Gaza-Krieg

"Solange es die Besatzung gibt, wird kein Frieden herrschen"

Abed Schokry promovierte in Deutschland und kehrte 2007 nach Gaza zurück. Im Mai 2024 gelang ihm die Flucht zurück. Im Interview spricht er unter anderem über seine Vision für Nahost.

09.10.2025 UPDATE: 09.10.2025 18:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden
Ein israelischer Soldat weist palästinensische Kinder in Hebron im besetzen Teil des Westjordanlandes an, einen Sicherheitsbereich der Armee zu verlassen. Foto: AFP
Interview
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Abed Schokry studierte in Deutschland, floh im Mai 2024 aus Gaza

Von Tim Müller

Berlin. Abed Schokry wuchs im Gazastreifen auf. 1990 kam er nach Deutschland und studierte in Berlin Medizintechnik. Nach seiner Promotion kehrte er 2007 nach Gaza zurück, wo er zum Professor an der Islamischen Universität berufen wurde. Als Folge des Hamas-Angriffs auf Israel am 7. Oktober wurde seine Universität zerstört. Im Mai 2024 gelang ihm die Ausreise nach Deutschland. An diesem Freitag spricht er auf Einladung des Palmyra Verlags um 19.30 Uhr im Welthaus in Heidelberg.

Herr Schokry, wie haben Sie die Zeit zu Beginn des Gaza-Kriegs erlebt?

Unsere Wohnung lag in Gaza-Stadt. Nachdem die israelische Armee am 13. Oktober 2023 per Flugblätter verkündete, dass unser Lebensmittelpunkt nun Kriegsgebiet sei, flohen meine Frau, unsere fünf Kinder und ich in den vermeintlich sicheren Süden des Gazastreifens nach Chan Junis – mit kaum mehr als der Kleidung, die wir trugen. Zu diesem Zeitpunkt dachten wir allerdings auch, dass wir bis spätestens Anfang 2024 zurückkehren und unser Leben weiterleben könnten.

Doch es sollte anders kommen ...

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Ja, fast zwei Jahre nach unserer Flucht ist der Krieg immer noch nicht vorüber. Ende 2023 wohnten wir in einer zwei Zimmer Wohnung mit 30 anderen Menschen – eine Toilette, eine Dusche. Bereits ab Mitte November gab es kaum noch Lebensmittel zu kaufen. Der Brotpreis stieg ins Unermessliche. Die Situation wurde immer prekärer. Schließlich mussten wir die völlig überfüllte Wohnung verlassen. Insgesamt flohen wir bis zu unserer Ausreise Ende April 2024 noch fünf Mal innerhalb des Gazastreifens – teils unter Raketenbeschuss. Es war hart. Ein täglicher Kampf ums Überleben unserer Familie.

Wie gelang Ihnen die Ausreise?

Damals konnte man noch mit einem Ausreisevisum aus Gaza gelangen – heute ist das durch die israelische Blockade und die Besetzung der Grenzübergänge gar nicht mehr möglich. Die Visa für die gesamte Familie kosteten uns 30.000 US-Dollar. Eine Spendenaktion von Freunden aus Deutschland und anderen Staaten sammelte das Geld für uns. Ohne sie wären wir immer noch dort.

Wie geht es Ihren Verwandten, die in Gaza zurückgeblieben sind?

Keinem geht es gut. Kürzlich wurden ein Neffe und eine Nichte von mir bei einem Angriff der israelischen Armee bei Deir al-Balah im Süden des Gazastreifens verletzt. Dabei hielten sie sich zum Zeitpunkt des Angriffs in einer Sicherheitszone der israelischen Armee auf. Auch ich habe viele Verwandte im Laufe dieses verfluchten Krieges verloren. Im ganzen Gazastreifen gibt es keinen sicheren Ort mehr.

Wie blicken Sie auf die derzeitigen Friedensverhandlungen in Ägypten?

Ich habe Hoffnung für meine Heimat – was bleibt uns Palästinensern auch übrig. Klar ist: die noch festgehaltenen israelischen Geiseln müssen freikommen. Aber auch die Zerstörung in Gaza muss enden. Ich hoffe, dass Treffen in Scharm el-Scheich kann endlich zu einer echten Zweistaatenlösung führen. Damit Israel und Palästina in Frieden nebeneinander existieren können. Eines, denke ich, ist klar und müsste auch allen klar sein: Solange es die israelische Besatzung in Gaza und im Westjordanland gibt, kann – und wird – kein Frieden herrschen.

Bei all der momentan Gewalt in Nahost: Was für eine Zukunft sehen Sie für Ihre Heimat überhaupt?

Noch immer eine Zukunft in Frieden. Ein friedliches Nebeneinander in Nahost – wenn schon ein Miteinander nicht möglich scheint. Doch der Frieden muss auch von beiden Seiten gewollt sein und auf Augenhöhen gelebt werden. Dass sich Israelis und Palästinenser als gleichwertige Menschen begegnen – und nicht die einen als Herren und die anderen als Knechte. Damit sowohl die israelischen als auch die palästinensischen Kinder in Sicherheit und in Frieden aufwachsen können. Das sollte das Ziel von allen Menschen, von allen Staatenlenkern, wie US-Präsident Donald Trump oder Bundeskanzler Friedrich Merz, oder Keir Starmer sein.

Apropos Merz: Wie sehen Sie Deutschlands Rolle im Gaza-Krieg?

Ich verstehe die deutsche Position gegenüber Israel durchaus. In der Vergangenheit habe ich die Haltung der Bundesrepublik in Diskussionen immer wieder verteidigt. Doch nach dem Beschluss des Internationalen Strafgerichtshof und dem Gutachten des Internationalen Gerichtshof hat sich das geändert.

Sie meinen den Haftbefehl gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu und das Gutachten über die Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete ...

Ja, genau. Nun gibt es diese internationalen Entscheidungen und ich weiß nicht, ob Deutschland sie wirklich respektiert. Ich frage mich, ob hier die sogenannte Staatsräson über Völker- und Menschenrecht gestellt werden darf. Deutschland hat sich in der Vergangenheit immer dem internationalen Recht verpflichtet gefühlt – ich sage nur Ukraine- Russland-Krieg. Doch im Verhältnis zu Israel soll dies nun anders sein? Das ist meines Erachtens zu bedenken, dass eben Völker- und Menschenrecht beachtet werden muss – und zwar für alle Menschen weltweit.

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