaublich weit entfernt. Es sind diese kleinen Assistenzsysteme, die den Fahrer entlasten und ihm dadurch mehr Sicherheit geben.

Wer bleibt denn letztlich in der Verantwortung? Fahrer oder Auto?

Das hängt von den Leveln, den Stufen der Automatisierung ab. Im vergangenen Jahr wurde durch die Gesetzgebung von Verkehrsminister Dobrindt Level 3 geöffnet. Damit nehmen wir den Hersteller schon in eine größere Verantwortung, aber der Fahrer in der finalen Verantwortung bleibt.

Level 3, das müssen Sie erklären.

Das bedeutet, dass das Auto die Hoheit übernehmen kann, sich im Verkehr zurechtfindet, aber in letzter Instanz der Fahrer die Verantwortung hat. Somit kann das Fahrzeug etwa bei Stop-and-go dominieren, kann aber zu jeder Zeit vom Fahrer wieder übernommen werden.

Und die weiteren Stufen?

Bei Level 4 übernimmt das Fahrzeug die Verantwortung, aber der Fahrer ist noch da. Bei Level 5 haben wir dann wirklich eine vollständige autonome Fahrt und wir steigen wie in eine Skigondel oder einen Lift ein und werden transportiert. Wenn wir in Level 4 oder 5 gehen, dann haben wir Haftungsfragen, die heute noch nicht final geklärt sind. Schon allein deshalb bin ich keiner, der sagt, wir werden Level 4 oder 5 sehr bald sehen. Wir werden es in abgeschlossenen Räumen sehen - eingezäunte Parkhäuser oder Speditionshöfe etwa, wo wir keine spielenden Kinder oder Passanten haben.