Covid-19

"Wir laufen den Entwicklungen hinterher"

Virologe Alexander Kekulé kritisiert Jens Spahn scharf - Und fordert vorübergehende Kita-Schließungen

11.03.2020 UPDATE: 12.03.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 31 Sekunden
Professor Alexander Kekulé. Foto: zg

Von Annette Dönisch, RNZ Berlin

Berlin. Professor Alexander Kekulé ist Facharzt für Virologie und Infektionsepidemiologie und leitet als Direktor das Institut für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Halle (Saale).

Professor Kekulé, Bundeskanzlerin Angela Merkel macht den Coronavirus-Ausbruch zur Chefinnensache. Ein überfälliger Schritt?

Ja. Dieser Schritt reicht aber nicht aus. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war bisher nicht optimal beraten. Ich habe bereits im Februar vor der Epidemie gewarnt. Wir hätten alle Patienten mit Grippe-Symptomen auf das Coronavirus testen müssen. Auch Kontrollen von Einreisenden aus China und Norditalien wären nötig gewesen. Wir hätten schon längst die Schulen und Kitas schließen müssen. Dies können wir noch immer tun, aber jetzt ist es nicht mehr so effektiv. Die Bundeskanzlerin darf auf keinen Fall in eine "Es wird schon nicht so schlimm werden"-Haltung verfallen.

Gesundheitsminister Jens Spahn betont, dass Deutschland früh mit den Tests begonnen und sich dadurch einen Vorsprung bei der Eindämmung erarbeitet habe …

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Das ist falsch. Auf einen Brief mit der Forderung, flächendeckend zu testen, den ich am 12. Februar an das Robert-Koch-Institut geschickt habe, ist nichts passiert. Zum Teil haben die Gesundheitsämter in aufwendigen Verfahren entschieden, ob getestet wird. Meine Empfehlung war, alle Patienten mit schweren Grippe-Symptomen auf das Coronavirus zu testen – nicht nur die Patienten, die aus Risikogebieten kamen oder Kontakt zu Infizierten hatten. Im Moment laufen wir den Entwicklungen hinterher. Spahn müsste einräumen, dass er das Virus unterschätzt und deutliche Warnungen überhört hat. Es ist falsch, wenn die Regierung sagt, Deutschland habe früh mit den Tests begonnen.

Wie muss nun vorgegangen werden?

Ich fordere weiterhin, Schulen und Kindergärten für 14 Tage zu schließen und Großveranstaltungen abzusagen, um eine Explosion von Neuinfektionen zu vermeiden. Kinder sind durch das Virus zwar – nach gegenwärtiger Kenntnis – nicht stark gefährdet. Die infizierten Kinder in der Schule sollten aber nicht weitere anstecken können. Vor allem Kinder in Kitas und Grundschulen können noch keine Hygieneregeln einhalten.

Virologe Christian Drosten hält in Deutschland Infektionszahlen von 60 bis 70 Prozent für möglich. Das könnte in zwei Jahren zu bis zu 500.000 Toten führen. Ist das realistisch?

Ich schätze meinen Kollegen von der Charité sehr. Er hat hier aber ein extrem unwahrscheinliches Horrorszenario geschildert. Den schlimmsten Coronavirus-Ausbruch gab es bisher in Wuhan. Dort leben derzeit noch sechs Millionen Menschen. Rund 3000 Menschen starben dort an dem Virus. In Deutschland würde ein analoger "worst case" maximal 40.000 Tote in mehreren Jahren bedeuten.